Eine Frau führt ein Kind an der Hand
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Alleinerziehende, bei denen der Vater nicht zahlt, profitieren kaum von höheren Leistungen.

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Kinderarmut: Erhöhte Leistungen kommen oft nicht an

Die Ampel-Regierung hat sich den Kampf gegen Kinderarmut auf die Fahnen geschrieben. Aber bei den wirklich Armen kommen die seit Januar erhöhten Leistungen so gut wie nicht an, wie Kontoauszüge von Alleinerziehenden in Bayern zeigen.

Dana M. und ihr zweijähriger Sohn Junior sind im Dauerstress. Ein paar Stunden in der Woche arbeitet sie als Mini-Jobberin in einem Zentrum für Alleinerziehende in Erlangen. Ihr Sohn ist auch im Job immer dabei – denn einen Krippenplatz hat die alleinerziehende Mutter bisher nicht gefunden. Dana M. bezieht Bürgergeld und einen staatlichen Unterhaltsvorschuss von 187 Euro im Monat. Denn der Vater hat seit der Geburt nichts für seinen Sohn bezahlt.

Dana M. freute sich über die von der Bundesregierung angekündigten Erhöhungen der familienpolitischen Leistungen: höhere Sätze für den Unterhalt des Kindes, für das inzwischen in Kraft getretene Bürgergeld – und das höhere Kindergeld von 250 Euro im Monat. Aber die Alleinerziehende ist enttäuscht: Sie bekommt seit Januar vom Staat nur zehn Euro mehr aufs Konto.

Leistungen gelten als "Einkommen des Kindes"

Bei Alleinerziehenden, die Unterhaltsvorschuss wie Dana M. beziehen, kommen die Erhöhungen quasi nicht an. Das liegt an der Verrechnung der staatlichen Zahlungen. Sowohl Kindergeld als auch Unterhaltsvorschuss gelten als eigenes Einkommen vom Junior. Das bedeutet: Die 250 Euro Kindergeld und der höhere Unterhaltsvorschuss werden vom höheren Bürgergeld wieder abgezogen. Fast ein Nullsummenspiel.

Dies bestätigt auf Anfrage des BR auch die Bundesagentur für Arbeit – an dieser Praxis ändere auch das neue Bürgergeld nichts, "vielmehr werden die vorrangigen Leistungen wie Kindergeld, Unterhaltsvorschuss wie bisher auch auf das Bürgergeld angerechnet und wirken sich in der Folge in der Regel nicht erhöhend aus".

Ausgerechnet jene Gruppe, die auf staatliche Leistungen am dringendsten angewiesen ist - die Alleinerziehenden ohne Unterhalt des Vaters - profitieren kaum von den höheren Familienleistungen. "Wir haben nur diese Einnahmen – dass das voneinander abgezogen wird, ist eine Frechheit", sagt Dana M., "wir sind eine Gruppe, die von den Erhöhungen gar nichts hat".

Viele Kinder in teuren Städten wie München betroffen

Dana M. ist kein Einzelfall, das bestätigt Kerstin Brönneke, Sachgebietsleiterin für Beistandschaften im Münchner Jugendamt. Etwa 1.200 Kinder in München müssen mit dem staatlichen Unterhaltsvorschuss auskommen, weil die Väter nicht zahlen wollen oder nicht zahlen können. Tendenz steigend.

Die Jugendamts-Mitarbeiterin geht davon aus, dass die Zahl in teuren Städten wie München noch zunehmen wird. Denn viele Väter verdienten nicht genug, um den von der Bundesregierung erhöhten Mindestunterhalt für ihre Kinder zu stemmen. Etwa die Hälfte der Nichtzahler - meist Väter - verfügte schon in der Vergangenheit über ein zu geringes Einkommen, so Brönneke.

"Bei den Elternteilen, die nicht zahlen können, haben wir die Situation, dass sie selber in sehr engen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, dass sie Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, dass sie Geringverdiener sind, dass sie Bürgergeld beziehen, dass sie mehrere Kinder haben – und dass dann eben für das einzelne Kind wenig übrig bleibt." Kerstin Brönneke, Jugendamt Stadt München

Staat kann nur einen Teil des Geldes zurückholen

Der Staat versucht, sich den Unterhaltsvorschuss bei säumigen Zahlern zurückzuholen. Darauf spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Finanzen, einer Unterbehörde des Bayerischen Finanzministeriums, treiben bei "Unterhaltsprellern" - in der Regel Väter - die Schulden wieder ein. Bayern liegt mit einer Rückholquote von 24 Prozent etwas über dem Bundesdurchschnitt von 20 Prozent.

Die Mitarbeitenden des Landesamtes für Finanzen haben auch Einsicht in Steuerbescheide und können sich die wahren Einkommensverhältnisse der Schuldner offenlegen lassen. Nicht immer sei jedoch etwas zu holen, teilt das Bayerische Landesamt für Finanzen auf Anfrage des BR mit.

"Ein Großteil sieht sich finanziell nicht in der Lage, den geschuldeten gesetzlichen Mindestunterhalt aufzubringen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Unterhaltspflicht gegenüber mehreren Kindern besteht oder bereits über einen längeren Zeitraum größere Unterhaltsrückstände aufgelaufen sind." Pressestelle, Bayerisches Landesamt für Finanzen

Aufenthalt des Vaters unbekannt

Im Fall von Dana M. ist der Aufenthalt des Vaters unbekannt – das Jugendamt sucht nach ihm. Alle Kontakte, E-Mail-Adressen, Social-Media-Accounts hat sie an die Mitarbeiterinnen dort weitergegeben. Sie hofft, dass irgendwann Unterhalt vom Vater fließt. Selbst wenn Juniors Vater nicht mehr überweisen würde als der Staat bisher, hätte sie einen Vorteil. Dana M. würde nicht mehr das komplette Kindergeld abgezogen, sondern nur noch die Hälfte. 125 Euro im Monat hätte sie dann mehr auf dem Konto.

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