Carmen Schiller taucht ihren Farbpinsel in ein leuchtendes Orange, damit streicht die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Würzburg eine massive Holzbank, die "Parkbank gegen Gewalt". Zusammen mit ihr streichen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Veitshöchheim die Bank. Sie haben sich im Unterricht mit dem Thema der geschlechterspezifischen Gewalterfahrungen beschäftigt. Lara-Fabienne sagt: "Mich betrifft das Thema einfach, weil ich eine junge Frau bin. Wenn ich nachts draußen bin, muss ich schon darauf achten, in welcher Gegend ich unterwegs bin."
Gewalt an Frauen in allen Gesellschaftsschichten
Knapp 50.000 Frauen sollen bayernweit pro Jahr von Gewalt betroffen sein, die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher geschätzt. Oft sind die Partner oder Ex-Partner die Täter, während einer Trennung sind Frauen besonders gefährdet. 80 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind weiblich.
Die Gewalt ziehe sich quer durch die Gesellschaft, erklärt Schiller: "Es sind unterschiedliche Schichten, aus denen die Frauen kommen. Da gibt es keine Ausnahmen. Auch die Altersgruppen sind unterschiedlich. Von jungen Mädchen bis zu Frauen mit 80 Jahren ist alles dabei." Außerdem habe Gewalt viele Gesichter und Formen: "Es gibt sexualisierte Gewalt, psychische Gewalt und physische Gewalt."
Frauen mit weniger Selbstwertgefühl durch Gewalt
Eine Frau, die alle diese Gewaltformen über Jahre erlebt hat, ist die 39-jährige Sara. Sie heißt eigentlich anders und möchte anonym bleiben. Sara wurde über Jahre von ihrem Ehemann schwer misshandelt und missbraucht. Oft schloss sie sich mit ihrem Kind nachts im Badezimmer ein, um ihm nicht ausgeliefert zu sein.
Wenn die 39-Jährige heute davon erzählt, zittern ihre Hände, ihre Stimme bebt und versagt immer wieder: "Ich habe mich minderwertig gefühlt, als ob ich nichts bedeute. Wie Abschaum, als ob ich keine Daseinsberechtigung hätte. Wertlos, einfach wertlos."
Carmen Schiller, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Würzburg, berät von Gewalt betroffene Frauen.
Es braucht viel Mut, aus Gewalt auszubrechen
Nach Jahren der Gewalt und Abhängigkeit schafft Sara es nach einem erneuten Angriff ihres Mannes zur Polizei zu gehen. Sie kommt in ein Frauenhaus, wie jährlich circa 1.700 andere Frauen in Bayern. Für das, was Saras Mann ihr angetan hat, muss er mehrere Jahre ins Gefängnis.
Heute sagt Sara: "Ich empfehle den Frauen, hinzuschauen, was mit ihnen passiert. Und nicht darauf zu hoffen, dass es besser wird. Schon gar nicht, wenn sie Kinder haben. Manchmal denken Frauen, sie müssten die Gewalt für ihr Kind ertragen. Das ist das Schlechteste. Man muss mutig sein, aus der Gewaltsituation auszubrechen. In Deutschland hat man tatsächlich die Chance dazu, wir leben in einem Rechtsstaat. Wir haben die Möglichkeit, dass man uns hilft und dass das Gesetz hinter uns steht."
- Zum Artikel "Gewalt gegen Frauen: Nur jede Dritte holt sich Hilfe"
Kontaktdaten zu Hilfetelefonen auf Parkbänken
Hilfe erfährt Sara auch von Carmen Schiller. Die Gleichstellungsbeauftragte rät von Gewalt Betroffenen, sich an Beratungsstellen, die Polizei, Vertrauenspersonen wie Lehrerinnen und Lehrer oder an Hilfetelefone zu wenden. Die Kontaktdaten zu den Hilfetelefonen befinden sich auch auf den auffallend orangefarbenen Parkbänken als Zeichen gegen Gewalt.
Die Bänke werden alle paar Monate an einem anderen öffentlichen Ort im Landkreis Würzburg aufgestellt – zum Beispiel an Spielplätzen. Über einen QR-Code auf der Bank können Betroffene zu einer Aufklärungsseite des Landratsamts mit Telefonnummern von Hilfsinitiativen gelangen.
Ab heute stehen die zwei "Parkbänke gegen Gewalt" im Landratsamt in Würzburg sowie im Gymnasium Veitshöchheim, bevor sie dann weiter wandern. Die Infoschilder auf den beiden Bänken sollen helfen, Betroffene dazu zu ermutigen, aus der Gewaltsituation auszubrechen und ein neues Leben zu beginnen. So wie Sara es geschafft hat, obwohl sie das lange für unmöglich gehalten hatte.
Sind Sie selbst Opfer von Partnerschaftsgewalt geworden oder kennen Sie eine Person, die Hilfe braucht? Unter folgenden Telefonnummern und Adressen finden Sie Unterstützung.
- Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016 | www.hilfetelefon.de
- Opfer-Telefon des weißen Rings: 116 006 www.weisser-ring.de/opfer-telefon
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