Der ehemalige Pfarrer bei einer Prozession
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Der ehemalige Pfarrer bei einer Prozession

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Wallenfels: Wie Missbrauch in der Kirche einen ganzen Ort prägt

Das oberfränkische Wallenfels ist stolz auf seine kirchlichen Traditionen. Doch seit herauskam, dass der ehemalige Pfarrer über Jahre hinweg Jugendliche sexuell missbraucht haben soll, ist nichts mehr wie es war. Jetzt spricht ein Betroffener.

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Die besondere Fronleichnamsprozession bedeutet den Einwohnern im oberfränkischen Wallenfels viel. Die katholische Kirche ist hier fest verwurzelt. Doch nachdem Bürgermeister Jens Korn eine E-Mail bekommen hat, veränderte sich der Blick auf die Institution.

"In der Mail stand: Ich will mit Ihnen über sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche reden", sagt der Bürgermeister der Stadt. "Das war ein bisschen so, als würde eine Welt für mich zusammenstürzen." So wird öffentlich, dass ein Pfarrer hier über viele Jahre Jugendliche sexuell missbraucht haben soll.

Ehrenbürger von Kronach und Missbrauchstäter

1972 kam der Pfarrer in den Landkreis Kronach, wo er rund ein Vierteljahrhundert lang tätig war und viel bewirkt hat. Er baute ein Jugendheim und er wurde sogar Ehrenbürger in dem Ort.

Weltoffen und charismatisch sei der Geistliche gewesen, sagen die Wallenfelser. Er habe sie für den Glauben begeistert. "Wir machen uns Gedanken darüber, ob wir was erkennen hätten können oder müssen", sagt der ehemalige Kirchenpfleger Franz Behrschmidt.

Auch der heutige Bürgermeister Jens Korn war damals gerne Ministrant. "Der Pfarrer hatte die seltene Gabe, Predigten zu halten, die wirklich die Menschen beschäftigt haben", erinnert sich Korn. "Die Kirche war immer voll besetzt."

Erzbistum Bamberg wusste von Vorwürfen

Das Erzbistum Bamberg hat nach eigenen Angaben bereits 1963 von den ersten Missbrauchsvorwürfen erfahren. Betroffene hatten von sexuellen Annäherungsversuchen erzählt. Auch der Pfarrer gab diese zu, schrieb einen Entschuldigungsbrief, nicht an die Betroffenen, sondern an den damaligen Erzbischof Josef Schneider. Dem Pfarrer wurde daraufhin eine Auszeit im Kloster verordnet.

Schließlich ließ sich der Priester vorübergehend nach Bolivien versetzen. Doch die innere Einkehr und der Auslandsaufenthalt haben offenbar nichts verändert. Auch danach soll der Pfarrer in Wallenfels wieder mindestens acht Jugendliche sexuell missbraucht haben.

"Er konnte die Schwächen der Gemeinde ausnutzen"

"Er war ein sehr intelligenter Mensch, der genau wusste, wo Schwächen in der Gemeinde sind, die er für seine Schwächen ausnutzen kann", so ein Betroffener, der nicht öffentlich erkannt werden will. Als Teenager sei er vom Pfarrer missbraucht worden, sagt er. "Er hat sich nicht bei mir entschuldigt. Er hat gesagt, wenn ich damit zum Bischof gehen würde, wäre er suspendiert vom Dienst. Was soll ich als Jugendlicher mit 14 bis 16 Jahren dazu sagen? Ich war überfordert und habe das natürlich nicht gemacht."

Vergeben könne er der Kirche nicht. Schon gar nicht, so lange die Vorfälle nicht aufgearbeitet worden seien. "Die Erzdiözese hat eine Führungsverantwortung für ihr Personal, und die hat sie nicht wahrgenommen."

Ludwig Schick bat um Vergebung

Der ehemalige Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat nach eigener Aussage erst nach dem Tod des Pfarrers von den Missbrauchsvorwürfen erfahren. Insgesamt elf Fälle sind bisher bekannt. Schick ist im Oktober noch als amtierender Erzbischof nach Wallenfels gefahren. Er bat bei einem Gespräch mit den Menschen dort um Vergebung.

"Entschuldigen können wir nicht viel", sagt Dekan Detlef Pötzl, Leitender Pfarrer des katholischen Seelsorgebereichs Frankenwald über das Agieren der Kirche in früherer Zeit. "Wir können versuchen zu erklären, warum Menschen so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben. Menschliche Schwachheit, Fehleinschätzungen, vielleicht aus dem Bemühen heraus, die Institution zu schützen. Das hat letzten Endes bedeutet, dass man Jugendliche in Gefahr gebracht und weitere Opfer akzeptiert hat."

Bürgermeister Jens Korn sagt, es sei nicht seine Rolle, dem ehemaligen Pfarrer zu vergeben. "Vergeben können ihm nur die Betroffenen, die unter seinen Taten gelitten haben. Von der Kirche kann ich mir nur wünschen, dass sie sich ändert. Und sie muss sich ändern."

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