Pflegerinnen schieben einen Patienten in einem Bett über einen Flur.
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Kooperationen mit Universitätsklinika könnten kleineren Krankenhäusern neue Perspektiven eröffnen

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Millionenlöcher und Krankenhausreform: Kliniken suchen neue Wege

Rettet sie die Versorgung der Patienten oder wird sie der Todesstoß für Kliniken auf dem Land? Die Krankenhausreform ist umstritten, die enormen Defizite vieler Häuser unterdessen offensichtlich. Doch es scheint erfolgreiche Ausreißer zu geben.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Visite in einem kleineren Krankenhaus im Landkreis Augsburg: Professor Alexander Hyhlik-Dürr ist Spezialist für Gefäßchirurgie. Eigentlich arbeitet er als Chefarzt am Universitätsklinikum Augsburg, einem der größten Krankenhäuser in Bayern. Die Wertachklinik in Schwabmünchen dagegen hat nur 126 Betten, gerade fünf davon gehören zur Fachrichtung Gefäßchirurgie. Trotzdem: Einmal in der Woche kommt der Augsburger Chefarzt hierher und operiert. Möglich macht das ein Kooperationsvertrag zwischen dem Uniklinikum und dem sehr viel kleineren Krankenhaus in Schwabmünchen.

Ohne kleine Krankenhäuser würde es eng am Universitätsklinikum

"Wir als Uniklinikum wollen die kleinen Krankenhäuser stützen", sagt Hyhlik-Dürr. Sie seien wichtig, um Patienten nahe an ihrem Wohnort versorgen zu können, aber auch aus einem weiteren Grund. Ohne die kleinen Häuser könnte man gar nicht alle Patienten behandeln, warnt Hyhlik-Dürr: "Wir brauchen genügend Kapazitäten und die haben wir am Uniklinikum ehrlich gesagt nicht immer." Teils werden sogar Patienten aus Augsburg nach Schwabmünchen verlegt, damit sie schneller an einen OP-Termin kommen. Im Uniklinikum in Augsburg bleiben so Kapazitäten in den OPs frei für Fälle, die in kleineren Häusern nicht behandelt werden könnten.

Ziel in Schwabmünchen: Mehr Operationen, höhere Qualität

In der Wertachklinik in Schwabmünchen setzt man – abgesehen von der Grundversorgung und der Notfallbehandlung – auf die Bildung von Schwerpunkten. Damit will man auch die Qualität der Behandlungen auf ein möglichst hohes Niveau bringen. "Es ist einfach ein Unterschied, ob ein Mediziner die Operation fünfmal, zehnmal oder hundert Mal im Jahr macht - oder gar noch mehr", sagt Klinikvorstand Martin Gösele. Auch die Finanzierung der Klinik soll so weiter möglich bleiben: "Wir befinden uns in einer extremen Krise. Und müssen jetzt schauen, wie wir da rauskommen, weil das System, so wie wir es jetzt haben, nicht mehr funktioniert", mahnt Gösele.

Klinik-Spezialisierung bremst Defizit

Die Wertachkliniken konnten bis 2021 schwarze Zahlen schreiben. Jetzt setzen sie auf die Kooperation mit der Uniklinik und verfolgen so neue Wege. Und sie sind nicht das einzige Beispiel dafür, dass auch kleinere Kliniken rentabel arbeiten können. Auch der Landkreis Donau-Ries hat das gezeigt. Konsequent hat man dort Mehrfachstrukturen abgebaut und den Kliniken in Donauwörth, Nördlingen und Oettingen eine Spezialisierung verordnet. "Wir haben rechtzeitig die richtigen Maßnahmen eingeleitet", bilanziert Landrat Stefan Rößle. Die Kliniken wurden mit diesem Konzept aus tiefroten Zahlen geholt. An vielen anderen Klinik-Standorten in Bayern ist das bislang nicht gelungen.

Millionen-Löcher bei kommunalen Krankenhäusern

Nach Berechnungen der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) schieben 90 Prozent der Krankenhäuser in Bayern ein riesiges Defizit vor sich her. Die BKG spricht von einem Rekordwert. Durch die Inflation habe sich die Finanzlage seit Mitte 2022 extrem verschärft, erklärt BKG-Geschäftsführer Roland Engehausen.

Das Minus pro Behandlungsbett schätzt er grob auf 20.000 Euro pro Jahr. Beispiele, die diese Annahme stützen: Die Kreiskliniken Günzburg-Krumbach haben in ihrer Bilanz für das Jahr 2021 ein Defizit von circa elf Millionen Euro ausgewiesen. Im Landkreis Dillingen steht das Defizit der beiden Krankenhäuser in Wertingen und Dillingen für das Jahr 2022 bei zwölf Millionen Euro. Bisher würden viele Landkreise auch hochdefizitäre Kliniken stützen, sagt Michael Beyer, der frühere Ärztliche Vorstand des Uniklinikums Augsburg. Beyer warnt aber vor Grenzen dieses Prinzips: Die Kreise "brauchen ihr Geld auch für anderes, für Schulen etwa", sagt Beyer.

Krankenhausreform – BKG pocht auf Zuständigkeit der Länder

In Spezialisierungen und engerer Zusammenarbeit der Kliniken sieht die Bayerische Krankenhausgesellschaft den richtigen Weg. Nicht aus dem Auge verlieren will sie dabei "den Grundsatz der gleichwertigen Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land". Mit Blick auf die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Krankenhausreform fordert BKG-Geschäftsführer Engehausen deshalb, die Krankenhausplanung müsse in Länderverantwortung bleiben. Von der Staatsregierung erwartet er eine ausreichende Finanzierung der Grundinvestitionen, und eine Fachkräfteoffensive für Gesundheits- und Pflegeberufe einschließlich einer schnelleren Anerkennung der Abschlüsse von Pflegefachpersonal aus dem Ausland.

Wettbewerb um Arbeitskräfte für die Kliniken

Auch Klaus Markstaller, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Augsburg, hat das Personal im Blick: "Junge Menschen gehen dahin, wo sie interessante, spannende Arbeitsbedingungen und natürlich auch gute Rahmenbedingungen vorfinden." Man müsse sich mehr bemühen, die Arbeit wieder attraktiver zu machen, fordert Markstaller. Und Win Windisch von der Gewerkschaft Verdi sieht es mit Skepsis, dass im Zuge der geplanten Krankenhausreform die Mitarbeiter oft als verfügbare Masse angesehen würden. Viele von ihnen seien nicht bereit, weitere Anfahrtswege in Kauf zu nehmen: "Die Nähe zum Wohnort ist für viele wichtig, um Familie und Arbeit bewältigen zu können. Wir reden hier ja auch von frühem Arbeitsbeginn oder sehr späten Uhrzeiten", betont Windisch.

Bessere Versorgung als Messlatte für die Krankenhausreform

Nähe zum Wohnort ist auch ein Thema, das Patientenschützer beschäftigt: Gut 55 Prozent der bayerischen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum. Dort brauche es eine passgenaue medizinische Grundversorgung, betont Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Der Erfolg der Krankenhausreform, sagt Brysch, "steht und fällt mit der Frage, ob der einzelne Kranke am Ende besser versorgt wird."

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