Queere Gläubige lehnen sich auf gegen die Moralvorstellungen der katholischen Kirche.
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Queere Gläubige lehnen sich auf gegen die Moralvorstellungen der katholischen Kirche.

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#OutInChurch: 125 Angestellte der katholischen Kirche outen sich

In einer bundesweiten Aktion haben sich 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche öffentlich geoutet – nicht alle mit Namen und Gesicht. Sie befürchten Anfeindungen. Einigen könnte sogar die Kündigung drohen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ein Plakat in Regenbogenfarben an der Pforte der Augustinerkirche mitten in Würzburg. Als Zeichen für eine offene, diskriminierungsfreie Kirche. Ob schwul, lesbisch, bi-, transsexuell oder nonbinär, kurz LGBTIQ+-Menschen: Alle sollen einen Platz haben dürfen. Oder? "Ich habe früh gelernt, mein Schwulsein gut zu verbergen. Weil ich mich selbst schützen wollte. Ich wollte mich nicht unangenehmen Situationen aussetzen und Gefahr laufen, verspottet zu werden." Stephan Schwab ist Jugendpfarrer in Würzburg. Und er ist schwul.

  • Zum Artikel: "Transgeschlechtliche Menschen erleben viel Diskriminierung"

Religionslehrende, Pflegekräfte, Priester outen sich in bundesweiter Aktion

Um anderen queeren Gläubigen ein Vorbild zu sein, geht er mit seiner sexuellen Orientierung jetzt an die Öffentlichkeit. Er ist Teil einer deutschlandweiten Initiative. Unter dem Hashtag #OutInChurch outen sich heute 125 Priester, Gemeindereferentinnen, Religionslehrende, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter und viele andere Gläubige in katholischen Einrichtungen - nicht alle mit Namen und Gesicht. Sie fürchten Anfeindungen und könnten sogar ihren Job verlieren.

Würzburger Pfarrer: "Klima der Angst"

Dass die Kirche derart ins persönliche Leben ihrer Mitarbeitenden eingreift, widerspricht den Menschenrechten und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), findet Burkhard Hose, Hochschulpfarrer in Würzburg und ebenfalls Teil der Initiative:

"Es produziert ein Klima der Angst. Das ist ja auch Thema unserer Aktion: Wir wollen aus dem Heimlichen heraus, wir wollen, dass sich queere Gläubige mit ihrer Identität und Sexualität zeigen können, dass ihre Qualitäten und Erfahrungen anerkannt werden." Burkhard Hose, Hochschulpfarrer in Würzburg

Kündigung wegen eingetragener Lebenspartnerschaft

Die Furcht vor dem Vorgehen der Kirche ist nicht unbegründet: Carla Bieling war 13 Jahre lang Dekanatsreferentin für Jugend und Familie im Bistum Paderborn. Zwei Wochen vor Beginn des Mutterschutzes wurde ihr gekündigt. Weil sie in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft mit ihrer Freundin lebt - so steht es schwarz auf weiß in der Begründung. Denn in einem Dienstverhältnis mit der katholischen Kirche gilt ihre Lebensform als "Loyalitätsverstoß". Bis heute ist Bieling schwer erschüttert. "Ich fühlte mich gedemütigt, da so rausgetreten zu werden."

Queere Paare führen ein Doppelleben

"Es gibt für Menschen wie mich, für schwule oder andere queere Personen, keine Rechtssicherheit", sagt der Initiator von #outinchurch, Jens Ehebrecht-Zumsande, Theologe in Hamburg. Auch Monika Schmelter und Marie Kortenbusch aus dem Bistum Münster haben lange mit der Angst gelebt, entdeckt zu werden. Schmelter erinnert sich: "In einem katholischen Setting kann man mit niemandem darüber sprechen." 40 Jahre lang haben die beiden Frauen ihre Beziehung geheim gehalten. "Wir haben unser Doppelleben perfektioniert. Ich bin zum Beispiel jeden Tag 120 Kilometer zur Arbeit und zurück gefahren." Damit niemand von ihrer lesbischen Beziehung erfährt.

  • Mehr über Marie Kortenbusch und Monika Schmelter in der exklusiven ARD-Doku: Wie Gott uns schuf

Kirchenrechtler: "Gleichgeschlechtliche Liebe entkriminalisieren"

Professor Dr. Thomas Schüller ist Kirchenrechtler an der Universität Münster und berät queere Gläubige zu ihren Rechten. Er fordert, dass es längst an der Zeit wäre, über eine Veränderung der Sexualmoral zu diskutieren. "Dass man endlich gleichgeschlechtliche Liebe entkriminalisiert und sie stattdessen als Ausdruck der Liebe Gottes bezeichnet." Dem schließt sich Burkhard Hose an: "Wenn sich die Kirche da nicht ändert, im System und in der Lehre, dann droht sie zu versekten und an gesellschaftlicher Relevanz zu verlieren."

Laut katholischem Katechismus ist Homosexualität eine "schlimme Abirrung"

Lange hat auch Stephan Schwab sein Schwulsein geheim gehalten. Denn Priester wie ihn dürfte es laut katholischer Sittenlehre gar nicht geben. Zur Weihe werden nämlich offiziell nur heterosexuelle Männer zugelassen. Warum das so ist, erklärt Professor Schüller: "Weil die katholische Kirche naturrechtlich so argumentiert, dass diese sexuellen Akte widernatürlich seien. So steht es im Katechismus."

Schwul zu sein spricht gegen die katholischen Sittenlehre

Als zölibatär lebender Priester lebt Stephan Schwab seine sexuelle Orientierung zwar nicht aus. Trotzdem widersetzt er sich mit seinem Schwulsein der katholischen Sittenlehre – das erfordert nach wie vor Mut. "Sich mit der Kirche zu identifizieren, fällt nicht immer leicht. Aber was passiert, wenn ich den anderen das Feld gänzlich überlasse?"

All diese queeren Menschen prägen das Gesicht der Kirche längst mit

Einfacher wäre es sicherlich zu gehen. Aber er und 124 weitere queere Gläubige bleiben. Um daran mitzuarbeiten, die Kirche zu einem Ort für alle zu machen. Burkhard Hose: "Sonst würde ich mich ja der Logik beugen, dass ich mit meiner sexuellen Orientierung falsch bin. Ich will, dass sich die Kirche ändert, ich will dass die Diskriminierung aufhört. Und die Angst."

Ob schwule, lesbische, trans-, inter-, bisexuelle oder nonbinäre Gläubige: Sie alle prägen längst das mit, was viele Menschen vor Ort als Gemeinde und Kirche tagtäglich erleben.

Ausführlich begleitet die ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" die Menschen der Initiative #OutInChurch beim Kampf um ihre Kirche. Heute Abend, 24. Januar 2022, um 20.30 Uhr im Ersten - oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.

Kreuz vor Regenbogenfarben
Bildrechte: Carolin Hasenauer BR
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Queere Gläubige lehnen sich auf gegen die Moralvorstellungen der katholischen Kirche.

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