Ukraine, Isjum: Ein Mitarbeiter der Rettungsdienste hält das Bein eines Zivilisten während einer Exhumierung im kürzlich zurückeroberten Gebiet von Isjum.
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In Regensburg beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen aus der Ukraine mit Kriegsverbrechen.

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Kriegsverbrechen: Forschen in sicherer Umgebung

In Regensburg beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen aus der Ukraine mit Kriegsverbrechen. Stipendien ermöglichen ihnen das Arbeiten ohne Kriegsalltag. Auch über die Zeit nach dem Krieg machen sie sich bereits Gedanken.

Oksana Senatorova kommt derzeit viel herum: Großbritannien, Polen, Italien. Die Jura-Professorin aus der Ukraine spricht europaweit auf Tagungen über die Verfolgung von Kriegsverbrechen. Diese Reisen wären kaum möglich, wäre sie nicht aus der Ukraine geflohen. Die Professorin stammt aus Charkiw, das gleich zu Beginn des Krieges enorm bedroht war. Gemeinsam mit ihren Eltern floh sie in die West-Ukraine. Als auch ihr Zufluchtsort bombardiert wurde, ging es weiter nach Deutschland.

Kontakte nach Regensburg bestehen schon lange

Da stand sie bereits mit Cindy Wittke vom Regensburger Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Kontakt. Die beiden Wissenschaftlerinnen kennen sich schon lange. Zusammen mit einer weiteren Juristin und einer Politikwissenschaftlerin wurde am Institut eine Arbeitsgruppe gegründet. Stipendien machen es möglich, dass ukrainische Wissenschaftlerinnen hier arbeiten können - in Sicherheit.

Zum Beispiel, wenn ein Schriftstück für den Internationalen Strafgerichtshof geschrieben werden muss. "Natürlich könnten sie das mit einem Diesel-Generator bei Stromausfall in einer U-Bahn-Station in Kiew schreiben. Aber das sind natürlich Arbeitsbedingungen, die es im Überlebenskampf des Alltags des Kriegs kaum möglich machen, solche Schriftstücke zu verfassen", sagte Wittke.

Ermittler und Zeugen zusammenbringen

Oksana Senatorova berät nun von Regensburg aus ukrainische Behörden, arbeitet an Gesetzentwürfen mit und hilft bei der Fortbildung von Staatsanwälten und Richtern in der Heimat beim Umgang mit Kriegsverbrechen. Zusammen mit Organisationen hat sie auch eine Plattform aufgebaut, die Ermittlern in vielen Ländern bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen helfen soll.

Viele Opfer und Zeugen sind in andere Länder geflohen. Das Projekt "Sunflowers" sammelt ihre Daten für Ermittler, die einen bestimmten Fall untersuchen. "Die Idee ist, dass der Internationale Strafgerichtshof oder nationale Ermittler in verschiedenen Ländern, zum Beispiel in Deutschland, diese Personen kontaktieren können, um die Informationen und die Beweise zu bekommen", sagt Senatorova.

Jetzt schon an später denken

Die Gruppe arbeitet auch daran, Standards für Zeugenbefragungen zu erarbeiten. Außerdem werden Möglichkeiten gesucht, die vielen Beweise systematisch zu dokumentieren. Das soll später die Arbeit von Gerichten, zum Beispiel am Internationalen Strafgerichtshof, erleichtern.

Auch Fragen, wie eine Ukraine nach dem Krieg aussehen könnte, stelle sich die Arbeitsgruppe schon heute, sagt Cindy Wittke. "Man muss sich jetzt schon Gedanken machen, wie man mit dem begangenen Unrecht umgeht, welche Formate das haben kann. Man muss jetzt den Bestand der Kriegsverbrechen der Menschenrechtsverletzungen aufnehmen." Das sei wichtig, wenn es um den Wiederaufbau und die Aussöhnung innerhalb der Ukraine gehe. "Und in einer sehr vagen Zukunft hoffentlich irgendwann auch zwischen Russland und der Ukraine", fügt die Forscherin hinzu.

"Viele mussten sich irgendwann verantworten"

Auch Oksana Senatorova hat die Hoffnung, dass irgendwann internationale Gerichte oder ein Sondertribunal über Kriegsverbrechen in der Ukraine urteilen werden. "Ich bin sicher, dass der Tag kommen wird", sagt die Professorin. Viele, die solche Taten in der Geschichte begangen haben, hätten sich irgendwann dafür verantworten müssen. Nicht alle, aber einige würden sich auch in Russland einen demokratischen Rechtsstaat wünschen, sagt Senatorova. "Und die wollen selbst, dass die Täter verfolgt werden."

Ende Mai endet ihr Aufenthalt in Regensburg. Die Jura-Professorin will dann zurück in die Ukraine gehen und vor Ort direkt an der Untersuchung und Aufklärung von Kriegsverbrechen mitarbeiten.

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