Bayern hat das gleiche Ziel wie die gesamte Bundesrepublik: Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet werden. Noch sind es erst 13,3 Prozent im Freistaat, bundesweit 11,3 Prozent. Mehr Öko-Landbau bedeutet weniger Pestizideinsatz - ein Vorteil für den Schutz der Artenvielfalt. Aber mehr Öko-Felder könnten auch enorme Kosten vermeiden. Dazu hat ein Wissenschaftler-Team unter der Leitung von Prof. Kurt-Jürgen Hülsbergen von der TU München vor kurzem eine Studie vorgelegt. Mit dem zentralen Ergebnis: Pro Hektar, aber auch bezogen auf das jeweilige Produkt schneidet Öko-Landwirtschaft besser ab in Sachen Klimaschutz, aber auch beim Schutz des Grundwassers.
Studie mit realistischen Daten direkt von den Höfen
Das Besondere an der Studie: Die TU-Wissenschaftler haben 40 ökologisch wirtschaftende und 40 konventionelle Betriebe über zehn Jahre genau unter die Lupe genommen. "Wir haben ganz akribisch Daten erfasst, Kohlenstoff-, Stickstoff- und Energieströme ermittelt und daraus die Gesamt-Treibhausgas-Bilanz berechnet", so Hülsbergen. Die Differenz im Treibhausgasausstoß wurde mit dem Preis von 195 Euro pro Tonne verrechnet. Ein Wert, den das Umweltbundesamt mittlerweile höher ansetzt.
Bisher kaum im Fokus: Umweltkosten für die Gesellschaft
800 Euro weniger Kosten pro Hektar und Jahr berechnen die Wissenschaftler für die Öko-Landwirtschaft. "Wird weiterhin konventionell gewirtschaftet, dann fallen diese Umweltkosten real an. Und die muss die Gesellschaft tragen", sagt Kurt-Jürgen Hülsbergen. "Nur tauchen sie eben in den bisherigen Berechnungen überhaupt nicht auf." Das sichtbar zu machen, sei die Idee der Studie gewesen, so der Pflanzenbauwissenschaftler. Mit dieser Analyse ist Herbert Ströbel, Agrar-Professor der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, nicht einverstanden. Der emeritierte Hochschullehrer sagt, die Studie sei wissenschaftlich nicht seriös. Ist da was dran?
Kritik: Müssen Kosten für zusätzliche Flächen berücksichtigt werden?
Herbert Ströbel geht es darum, auch die Auswirkungen des Öko-Landbaus in Bezug auf die Erntemengen einzubeziehen. Da Öko-Landwirte keine Mineraldünger und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel einsetzen, fallen die Erträge je nach Betrieb und Kultur teils deutlich niedriger aus als in der konventionellen Landwirtschaft. "Auf den Minderertrag des Ökolandbaus kann ja nicht einfach verzichtet werden, sondern der muss ja irgendwo wieder ersetzt werden", argumentiert Prof. Ströbel. Dafür müsse zusätzlich Fläche genutzt werden, im In- oder Ausland. "Und dies verursacht erhebliche zusätzliche Kosten", sagt Herbert Ströbel. "Diese tauchen in der TU-Studie nicht auf."
Er rechnet vor, dass zunächst 800 Euro Produktionskosten für den Ersatz des geringeren Öko-Ertrags entstehen und durch mehr Flächennutzung wiederum Umweltkosten in Höhe von 800 Euro anfallen. So gesehen, sei der Öko-Landbau "ein Verlustgeschäft".
Was sagen die Autoren zur Kritik?
Kurt-Jürgen Hülsbergen reagiert gelassen auf die Kritik, die mittlerweile in mehreren Zeitschriften veröffentlicht wurde. Und hält dagegen: "Es gibt kein Naturgesetz, das festlegt, dass im Öko-Landbau nur 50 oder 60 Prozent der konventionellen Erträge erreicht werden." Seine Forschungsergebnisse zeigen, dass es erhebliches Potenzial für Ertragssteigerungen gibt. "Wir sehen heute schon, dass die besten Biobetriebe durchaus beim Ertrag mithalten können mit den mittleren konventionellen Betrieben. Das ist bemerkenswert." Aber es bestehe bei einigen Betrieben auch noch Verbesserungsbedarf, sagt Prof. Hülsbergen.
Mehr Öko-Landbau: Höherer Flächenbedarf für gleiche Menge an Lebensmitteln?
Doch was ist mit dem Argument von Herbert Ströbel, weniger Ertrag im Ökolandbau müsse durch mehr landwirtschaftliche Fläche ausgeglichen werden und in die Rechnung mit einfließen? Konkurrenz um Fläche gäbe es in vielerlei Hinsicht, meint Kurt-Jürgen Hülsbergen. Ein Blick auf die Entwicklung der letzten 15 Jahre zeige aber: "Der Automatismus, mehr Öko-Landbau sorge für mehr Lebensmittel-Importe, den gibt es nicht." Das sei mit statistischen Daten leicht zu überprüfen. "Wir haben in den letzten 15 Jahren eine Million Hektar mehr Öko-Landbau-Fläche bekommen. Und wir hatten vor 15 Jahren 87 Prozent Eigenversorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Heute haben wir immer noch 87 Prozent Eigenversorgung."
Trend zu weniger Fleisch setzt Flächen frei
Noch entscheidender aber sei die Zukunft unserer Ernährung, so der Wissenschaftler. "Wir erzeugen immer noch sehr viel Fleisch. Zum Beispiel Schweinefleisch, da haben wir mittlerweile eine Eigenversorgung von über 130 Prozent." Das sei möglich, weil wir in großem Umfang Soja und Sojaprodukte zukaufen, um in Deutschland Schweinefleisch zu produzieren. Mit dem Sojafutter gelangen enorme Nährstoffmengen nach Deutschland, die hohe Nährstoff- und Gülleüberschüsse erzeugen. "Das Fleisch exportieren wir dann teilweise wieder, zum Beispiel in den asiatischen Raum", so Hülsbergen weiter. Das sorge derzeit für erhebliche Umweltprobleme durch zu viel Stickstoff aus Gülle, das in Form von Nitrat Grundwasser belastet.
Hier sei der Öko-Landbau klar im Vorteil, weil die Anzahl der Tiere an die Fläche gebunden, Stickstoff kostbar und knapp sei. Aber allein auf Öko umzustellen, reiche nicht. Das ganze Agrar- und Ernährungssystem müsse umgestellt werden, erklärt der Wissenschaftler. "Es gibt ja ganz klar den Trend hin zu weniger Fleischkonsum. Der wird sich fortsetzen und sehr viel Fläche freisetzen." Entscheidend sei die Frage: "Wieviel Fleisch und tierische Produkte können und wollen wir uns künftig noch leisten?"
Sollen wir am politischen Ziel, Öko-Landbau auszudehnen, festhalten?
Agrarwissenschaftler Herbert Ströbel spricht sich klar dagegen aus, den Öko-Landbau auf das politisch gesteckte Ziel von 30 Prozent auszudehnen. Er sieht aber auch Verbesserungsbedarf bei der konventionellen Landwirtschaft. Diese müsse "ökologischer und nachhaltiger" werden. Dazu schlägt er vor, Pestizide zu entwickeln, die weniger giftig seien, und auch Strategien zum Humusaufbau aus der Öko-Landwirtschaft zu übernehmen. Energieaufwendig erzeugter Mineraldünger sollte in Zukunft nicht mehr mit fossilem Gas, sondern mit erneuerbaren Energien hergestellt werden. "Mir geht es darum, die Ökologisierung der Landwirtschaft auf breiter Basis zu erreichen und nicht mit einer Ideologie einen kleinen Teil der Produktion abzudecken."
Leistungen für die Gesellschaft: Umwelt- und Klimaschutz durch Öko-Landbau
Kurt-Jürgen Hülsbergen hält das politische 30-Prozent-Ziel dagegen für eine gute Idee im Hinblick auf die Vorteile für Umwelt und Klima. Die werden in einer Vielzahl an Studien bestätigt. Es reiche aber nicht, nur auf 30 Prozent Öko-Landbau umzustellen, "sondern die Produkte sollten auch möglichst regional verarbeitet werden." Er verweist auch auf die Entwicklung von Angebot und Nachfrage, die möglichst Hand in Hand gehen sollte. "Es gab Jahre, da hatten wir 18 Prozent Zuwachs bei der Nachfrage nach Öko-Produkten, aber es gab nur zwei oder drei Prozent Flächenzuwachs." Und das habe dazu geführt, "dass man eben viele Produkte zukaufen musste aus Italien und Österreich, so dass die Wertschöpfung und auch die positiven Umweltwirkungen gar nicht in Deutschland waren." Jetzt sei die Politik gefordert, die Weichen so zu stellen, dass mehr Bioprodukte abgesetzt werden.
Und seinem Kritiker Herbert Ströbel stimmt er in einigen Aspekten zu. 70 Prozent konventionell genutzte Agrarfläche blieben bestehen und müssten in Sachen Umwelt- und Klimaschutz optimiert werden. Auch dazu liefert Hülsbergens Studie konkrete Vorschläge.
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