Kernkraftwerk Isar
Bildrechte: picture alliance/dpa | Armin Weigel

Kernkraftwerk Isar

  • Artikel mit Video-Inhalten

Länger Atomkraft: Geht das und was bringt es?

Nach dem geltenden Atomgesetz ist zum Jahresende 2022 Schluss mit der Kernkraft in Deutschland. Auch der letzte bayerische Reaktor Isar 2 bei Landshut muss vom Netz. Oder doch nicht? Die wichtigsten Antworten.

Die Diskussion um die Atomkraft ist angesichts der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg neu aufgeflammt. Auch in Bayern. Die Staatsregierung fordert eine Verlängerung der Atomkraftwerk-Laufzeit. Doch wir realistisch ist das? Der BR24-Check.

Die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern - wer will das überhaupt?

Die bayerische Staatsregierung will eine "vorübergehende Weiternutzung der Kernenergie als Brückentechnologie", wie es eine Sprecherin des Wirtschafts- und Energieministeriums ausdrückt. Minister Hubert Aiwanger (FW) fordert vom Bund, eine Verlängerung über den nächsten Winter, bis März 2023, "vorurteilsfrei" zu prüfen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) geht noch weiter und möchte die Atomkraftwerke in Deutschland drei bis fünf Jahre länger laufen lassen. Auf diese Weise könne man Versorgungssicherheit und Klimaschutz verbinden.

Die AfD fordert ohnehin schon lange, den Atomausstieg rückgängig zu machen, und auch neue Reaktoren in Bayern zu bauen.

Ist die Laufzeitverlängerung so kurzfristig überhaupt möglich?

In einer ersten Reaktion hatten selbst die Betreiberkonzerne abgewinkt. Inzwischen hat sich das jedoch geändert. Der Betreiber des Kernkraftwerks Isar 2 bei Landshut, die Eon-Tochter Preussen Elektra, zeigt sich auf BR24-Anfrage offen für eine Laufzeitverlängerung. Das Kraftwerk sei "technisch in einem einwandfreien Zustand", so eine Konzernsprecherin. Ein Weiterbetrieb auch für mehrere Jahre wäre laut Konzern demnach technisch möglich. Das bayerische Umweltministerium als atomrechtliche Aufsichtsbehörde sieht das genauso und betont, man stehe "in regelmäßigem Austausch" mit dem Betreiberkonzern.

Woher sollen Personal und nuklearer Brennstoff kommen?

Das ist problematisch. Bisher fehlt das nötige Personal für einen Weiterbetrieb der Reaktoren nach Jahresende. Die nötigen Fachkräfte neu auszubilden, wäre auf die Schnelle nicht möglich. Preussen Elektra müsste nach eigenen Angaben alle Anstrengungen unternehmen, um das erforderliche Personal für einen Weiterbetrieb von Isar 2 aus dem gesamten Konzern zusammenzuziehen.

Ein weiteres Problem sind die Brennelemente: Sie sind zum geplanten Betriebsstopp Ende 2022 eigentlich abgebrannt. Für drei zusätzliche Monate könnten sie laut dem Betreiberkonzern im so genannten Streckbetrieb noch eine reduzierte Leistung abgeben. Danach müsste der Reaktor jedoch mit neuem nuklearen Brennstoff ausgestattet werden.

Die nötigen Brennelemente müssten dafür eigens produziert werden. Ein komplizierter Prozess, der eineinhalb bis zwei Jahre lang dauert. Ein lückenloser Weiterbetrieb von Isar 2 über Jahre hinweg ist deshalb unmöglich. Der Reaktor könnte höchstens nach einer längeren Unterbrechung wieder hochgefahren werden.

Durch das Wiederverwenden gebrauchter Brennelemente aus dem Abklingbecken könnte diese Zeit des Stillstands nach Angaben eines Kraftwerkssprechers möglicherweise verkürzt werden. Ein kontinuierlicher Betrieb wäre jedoch auch so nicht zu gewährleisten.

Eine zusätzliche Komplikation: Das Uran für die Brennelemente kam bisher aus Russland. Dafür müssten andere Quellen erschlossen werden, was laut Preussen Elektra jedoch möglich wäre.

Was ist mit der Sicherheit, wenn der Reaktor länger läuft?

Betreiberkonzern und bayerisches Umweltministerium betonen, es gebe keine Sicherheitsbedenken bei einem Weiterbetrieb. Allerdings wäre zumindest bei einem Weiterbetrieb über mehrere Jahre aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums noch einmal eine grundlegende Neubewertung der Sicherheitsstandards nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik nötig.

Das ist turnusmäßig Standard, allerdings wurde zuletzt darauf verzichtet, weil die Abschaltung der Kraftwerke nah bevorstand. Wenn Nachrüstungen erforderlich werden, kostet das Zeit und Geld. Wenn sich das für die Betreiber nicht lohnt, müsste der Staat mit neuen Subventionen einspringen.

Auch bei den Aufsichtsbehörden müsste wieder für ausreichend Personal gesorgt werden - entsprechend ausgebildet wurde in den letzten Jahren nur wenig.

Was würde eine Laufzeitverlängerung überhaupt bringen?

Für die Lösung der aktuellen Energiekrise kaum etwas. Atomkraftwerke produzieren Strom. Allerdings herrscht in Deutschland akut keine Stromknappheit, sondern eine Erdgasknappheit. Das Problem liegt in erster Linie im Wärmesektor, zu dem die Atomkraftwerke direkt nichts beitragen können.

Aus Erdgas wird in Deutschland vor allem Wärme hergestellt - nur ein geringerer Teil geht in die Stromproduktion. Allerdings würde ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke nach Einschätzung des Energie-Branchenverbands BDEW auch im Strombereich kaum Erdgas einsparen.

Der Hintergrund: Weil Erdgas inzwischen so teuer ist, kommen Gaskraftwerke ohnehin nur noch zum Einsatz, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Etwa in Heizkraftwerken, die auch unverzichtbare Fernwärme liefern. Als Ersatz für Erdgaskraftwerke stehen prinzipiell ausreichend Kohlekraftwerke bereit.

Wie stehen die Chancen, dass der Atomausstieg noch einmal verschoben wird?

Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering. Dafür müsste der Bundestag das Atomgesetz ändern und Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Konzerne die Kernkraftwerke praktisch in staatlichem Auftrag betreiben. Dazu ist die Ampel-Koalition nicht bereit, zumal die Bundesregierung den Weiterbetrieb der Reaktoren als unnötig ansieht. Weil die rechtlichen, organisatorischen und technischen Vorbereitungen für einen Weiterbetrieb umfangreich sind, müsste eine solche Entscheidung ohnehin schnell fallen, das Zeitfenster schließt sich.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!