Pünktlich zu Beginn des Landtagswahljahrs nimmt die CSU wieder den Länderfinanzausgleich ins Visier. Wegen der Silvesterkrawalle in Berlin forderte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kürzlich sogar Kürzungen für das Land Berlin: "In Europa wissen wir, dass die Rechtsstaatlichkeit in allen Ländern umgesetzt werden muss. Wenn das nicht in dem Maße stattfindet, wie die Gemeinschaft das erfordert, dann kann das finanzielle Sanktionen zur Folge haben."
Füracker: Bayern schultert mehr als die Hälfte des Finanzausgleichs
Was in Europa funktioniere, könnte laut Dobrindt natürlich auch in Deutschland funktionieren. Bayerns Finanzminister Albert Füracker, ebenfalls CSU, kritisierte zuletzt: Nach seinen Berechnungen habe das geschätzte Gesamtvolumen des Finanzausgleichs mit 18,5 Milliarden Euro 2022 einen neuen Höchststand erreicht. Bayern schultere mit 9,8 Milliarden Euro erneut mehr als die Hälfte des Ausgleichs.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kündigte an, vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen: "Wir klagen auf jeden Fall gegen den Länderfinanzausgleich, weil der völlig aus dem Ruder gelaufen ist", sagte der CSU-Politiker. Es wäre nicht der erste Anlauf. Schon 1999 und 2013 hatte Bayern gegen den Länderfinanzausgleich geklagt.

Länderfinanzausgleich: Bayern will klagen
Wie funktioniert der Finanzausgleich zwischen den Ländern?
Das Prinzip: Finanzstarke Geberländer wie Bayern leisten Ausgleichszahlungen an finanzschwache Nehmerländer, um die Einkommen aller Bundesländer möglichst auf den Bundesdurchschnitt zu bringen. So sollten, wie im Grundgesetz verankert, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland geschaffen werden.
Ab 1995 nahm das Volumen der Ausgleichszahlungen und damit auch die Belastung der Geberländer massiv zu. Denn nach der Wiedervereinigung wurden die neuen Bundesländer sowie Berlin ebenfalls ins System des Länderfinanzausgleichs aufgenommen.
Dieser sprunghafte Anstieg der Ausgleichszahlungen setzte sich in den Folgejahren ungebremst fort. Als Reaktion darauf folgte, im Jahr 2013, eine Klage der Geberländer Bayern und Hessen. Der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sprach von einem "Akt der politischen Notwehr". Bayern wolle zwar weiter Solidarität zeigen. Die gegenwärtige Regelung sei aber ungerecht und leistungsfeindlich. 2017 zogen Bayern und Hessen die Klage jedoch zurück, nachdem sich Bund und Länder auf eine Neuordnung der Finanzbeziehungen geeinigt hatten.
Belastung für Bayern stieg 2021 auf Rekordhoch
Der damalige CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer frohlockte: Die Reform "entlastet uns Bayern um rund 1,4 Milliarden Euro pro Jahr ab 2020". Finanzwissenschaftler bezweifelten das schon damals. Laut Thiess Büttner, Professor an der FAU Erlangen-Nürnberg, hatten die bayerischen Verhandler einen typischen Fehler gemacht: "Man hat auf das aktuelle Verteilungsergebnis geschaut, aber das Regelwerk nicht so aufgestellt, dass es zukunftsfest ist."
Heute zeigt sich, wie berechtigt die Zweifel waren: Die Belastung Bayerns durch den neuen Finanzausgleich stieg im Jahr 2021 auf ein Rekordhoch.
Was sich 2020 beim Finanzausgleich änderte
Beim neuen Finanzausgleich landet der Länderanteil der bundesweiten Umsatzsteuereinnahmen in einem zentralen Topf. Der wird, abhängig von der Bevölkerungsgröße, an die einzelnen Bundesländer verteilt. Das bevölkerungsreiche Bayern bekommt so zum Beispiel ein Vielfaches mehr ausbezahlt als der Stadtstaat Berlin. Der Anteil pro Kopf bleibt gleich.
Jedoch gibt es zusätzlich Zu- oder Abschläge, und zwar abhängig von der Finanzkraft der Länder. Sie bemisst sich an den Steuereinnahmen eines Landes. 2021 ergab sich für Bayern so eine Finanzkraftmesszahl von 122 Prozent im Vergleich zu 77 Prozent für Berlin.
Bayern trotz Neuordnung am stärksten belastet
Um diese Differenz auszugleichen, musste Bayern 2021 insgesamt Abschläge in Höhe von neun Milliarden Euro hinnehmen. Berlin dagegen erhielt 3,6 Milliarden Euro an Zuschlägen. In Bayern entspricht das rund 690 Euro Abschlag pro Kopf – gegenüber rund 980 Euro Zuschlag pro Kopf in Berlin (Quelle: Bundesfinanzministerium). Die finanzielle Belastung durch die Abschläge ist für Bayern heute also höher als zu Zeiten des alten Länderfinanzausgleichs.
Die CSU und Markus Söder müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie 2017, trotz Warnungen von Experten, eine Regelung als politischen Erfolg feierten, gegen die sie jetzt klagen wollen.
Finanzausgleich als Druckmittel im Wahlkampf?
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch von der Uni Magdeburg spricht von der Möglichkeit, Berlin als altes Feindbild zu re-etablieren: "Es geht Bayern ja nicht um den Finanzausgleich. Es geht um den bayerischen Wahlkampf. Damit man im Bierzelt ordentlich auf die Berliner einhauen kann: 'Die verprassen unser Geld. Wir sind fleißig, die sind faul!'"
Die Androhung einer Klage sei in erster Linie ein politisches Druckmittel im Wahlkampf, so Professor Renzsch.
Ist der Länderfinanzausgleich ungerecht?
Anders sieht das sein Kollege Thiess Büttner von der FAU Erlangen-Nürnberg. Der Finanzwissenschaftler begrüßt die Klageabsicht Bayerns: "Tatsächlich erfüllt der Finanzausgleich seine Funktion nicht mehr und ist in manchen Bereichen regelrecht pervertiert. Wenn ein Mehr an Steuereinnahmen zu einem Loch im Staatshaushalt führt, wird die Steuerhinterziehung zu einem patriotischen Akt. Das ist absurd."
Die Neuregelung des Finanzausgleichs schieße klar über das Ziel hinaus, sagt Büttner: "Der Freistaat hat beispielsweise im Jahr 2021 etwa 3.200 Euro pro Einwohner eingenommen, Berlin etwa 2.600 Euro. Nach dem Finanzausgleich hat der Freistaat gerade 4.000 Euro zur Verfügung, Berlin mehr als 5.000 Euro."
Wie aussichtsreich wäre eine erneute Klage?
Stefan Korioth, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der LMU München, räumt einer neuen Klage aus Bayern dennoch geringe Chancen ein. "Das Bundesverfassungsgericht hat immer gesagt: 'Wie stark Umverteilung stattfindet, ist eine politische Entscheidung. Wir schauen nur auf die äußersten Grenzen. Aus Arm darf nicht Reich werden und umgekehrt.' Wenn diese Grenzen eingehalten werden, ist es Sache der Politik, wie sehr man die Finanzkraft der Länder annähert."
Diese Begründung habe Bayern aus Karlsruhe schon mehrfach gehört, und eine neue Klage vor dem Verfassungsgericht würde wahrscheinlich wieder so ausgehen, sagt Rechtswissenschaftler Korioth auf BR-Anfrage.
Finanzwissenschaftler Büttner hält dagegen, dass Bayern kaum die Alternative habe, um politisch Einfluss zu nehmen. Den Weg über den Bundesrat hält er für versperrt, da die Nehmerländer dort "ein deutliches Übergewicht" hätten. Büttner zufolge hat Bayern wegen der Ungleichbehandlung für eine Klage sehr gute Argumente.
Wie sehr hat Bayern vom Finanzausgleich profitiert?
Was bei der bayerischen Kritik am Finanzausgleich zudem oft unter den Tisch fällt: Bayern war selbst von 1950 bis 1986 durchgehend Nehmerland. Insgesamt hat der Freistaat laut Finanzministerium rund 3,4 Milliarden Euro durch den Länderfinanzausgleich erhalten. Genau in diesen Zeitraum fällt auch Bayerns wirtschaftlicher Aufstieg vom Agrarland zum Industrie- und Technologiestandort, auf dem der heutige Wohlstand Bayerns fußt.
Den 3,4 Milliarden gegenüber stehen jedoch 108 Milliarden Euro, die Bayern in den Finanzausgleich eingezahlt hat. Auch wenn die Zahlen wegen der Inflation über den langen Zeitraum kaum vergleichbar sind, steht außer Frage: Bayern trägt seit Jahren die Hauptlast am Finanzausgleich der Länder. Und diese Last nimmt von Jahr zu Jahr zu.
Bayern muss aus der Vergangenheit lernen
Im Falle einer neuen Klage wäre es darum für Bayern wichtig, aus der Vergangenheit zu lernen, meint Finanzwissenschaftler Büttner. Bayern dürfe nicht nur auf das Verteilungsergebnis schauen, sondern müsse auf eine Reform des Regelwerks drängen.
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