Selbstbestimmt leben im Alter – wer möchte das nicht? Interessierte können sich in einem Musterhaus im unterfränkischen Kürnach Anregungen holen, wie man sein Zuhause barrierefrei umbauen kann. Der Bezirk Unterfranken hat das Projekt gemeinsam mit dem Freistaat Bayern finanziert. Unterstützt wurde es außerdem von mehr als 40 Partner-Unternehmen und Handwerksfirmen. Derzeit ist das Musterhaus zweimal pro Woche geöffnet. Wer möchte, kann dort sehen, welche Möglichkeiten es gibt, sich das Leben daheim zu vereinfachen.
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Rechtzeitig fürs Wohnen im Alter vorbereiten
Elisabeth Stingl und ihr Mann Peter Arnold nutzen die Gelegenheit. Trotz ihres hohen Alters – sie Mitte 70, er Mitte 80 – sind sie noch topfit. "Wir hoffen natürlich, dass wir das alles hier nicht brauchen", sagt Peter Arnold, "aber wenn der Fall eintritt, wissen wir wenigstens was es gibt und wo man Rat bekommt!"
Und dann hat Elisabeth Stingl auch schon ein Auge auf den Fernsehsessel geworfen, der einladend vor der hellen Wohnzimmerwand wartet. Ein Hightech-Gerät, das sie ihrem Ehemann zum Testsitzen empfiehlt. Der genießt es sichtlich, sich per Fernbedienung die Rückenlehne in eine bequeme Liegeposition zu fahren, während gleichzeitig eine Fußstütze erscheint und ihrer Bestimmung nachgeht. Die Kopfstütze lässt sich noch anpassen, sogar eine Sitzheizung ist eingebaut. Und zum Aussteigen stellt einen der Sessel fast von allein auf die Füße. "Das ist also die Schleudersitz-Funktion", scherzt Arnold.
Hängeschränke zum Absenken für die Küche
Das war dann aber auch schon das einzige Ausstellungsstück, das man so ähnlich auch im Möbelhaus testen könnte. Als nächstes nimmt sich das Seniorenpaar die Küchenzeile vor. Elisabeth Stingl nimmt probeweise im Rollstuhl Platz und lässt sich an die Arbeitsfläche schieben. Die ist natürlich unterfahrbar. Doch jetzt wird deutlich: Hängeschränke lassen sich normalerweise sitzend nicht erreichen. Diese aber schon. Per Knopfdruck kommen sie einem entgegen.
Im Musterhaus sind verschiedene Techniken verbaut. In einem Fall senkt sich das Schrankregal fahrstuhlartig nach unten, nebenan öffnet sich elektrisch die Schranktür, und zwei Metallarme heben das Innenleben aus dem Schrank heraus und senken es ab.
Beim Hausbau wird in der Regel nicht auf Barrierefreiheit geachtet
Dieses Haus sollte so realitätsnah wie möglich sein. Deshalb entstand es nicht einfach als perfekt barrierefreies Anschauungsobjekt auf der grünen Wiese, erklärt Projektleiter Tobias Konrad vom Kommunalunternehmen des Landkreises Würzburg. Das Kommunalunternehmen betreibt selbst mehrere Altenpflegeeinrichtungen und verfügt schon von daher über die nötige Expertise in diesem Bereich. Bei der "Wohnberatung" habe sich immer wieder gezeigt, dass vielen älteren Menschen die Vorstellungskraft für notwendige Veränderungen in ihrem Zuhause fehlt. Hier können sie es nun selbst erleben, anfassen, ausprobieren.
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Vielseitige Pflegebetten zum Testen
Peter Arnold lässt seine Ehefrau in einem neuartigen Pflegebett rotieren. Beide haben sichtlich Spaß daran, wie sie das Bett zunächst in Sitzposition bringt und dann mit ihr ganz langsam Karussell fährt. Dabei ist auch ihnen klar: Wer dieses Pflegebett braucht, hat nicht so viel zu lachen. Doch solche Technik kann im Ernstfall sehr hilfreich sein, nicht nur für die bedürftige Person, sondern auch für das Pflegepersonal. Auch das ist im Musterhaus willkommen, sagt Tobias Konrad. So könnten sich beispielsweise Führungskräfte von Pflegeeinrichtungen hier informieren, wie man dem Personal die Arbeit erleichtern kann.
Alltagshilfen zum Nachrüsten
Im Mittelpunkt des Musterhauses stehen aber Alltagshilfen zum Nachrüsten für das eigene Zuhause. Darunter eine Steighilfe für mehr Sicherheit auf der Treppe. Sie besteht aus einem Alubügel, den man als Haltegriff vor sich herschiebt. Der Bügel läuft in einer Wandschiene und rastet sofort ein, wenn man ihn belastet. Treppauf gibt das Gestell Halt, um sich mit beiden Händen hochzuziehen. Und abwärts verhindert es – so der Plan – den Treppensturz.
Das Seniorenpaar lässt sich diese Technik gern zeigen. Ausprobieren wollen beide sie aber lieber nicht. Peter Arnold neigt für den Fall des Falles dann doch lieber zu einem Treppenlift. Der kostet zwar locker das Zwei- bis Dreifache. Aber wenn sich die Steighilfe dann irgendwann als nicht mehr ausreichend erweise, so meint der Senior, seien die 5.000 Euro ja herausgeschmissenes Geld. Am Ende zahle man doppelt!
Ein Haus im Dienste der Barrierefreiheit
Für solche Überlegungen geht eben nichts über das praktische Ausprobieren. Deshalb ist auch die Vorständin des Kommunalunternehmens, Eva von Vietinghoff-Scheel, froh, dass mit dem Musterhaus in Kürnach ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung ging. Im Grunde habe man seit sechs Jahren nach einem geeigneten Objekt gesucht. Das sollte ausdrücklich kein reiner Neubau sein, sondern sich an einem durchschnittlichen fränkischen Eigenheim orientieren.
Das Haus in der Kürnacher Ortsmitte, sagt Frau von Vietinghoff-Scheel, werde nicht nur dem Klientel der eigenen Wohnberatung zur Verfügung stehen. Im Souterrain könnten auch die Vertragspartner eigene Info-Veranstaltungen anbieten, um Kunden zu informieren oder auch Fortbildungen durchzuführen. So solle dieses Haus ganz im Dienst der Barrierefreiheit mit Leben erfüllt werden.
Tipps für altersgerechte Badezimmer
Elisabeth Stingl und Peter Arnold haben sich besonders für Tipps zum barrierefreien Umbau ihres Bades interessiert. Dazu bietet das Musterhaus gleich drei Beispielbäder an. Je nach räumlichen und finanziellen Möglichkeiten sollen dadurch alle eine Lösung finden können. Es muss nicht immer gleich die Luxusvariante sein. Oft sind es ganz einfache Dinge, die das Leben im Alter leichter machen.

Das Ehepaar Stingl begutachtet in dem Musterhaus für barrierefreies Wohnen ein Badezimmer.
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