Blick in das automatisierte Medikamentenlager einer Apotheke
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Medikamentenmangel: Wege zu mehr Versorgungssicherheit

"Nicht lieferbar", heißt es derzeit immer wieder in der Arzneimittelbranche. Überall fehlen den Apotheken und Kliniken teils wichtige Medikamente. Eine Forschungsgruppe der Uni Würzburg sucht nun nach Lösungen in Zeiten des Mangels.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Arznei-Lieferengpässe sind auf dem höchstem Stand seit Pandemiebeginn: Diese Nachricht kam bereits im Dezember vergangenen Jahres. Seitdem scheint sich die Lage nicht maßgeblich verbessert zu haben. Überall in der EU fehlen etwa Fiebermedikamente und Antibiotika. In vielen Bereichen heißt es deswegen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind: Selbst ist der Mann oder die Frau. Einzelne Apotheken stellen eigene Fiebersäfte her, ebenso auch das Klinikum Landshut.

Medikamente fehlen oder sind langfristig nicht lieferbar

"Nicht lieferbar", titelte der Apotheker und langjährige Pharmamanager Uwe Weidenauer schon 2020 und beschrieb das Dilemma seiner Branche. Der Medikamentenmarkt in Deutschland und Europa ist mittlerweile zu weiten Teilen abhängig von Asien. Das Buch gab indirekt den Anstoß zur Gründung einer Forschungsgruppe an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität, die Weidenauer als Praktiker berät.

Allein in seiner Markt-Apotheke im Baden-Württembergischen Ketsch fehlen derzeit 209 Medikamente, die langfristig nicht lieferbar sind. Darunter viele Erkältungspräparate, die sicher lindernde Wirkung hätten, aber entbehrlich sind. Doch spätestens, wenn es um Antibiotika oder gar Krebsmedikamente geht, wird die Lage ernst, sagt der Apotheker.

Abhängigkeit von China und Indien

Uwe Weidenauer war selbst lange für die Pharmaindustrie tätig. Er weiß, wie die Firmen ticken. Das Grundproblem bestehe darin, dass der deutsche Markt mittlerweile zu 80 Prozent von Generika-Herstellern beliefert wird. Sie kopieren nach Ablauf des Patentschutzes bewährte Medikamente, um sie dann preiswert anzubieten. Die Discounter unter den Arzneimittelherstellern haben nur geringe Gewinnmargen, leben also von der Menge. Das führte zu einer mittlerweile fast vollständigen Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer wie China oder Indien.

Wie riskant es ist, auf diese Marktstrategie zu setzen, hat sich im Zuge der Corona-Pandemie deutlich gezeigt. Lockdowns bei den Herstellern oder in den asiatischen Häfen führten zu Lieferengpässen oder gar Totalausfällen.

Initiative aus Professoren und Praktikern

Eine Forschungsgruppe der Würzburger Julius-Maximilians-Universität ist nun angetreten, den Mangel zu beheben. "EThiCS-EU-Programm" nennt sich die Initiative (Essential Therapeutics Initiative for Chemicals Sourcing for the European Union). Ihr gehören der neben dem Leiter der Gruppe, BWL-Professor Richard Pibernik, auch die Professorinnen Andrea Szczesny (Gesundheitsökonomie) und Ulrike Holzgrabe (Pharmazie) an. Außerdem beraten zwei Praktiker das Gremium: neben Uwe Weidenauer auch der Apotheker Steffen Schweizer, der für einen Dax-Konzern mit der Beschaffung chemischer Wirkstoffe betraut ist.

Versorgungsengpässe: Jeder Fall muss einzeln bewertet werden

Richard Pibernik beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Lieferketten. Für ihn steht fest, dass es nicht die eine Lösung für die Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln geben kann. Vielmehr müsse jeder Einzelfall bewertet werden. Besondere Sicherheitsmaßnahmen seien natürlich für lebenswichtige Medikamente erforderlich. Hier müsse die Produktion wieder verstärkt in europäische Länder zurückgeholt werden. Nicht im Sinne von "entweder-oder", sondern eher "sowohl-als-auch".

  • Zum Artikel "Spannungen mit China: Pharmabranche setzt auf neue Lieferketten"

Außerdem wollen die Experten das Thema Bevorratung stärker betont wissen. Wo immer es die Haltbarkeit von Wirkstoffen zulassen, sei auch dies ein probates Mittel, globale Lieferketten zu entzerren und neu zu denken, erklärt Richard Pibernik. In Amerika gehe man diesen Weg schon länger, um internationale Anhängigkeiten abzumildern.

Verfügbarkeit kostet Geld und Zeit

Klar ist: Mehr Versorgungssicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Sowohl die Produktion in Europa als auch das Anlegen von strategischen Notreserven kostet mehr Geld. Und auch wenn die Umstrukturierung Jahre dauern wird, ist Richard Pibernik davon überzeugt, dass die Handlungsempfehlungen aus Würzburg gerade jetzt bei den Entscheidungsträgern in der Politik auf offene Ohren treffen werden.

Die Gaspreiskrise habe uns die möglichen Konsequenzen einseitiger Anhängigkeit drastisch verdeutlicht. Niemand könne sicher sein, dass nicht eines Tages auch der Medikamentenmarkt als politisches Druckmittel eingesetzt werde. Insofern könne "EThiCS-EU" gerade jetzt auf dem Feld der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln etwas bewegen.

Silberstreif am Apotheken-Himmel?

Das hofft auch Apotheker Uwe Weidenauer, der in den vergangenen Wochen nicht nur dem oft zitierten Fiebersaft für Kinder nachjagen musste. Den produziere übrigens nur noch ein einziger deutscher Hersteller, erklärt Weidenauer. Denn der Einkaufspreis pro Flasche liege mittlerweile deutlich unter zwei Euro. Da rentiere sich das eben nicht mehr.

Aber Selbstanrühren sei für ihn keine Option gewesen. Er kenne eine Kollegin, die es versucht habe. Doch das Ergebnis sei derart gallebitter gewesen, dass kein Kind das eingenommen hätte. Außerdem müsse man ja erst einmal den Grundwirkstoff Paracetamol bekommen. Und der werde praktisch nur noch in China hergestellt.

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