Schneeglöckchen sprießen
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Schneeglöckchen sprießen

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Klimawandel: Ist der phänologische Winter schon vorbei?

Erste Schneeglöckchen und Haselnusssträucher blühen schon. Sie zeigen an, dass der phänologische Frühling begonnen hat. Damit setzt sich dieses Jahr ein Trend des Klimawandels fort: Die Winter werden immer kürzer.

Zwar ist es in Bayern jetzt wieder kälter geworden. Aber zum Jahreswechsel war es so lange warm, dass Pflanzen und Tiere in diesem Jahr außergewöhnlich früh aufgewacht sind. "Die Natur ist schon ungewöhnlich weit", sagt Angelika Nelson vom Landesbund für Vogelschutz. Vögel und Igel sind aktiv geworden – sogar erste Stechmücken hat die Biologin vom LBV-Zentrum in Cham beobachtet. Frühblüher haben angefangen, zu sprießen. Und eine Pflanze, auf die Wissenschaftler besonderes Augenmerk legen: die Hasel. Vielerorts in Bayern blüht sie schon seit Tagen. "Normalerweise passiert das erst im Februar", sagt Angelika Nelson.

Phänologie gibt Auskunft über den Klimawandel

Haselnuss und Schneeglöckchen gehören zu den Zeigepflanzen, anhand derer Agrarmeteorologen vom Deutschen Wetterdienst (DWD) beobachten, wie sich die Natur entwickelt. Wenn sie blühen, ist das ein Zeichen dafür, dass der sogenannte phänologische Frühling begonnen hat. Beziehungsweise der "Vorfrühling". Denn die Phänologen – die die periodisch wiederkehrenden Entwicklungserscheinungen in der Natur beobachten - teilen das Jahr nicht in vier, sondern in zehn Jahreszeiten ein. Aus ihrer Statistik zur Vegetation lassen sich dann Rückschlüsse auf Klimaveränderungen ziehen.

Wenn bei Angelika Nelson im Landkreis Cham also schon die Hasel blüht – heißt das, der phänologische Winter ist vorbei?

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Mit der Haselblüte beginnt in der Phänologie der Frühling

Frühlingsbeginn im Januar?

Ganz so einfach ist es nicht. Mehr als 1.000 Ehrenamtliche in ganz Deutschland beobachten für den Wetterdienst die Natur und melden, wenn sie bestimmte Merkmale an Pflanzen sehen. Daraus wird ein mittlerer Termin berechnet. Nachdem über die Hälfte der Beobachter schon blühende Haselsträucher gesichtet hatte, datierte der Wetterdienst den Frühlingsbeginn auf den 15. Januar. So früh wie nie. Aber weil noch einige Meldungen fehlen und es jetzt wieder kalt geworden ist, wird sich der Tag wohl doch noch etwas nach hinten verschieben.

Winter werden immer kürzer

So oder so setzt sich insgesamt der Trend fort, dass der Frühling immer früher beginnt. "Die Wintersaison verkürzt sich deutlich", sagt Gudrun Mühlbacher, die das regionale Klimabüro des DWD in München leitet. "Wir sehen schon lange an den Daten, dass die Pflanzen im Frühjahr eher austreiben." In den vergangenen dreißig Jahren war der Winter noch durchschnittlich 95 Tage lang, in der Saison 2021/22 mehr als zwei Wochen kürzer. Diese Verschiebung finde ausschließlich im Frühjahr statt, sagt Mühlbacher. Denn im Herbst orientiert sich der phänologische Winterbeginn daran, wann Stieleichen ihre Blätter abwerfen. Und das hängt nicht mit steigenden Temperaturen, sondern mit der Sonneneinstrahlung zusammen.

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Jahreszeiten nach der phänologischen Uhr, Stand 17.1.2023, der äußere Ring zeigt das vieljährige Mittel

Auch wenn man ausschließlich auf Daten aus Bayern schaut, ergibt sich ein ähnliches Bild. Zwar dauert der Winter in Bayern durchschnittlich zehn Tage länger als in Gesamtdeutschland. Aber auch hier war es laut DWD nach Weihnachten teilweise über sechs Grad zu warm. Deshalb haben die Haselnusssträucher in weiten Teilen des Freistaats sehr früh angefangen, zu blühen.

Spätfrost bereitet Pflanzen mehr Probleme

Die lange Warmperiode um Silvester war in diesem Jahr besonders ungewöhnlich. An vielen Orten habe es Temperaturmaxima gegeben, die der DWD noch nie gemessen hat, sagt Mühlbacher. "Normalerweise reden wir in der Meteorologie im Winter von mild, aber 20 Grad sind für mich warm."

Und inzwischen liegen die Temperaturen wieder unter null Grad. Für einige Tiere ist das Auf und Ab ein Problem. Igel zum Beispiel fahren ihren Organismus hoch, müssen dann aber wieder zurück in den Winterschlaf finden. Das zehrt an den Energiereserven und macht anfälliger für Krankheiten.

Pflanzen stoppen ihr Wachstum, wenn es wieder kalt wird. Haben sie bei warmem Wetter aber schon sehr weit ausgetrieben, ist später Frost problematisch, sagt die Meteorologin Mühlbacher: "Schäden sind dann einfach größer, als wenn die Pflanzen später ausgetrieben hätten."

Weniger Schnee

Mühlbacher prognostiziert, dass die Temperaturen auch in Zukunft im Winter schwanken werden. Es werde weiterhin sehr kalte Tage geben. Aber das Niveau, um das sich die Schwankungen bewegen, habe sich erhöht, sagt sie. Die Temperatur im vergangenen Dezember lag in Bayern zwei Grad über dem langjährigen Mittel. Insgesamt wird es wärmer.

Neben dem gestörten Naturrhythmus wird das noch mehr Konsequenzen haben. Studien zeigen, dass selbst im Alpenraum immer weniger Schnee liegt – und über einen kürzeren Zeitraum.

Hochwasserrisiko schon früher im Jahr

"Weil es wärmer wird, fällt der Niederschlag als Regen und nicht als Schnee", sagt Gudrun Mühlbacher vom DWD. Deswegen habe es auch erste Probleme mit Hochwasser gegeben. Das war vor allem im Norden Bayerns der Fall.

Und auch Allergiker könnten mit dem Klimawandel früher im Jahr Schwierigkeiten bekommen. Der DWD habe bereits Pollenwarnungen herausgegeben, sagt Mühlbacher. Das sei sehr erstaunlich in diesem Jahr. Aber womöglich wird es bald neue Normalität.

Erst Frühlingserwachen, anschließend gleich zurück in den Winterschlaf: Es ist seit Wochen ein Auf und Ab mit den Temperaturen.
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Erst Frühlingserwachen, anschließend gleich zurück in den Winterschlaf: Es ist seit Wochen ein Auf und Ab mit den Temperaturen.

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