Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler)
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"Klimahysterie": Aiwangers Urteil zu Aktivisten ist irreführend

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wetterte am Dienstag gegen das Unwort des Jahres und kritisierte die Klimabewegung scharf. Sie habe einen "fast bewaffneten Arm" und sogar Autohäuser würden angezündet. Stimmen diese Aussagen? Ein #Faktenfuchs.

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat die Wahl für das Unwort des Jahres kritisiert – und dabei gegen die Klimabewegung ausgeteilt. Wegen der Wahl des Worts "Klimahysterie" warf er der Jury vor, sich politisch anzumaßen, "zu sagen, die Klimabewegung darf nicht diffamiert werden". Darüberhinaus kritisierte er auch die Klimabewegung scharf, indem er ihr vorwarf, über einen "fast bewaffneten Arm" zu verfügen. Es reiche sogar bis hin zu Leuten, die im Namen der Klimabewegung "Autohäuser anzündeten". Stimmen diese Aussagen? Welche Vorfälle meint Aiwanger?

Gibt es einen "bewaffneten Arm" der Klimabewegung?

Wirtschaftsminister Aiwanger antwortete auf Anfrage von BR24 am Donnerstagabend: "Im Umfeld der 'Klimabewegung' tummeln sich Leute und Gruppierungen, die auch vor kritikwürdigen Aktionen nicht zurückschrecken." Aiwanger verweist dabei auch auf Aktionen, die seiner Ansicht nach den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllen. Ob Aiwanger damit den "fast bewaffneten Arm" meint, ist unklar - eine konkrete Nachfrage ließ der Wirtschaftsminister unbeantwortet.

Protestforscher Simon Teune von der Technischen Universität Berlin beschäftigt sich mit der Klimabewegung. Er sagt: "Von einem bewaffneten Arm der Klimabewegung zu reden, ist Humbug. Herrn Aiwanger geht es offensichtlich darum, das Engagement gegen die Klimakrise zu schmähen."

Berlin: Zahlreiche abgebrannte Autos

Von BR24 nach konkreten Fällen gefragt, lenkt Aiwanger die Aufmerksamkeit nach Berlin. Dort seien im vergangenen Jahr 550 Autos abgebrannt. In "Bekennerschreiben" bezögen "sich Gewalttäter auf die Klimabewegung". Die Polizei in Berlin wertet Aiwangers Aussage als "ein bisschen einfach formuliert". In Berlin gab es einem Sprecher zufolge im vergangenen Jahr 99 Autos, deren Abbrennen politisch motivierter Brandstiftung zugeordnet wird. Darin sind rechts wie links motivierte Taten eingerechnet. Einzelne Verbindungen zur Klimabewegung seien denkbar. Die absolute Mehrzahl der 550 Fälle sei allerdings nicht politisch motiviert.

Jedoch sorgte ein Fall im Sommer 2019 für Aufsehen: Es handelte sich um einen Brand in einem Kabelschacht der Berliner S-Bahn, der den Bahnverkehr teilweise zum Erliegen brachte. Die Folge war ein Verkehrschaos in der Hauptstadt. Online veröffentlichten Unbekannte ein Bekennerschreiben, in dem sich die linksextreme Gruppe "Vulkangruppe OK" selbst in die Nähe von Fridays for Future rückte. Die lokale FfF-Bewegung distanzierte sich anschließend mit den Worten "Wir als 'Fridays for Future' haben mit der Aktion nichts zu tun" von dem Anschlag und fügte hinzu: "Wir werden weiterhin auf die Straße gehen, aber als friedliche Bewegung wird der Streik unser Mittel sein."

Autohaus in Hessen demoliert

Auch ein Fall in Hessen im August 2019 verlangt nach einer Einordnung. In einem Autohaus in Kronberg im Taunus hatte eine Gruppe Maskierter mehr als 40 Autos mit Steinen demoliert, jedoch nicht angezündet. Nach dem Angriff gab es ein vermeintliches Bekennerschreiben einer unbekannten Gruppe. In diesem wurden Autos "Dreckschleudern" genannt und die IAA als eine "Propagandashow" bezeichnet.

Das zuständige Polizeipräsidium Westhessen stellt auf BR24-Anfrage klar: Es gebe keinen Tatverdacht zu einer konkreten Person und entsprechend werde weiterhin ermittelt. Darüberhinaus könne bisher nicht final festgestellt werden, ob das Bekennerschreiben echt sei, da der Inhalt des Schreibens zum Tathergang kein besonderes Täterwissen aufweise.

Gibt es Fälle in Bayern?

Gab es ähnliche Vorfälle in Bayern? In Passau brannte Anfang Oktober letzten Jahres ein Autohaus, bei dem drei Fahrzeuge schwer beschädigt wurden. Der Schaden belief sich laut Polizei auf rund 150.000 Euro.

Das Polizeipräsidium Niederbayern teilt auf Anfrage mit, dass bisher keine Tatverdächtigen ermittelt wurden. Es gebe keine Hinweise auf Brandstiftung, sie könne aber auch nicht ausgeschlossen werden - ein technischer Defekt jedoch auch nicht. Die Ermittlungen werden jetzt zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft weitergegeben.

Auch eine weitere Meldung ging in den letzten Monaten durch die Medien: In München wurden SUV mit "Du stinkst"-Zetteln mit nicht abwaschbarem Leim beklebt. Hier ermittelt der Staatsschutz.

Proteste gegen Automobilmesse

Für Schlagzeilen sorgten auch die Proteste rund um die Automobilmesse IAA, als sich mehrere Hundert Demonstranten vor der Messe niederließen und den Zugang blockierten. Zur Blockade hatte das Bündnis "Sand im Getriebe" aufgerufen. Rund um die Messe demonstrierten tausende Menschen friedlich gegen die Messe und für eine Wende zu klimafreundlichem Straßenverkehr.

Forscher: "Ziviler Ungehorsam als die ultima ratio"

Protestforscher Teune erkennt aber in der Klimabewegung keine strategischen Ideen von Gewalt: "Anders als in anderen Bewegungen ist Sachbeschädigung oder der Angriff auf Menschen für niemanden in der Klimabewegung eine Option. Alle relevanten Gruppen betrachten zivilen Ungehorsam als die ultima ratio." Protestkundgebungen der Klimabewegung "Fridays for Future" blieben bisher friedlich.

Andere Aktivisten wie "Extinction Rebellion" ketten sich an Gebäude oder blockieren Straßen. So blockierten sie die Berliner Oberbaumbrücke oder die Deutzer Brücke in Köln. Im Juni ketteten sich mehr als 20 Aktivisten am Kanzleramt fest. Das sorgt für Stau und Unmut bei Autofahrern.

Der Protestforscher sieht die ganze Klimabewegung als radikal – aber nicht im Sinne von extremistisch: "Radikal ist die Bewegung, weil sie in Frage stellt, wie wir auf Kosten anderer wirtschaften. Natürlich sind das radikale Ideen."

Fazit

Es gibt derzeit keine Hinweise auf einen bewaffneten Arm in der Klimabewegung. Gewalt ist laut Protestforscher Teune bei den großen Protesten von Fridays for Future oder Extinction Rebellion kein Thema und auch nicht gewollt. Es gibt vereinzelte Vorfälle, die mit der Klimabewegung in Verbindung gebracht werden, bei denen die Hintergründe aber nicht abschließend geklärt sind. In Bayern gab es nach bisherigem Ermittlungsstand kein Autohaus, das von Klimaaktivisten angezündet wurde. Minister Aiwanger hat seine Vorwürfe nicht weiter ausgeführt. Entsprechend ist sein Verdacht pauschal, nicht konkretisiert und führt folglich in die Irre.

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