Günstige Mieten in Innenstadtlage gibt es noch
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Günstige Mieten in Innenstadtlage gibt es noch

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Soziale Vermieter: Ist im Erbfall alles aus?

Günstige Mieten in Innenstadtlage gibt es noch, in Häusern von alteingesessenen Vermietern. Doch wenn deren Kinder die Häuser erben, geht die Erbschaftssteuer in die Hunderttausende. Das können sich viele nicht leisten und müssen verkaufen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Ein Wohnhaus im Münchner Glockenbachviertel. Sechs Wohnungen, zwei Gewerbe. Beste Lage unweit der Isar, eine teure Nachbarschaft. Hier wohnt Rentnerin Rita Kirnes seit über zehn Jahren. Und zwar zu einer Miete, die sie sich - trotz der Lage - leisten kann. In ihrem Viertel wohnen bleiben zu können, bedeutet ihr viel.

"Ich fühle mich einfach in der Wohnung wohl. Die Hausgemeinschaft passt einfach gut zusammen und man hilft sich gegenseitig. Das ist ganz wichtig, dass man sich versteht. Ich habe Bäume vor dem Fenster, es sind Vögel da." Rita Kirnes, Mieterin

Nur neun Euro Miete pro Quadratmeter im Stadtzentrum

Doch wie lang sie hier noch wohnen bleiben kann, ist ungewiss. Rita Kirnes' Vermieterin wohnt gleich in der Wohnung gegenüber. Gisela Aeckerlein besitzt das Haus in dritter Generation. Für die 83-Jährige sind eine gute Hausgemeinschaft und soziale Mieten wichtiger als Profit. Deshalb verlangt sie gerade einmal neun Euro pro Quadratmeter - für die Gegend ein Spottpreis. Viele bezahlen im Glockenbachviertel mittlerweile bis zu 20 Euro pro Quadratmeter.

Obwohl die Mieteinnahmen von Gisela Aeckerlein vergleichsweise niedrig sind, ist der Wert ihres Hauses in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das wird ihr zum Verhängnis werden, wenn sie das Haus in ein paar Jahren vererben möchte.

"Dann ergibt sich hier in dem Falle eine Erbschaftssteuer, die zwischen 850.000 und 900.000 liegt, wie mir mein Anwalt ausgerechnet hat." Gisela Aeckerlein, Vermieterin

Exorbitante Wertsteigerung von Immobilien

Tochter Katrin Kios-Aeckerlein würde das Haus gerne übernehmen. Aber eine so hohe Erbschaftssteuer kann sie sich als stellvertretende Marktleiterin bei einer Drogeriekette nicht leisten. Doch warum ist die Steuer so hoch? Das liegt am Wert des Hauses, der in den letzten Jahren explodiert ist. In einem Gutachten aus dem Jahr 2006 wird das Haus noch mit knapp einer Million Euro bewertet. Ein zweites Gutachten von 2018 bewertet das Haus mit 4,6 Millionen Euro - eine Vervierfachung des Werts.

"An dem Haus ist nichts gemacht worden, was so eine hohe Wertsteigerung rechtfertigen würde. Kein neues Dach, kein neuer Anstrich. Das ist wirklich nur auf den Anstieg des Bodenrichtwerts zurückzuführen." Katrin Kios-Aeckerlein, Erbin

Explodierende Bodenrichtwerte in ganz München

Der Bodenrichtwert für eine Gegend errechnet sich aus den Verkaufspreisen der umliegenden Häuser. Waren die hoch, steigt auch der Bodenwert des eigenen Hauses. In München ist dieser Wert fast überall rasant gestiegen. Für Gisela Aeckerleins Haus in der Münchner Auenstraße lag der Bodenrichtwert 2006 noch bei 2.500 Euro pro Quadratmeter. Bis 2018 stieg er auf 15.000 Euro - eine Steigerung auf 600 Prozent. Östlich der Innenstadt, in der Bad-Kreuther-Straße, stieg der Wert innerhalb von zwölf Jahren von 650 Euro pro Quadratmeter auf 2.000 Euro. Eine Steigerung auf mehr als das Dreifache. Und auch in Randgebieten wie der Manzostraße in München-Allach ist die Entwicklung enorm: von 500 Euro pro Quadratmeter auf 2.050 Euro – eine Steigerung auf mehr als das Vierfache.

Mieterverein besorgt über Entwicklung

Für Volker Rastätter, Geschäftsführer des Münchner Mietervereins, eine besorgniserregende Entwicklung. Denn Erben müssen häufig an einen profitorientierten Investor verkaufen - mit negativen Folgen für die Mieter.

"Der versucht natürlich, die Mieten so hoch wie möglich zu treiben und meistens auch über Modernisierungen die Mieten so nach oben zu treiben, dass die bisherigen Mieter sich das nicht mehr leisten können und ausziehen. Diese Angst besteht in München leider nicht zu Unrecht." Volker Rastätter, Geschäftsführer des Münchner Mietervereins

Mieter können sich sanierte Wohnungen nicht mehr leisten

Genau das hat Mieterin Rita Kirnes bereits erlebt. Bevor sie in ihre jetzige Wohnung eingezogen ist, hat sie im Haus gegenüber gewohnt. Dort musste sie schließlich raus - weil Mieterhöhungen absehbar waren.

"Das wurde alles an eine Immobilienfirma verkauft. Die haben alle Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Meine wurde auch verkauft. Und dann sind die Preise gestiegen, wie üblich, hier im Glockenbachviertel." Rita Kirnes, Mieterin

Interessenverbände fordern Senkung der Erbschaftssteuer

Jetzt droht Rita Kirnes das gleiche Schicksal nochmal - diesmal wegen der hohen Erbschaftssteuer. Genau hier müsste angesetzt werden, sagt Agnes Fischl vom Haus- und Grundbesitzerverein München. Die Fachanwältin für Erbrecht berät immer wieder Erben, die sich die Erbschafssteuer nicht leisten können und deshalb verkaufen müssen - obwohl sie gern weiter zu günstigen Preisen vermieten würden. Agnes Fischl fordert: Das Erbrecht muss geändert werden.

"Entsprechend der Unternehmensbefreiung: Wenn der Vermieter beispielsweise eine Mietsumme über einen Zeitraum von zehn Jahren, gleich hält oder sich an eine bestimmte Miethöhe hält und diese nicht überschreitet, dann sollte er das Haus oder die Wohnung definitiv ohne Schenkungs- oder Erbschaftssteuer bekommen." Agnes Fischl, Haus- und Grundbesitzerverein München

Da sind sich die Interessenverbände von Mietern und Vermietern sogar einig. Auch Volker Rastätter vom Münchner Mieterverein fordert für solche Fälle eine Ausnahme von der Erbschaftssteuer:

"Grundsätzlich ist klar: Man kann keine exorbitante Erbschaftsteuer verlangen und gleichzeitig vom Vermieter verlangen, den Mietern hier bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen." Volker Rastätter, Geschäftsführer des Münchner Mietervereins

Bundesfinanzministerium sieht keinen Handlungsbedarf

Wäre ein Steuernachlass für soziale Vermieter denkbar? Auf Nachfrage des Politikmagazins Kontrovers reagiert das Bundesfinanzministerium ausweichend. Im Gesetz greife derzeit schon "ein verminderter Wertansatz von 90 Prozent des Grundstückswertes, wenn das ererbte Grundstück zu Wohnzwecken vermietet wird."

Aber nur zehn Prozent weniger Wertansatz – das hilft Familie Aeckerlein nicht weiter. Tochter Katrin Kios-Aeckerlein müsste dann immer noch um die 800.000 Euro Erbschaftssteuer bezahlen. Derzeit überlegt sie, ob sie einen Kredit aufnehmen kann. Viel Hoffnung hat sie allerdings nicht.

"Die Mieten sind ja nicht so hoch, dass ich sagen könnte, ich kann den Kredit in absehbarer Zeit durch die Mieten abbezahlen. Da muss schon ganz schön Eigenleistung von meiner Seite dahinterstecken, um den Kredit abzubezahlen." Katrin Kios-Aeckerlein, Erbin

Sie sagt, damit bleibt nur der Verkauf. Dann geht München wohl wieder ein Stück günstiger Wohnraum verloren.

💡 Bürgerrecherche: Wem gehört die Stadt?

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