Andreas Perr
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Andreas Perr

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Katholische Basis sammelt Spenden für Klage gegen Ex-Papst

Mehrere katholische Initiativen sammeln Geld für einen Missbrauchsbetroffenen für die Gerichtskosten beim Landgericht Traunstein. Während der Täteranwalt eine Klageabweisung erwirken will, spielen der Ex-Papst und das Erzbistum München auf Zeit.

Ein 38-jähriger Mann aus dem oberbayerischen Garching an der Alz will Gerechtigkeit. Als Kind wurde er von einem katholischen Priester missbraucht. Jetzt hat er eine Petition gestartet und fordert: Eine staatliche Kommission wie in Frankreich müsse den sexuellen Missbrauch in der Kirche aufarbeiten.

Andreas Perr will sich nicht mehr verstecken. Deshalb ist er jetzt an die Öffentlichkeit gegangen mit einer Petition und seinem Namen. Immer noch sei da dieses Gefühl von Scham. Das will er überwinden. Denn schämen müssten sich eigentlich andere, sagt Andreas Perr im Gespräch mit dem BR, Correctiv und der ZEIT. Allen voran der Täter, der inzwischen laisierte Priester H..

Als Gemeindepfarrer in Garching an der Alz zeigte er 1996 dem 12-Jährigen Andreas Pornos, fasste ihn dabei an, befriedigte sich. Zehn Jahre vorher war H. in einer anderen Pfarrei im Landkreis Ebersberg wegen sexuellen Missbrauchs in 10 Fällen von einem örtlichen Gericht schuldig gesprochen worden. Trotzdem setzte ihn die Bistumsleitung wieder in der Pfarrseelsorge ein. Kirchenintern war bereits seit den 70er Jahren aktenkundig, dass H. pädophil und ein Missbrauchstäter war. Andreas Perr hält deshalb auch diejenigen für mitschuldig, die damals in der Verantwortung standen, als der Priester 1980 aus dem Bistum Essen nach Bayern kam, und die ihn in der Folge mehrfach versetzten.

Beklagt: das Erzbistum und die Erzbischöfe - auch Joseph Ratzinger

Deshalb hat der 38-Jährige Ende Juni eine Feststellungsklage beim Landgericht Traunstein eingereicht: Das Gericht soll juristisch prüfen, ob neben dem Täter H. auch das Erzbistum München und Freising "gesamtschuldnerisch" für den Schaden aufkommen muss, der ihm durch den Missbrauch entstanden ist. Beklagt sind zudem die ehemaligen Erzbischöfe Kardinal Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt. Laut dem Anwalt von Andreas Perr, dem Berliner Verteidiger Andreas Schulz, ist die Verjährung für eine solche Feststellung kein Hindernis. Andreas Perr wurde infolge des Missbrauchs schwer drogenabhängig - das attestiert ein ärztliches Gutachten. Er rutschte in die Beschaffungskriminalität ab, saß auch im Maßregelvollzug. Heute ist er clean und arbeitet als Mechaniker.

Die Klage sei bislang nicht abgewiesen worden, so Perr, wie es sonst in vielen Fällen passiere. "Ich bin eigentlich sehr stolz darauf, dass jetzt etwas geschieht."

Mehrere katholische Initiativen haben jetzt unter dem Hashtag #kircheohnemissbrauch einen gemeinsamen Spendenaufruf für die Traunsteiner Klage gestartet. Mit dabei ist neben der "Betroffeneninitiative Süddeutschland" auch die "Initiative Sauerteig", die sich in Garching an der Alz für Aufarbeitung einsetzt. "Wir möchten ihn unterstützen, damit er in der Lage ist, einen zivilrechtlichen Prozess zu führen", sagt die Lehrerin Rosi Mittermeier, Sprecherin der Initiative. "Eine solche Klage ist ja ein finanzielles Risiko. Damit Andreas Perr sich das trauen kann, haben wir diesen Spendenaufruf gestartet."

Missbrauchsopfer, die per Schadenersatzklage auf ihr Recht pochen möchten, scheitern oft an den Kosten eines solchen Verfahrens. Das sei ein echtes Hindernis, sagt Matthias Katsch. Er ist Sprecher des Vereins "Eckiger Tisch", der das Crowdfunding ebenfalls unterstützt. "Denn es geht um eine Feststellung in der Hinsicht, dass die katholische Kirche für den Schaden, den sie angerichtet hat, haften muss. Sie muss dafür einstehen und es geht nicht, dass sie versucht, sich mit selbst organisierten Anerkennungszahlungen aus der Affäre zu ziehen, wie sie das seit 12 Jahren tut."

Gericht verlängert Frist für Ex-Papst zur Klageerwiderung

Wie das Landgericht Traunstein dem BR, Correctiv und der ZEIT auf Anfrage mitteilte, wird erst Ende Januar entschieden, ob und wann eine mündliche Verhandlung stattfindet. Dem emeritierten Papst hat das Gericht eine Fristverlängerung für die Klageerwiderung bis 24. Januar eingeräumt, ebenso dem Erzbistum München und Freising und dem Erzbischof im Ruhestand, Kardinal Friedrich Wetter. Fristgerecht antwortete bisher nur der Anwalt des Täters H. In seiner Klageerwiderung, die dem BR, Correctiv und der ZEIT vorliegt, bestreitet er die Rechtmäßigkeit und beantragt die Abweisung der Klage. Das Gericht dagegen will das Verfahren als Ganzes beurteilen, wie eine Sprecherin des Landgerichts auf Nachfrage mitteilte, nämlich dass "über die Klage insgesamt entschieden" werde, und "nicht über einzelne Anträge".

Viele Betroffene setzten große Hoffnungen in das Verfahren, sagt Mathias Katsch vom Eckigen Tisch. Es sei auch deshalb so wichtig, weil es sich auch gegen den emeritierten Papst und Erzbischof von München Joseph Ratzinger richte. "Es wird deutlich, dass wir es hier nicht nur mit dem Versagen einzelner zu tun haben, sondern dass dahinter auch ein System steht. Dieser Missbrauch mit System, der wird jetzt vor den Schranken eines deutschen Gerichts verhandelt. Das ist ein wichtiges Signal."

Andreas Perr will dieses Signal setzen - ein wichtiger Schritt für ihn, um aus der Opfer-Rolle herauszukommen, gegenüber der mächtigen Institution Kirche.

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