Archivbild: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa Pool | Bernd von Jutrczenka

Archivbild: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Jüdisches Leben: Zwischen Alltag, Krieg und Antisemitismus

Festakt im Kaisersaal der Münchner Residenz zu 1.700 Jahre jüdischem Leben in Deutschland. Wegen Corona war der Empfang verschoben worden - und fand nun auch unter dem Eindruck des russischen Krieges in der Ukraine statt.

Als erster Nachweis jüdischen Lebens in Deutschland gilt ein Edikt Kaiser Konstantins in Köln aus dem Jahr 321. Was folgte, war eine wechselvolle Geschichte - mit dem Holocaust im Nazi-Deutschland als beispiellosem Höhepunkt der Verfolgung und Vernichtung. Von jüdischem Leben zwischen Alltag und Antisemitismus haben im vergangenen Jubiläums-Jahr unter dem Titel "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" Hunderte Veranstaltungen erzählt, auch der Bayerische Rundfunk hat berichtet. Zum Staatsempfang am Montagabend im Kaisersaal der Residenz kamen neben Vertretern der Staatsregierung auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.

Schuster: Putin betreibt "Geschichtsklitterung übler Art"

Angesprochen auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine bezeichnete Schuster die Kriegspropaganda von Russlands Präsident Wladimir Putin als "Geschichtsklitterung übler Art". Eine Propaganda, in der Putin den Angriff auf die Ukraine mit dem Krieg gegen Nazi-Deutschland gleichsetzt und rechtfertigt. Nicht nur jüdische Menschen habe das "irritiert". Warum Putin dieses Narrativ bemühe, sei ihm "unklar" so Schuster. Der Krieg in der Ukraine belastet ihm zufolge auch die jüdischen Gemeinden, in denen etwa 90 Prozent der Mitglieder einen russischen oder ukrainischen Hintergrund haben.

Zentralratspräsident fordert Waffenlieferungen zur Verteidigung der Demokratie

Mit Blick auf die innerdeutschen Debatten über Waffenlieferungen sprach sich Schuster beim Festakt in der Münchner Residenz klar für eine Unterstützung der Ukraine auch mit schweren Waffen aus. Man müsse für "Demokratie und Freiheit einstehen", so Schuster. Vor mehr als 80 Jahren hätten die Deutschen hier mehr als versagt. Nun müsse gerade vor dem Hintergrund der wechselvollen deutschen Geschichte "der Erhalt von Freiheit und Demokratie an oberster Stelle stehen".

Jüdisches Leben in Deutschland ist kein abgeschlossenes Kapitel

Die Geschichte jüdischen Lebens in den vergangenen Jahrhunderten in Deutschland stand bei den zahlreichen Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr im Mittelpunkt - 500 Ausstellungen, Führungen oder Diskussionsabende fanden bislang in Bayern statt, deutschlandweit waren es mehr als 1.700. Jüdisches Alltagsleben sei sichtbar geworden, in Städten gleichermaßen wie auf dem Land, lobt Schuster. Klar müsse aber auch sein: "Jüdisches Leben in Deutschland ist kein abgeschlossenes Kapitel." Viele aktuelle Debatten könnten nicht losgelöst davon gesehen werden. Schuster nannte als Beispiel die Proteste von Corona-Leugnern, bei denen teilweise antisemitische Verschwörungstheorien propagiert worden seien oder in denen man sich mit den Opfern des Holocaust auf eine Stufe gestellt habe. Vielen dieser Menschen fehle offenbar "das Gespür". All jenen sei gesagt: "Sie treten die Würde der Opfer mit Füßen", so der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Sorge wegen zunehmender antisemitischer Straftaten

Im vergangenen Jahr ist die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten laut Kriminalstatistik um rund 45 Prozent angestiegen - auf mehr als 500 Fälle. Den Verantwortlichen in Politik und Religion macht das große Sorgen. Das Internet wirke da als Brandbeschleuniger, so der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle. Der Judenhass komme aus allen sozialen Schichten und sowohl von Rechtsextremen, von links und aus dem muslimischen Spektrum. Spaenle fordert ein Gesamtkonzept gegen Antisemitismus: "Wir brauchen dieses Wissen um jüdisches Leben, wir brauchen die Erinnerungskultur, ein abgestimmtes Handeln der Verwaltung, wir brauchen den wehrhaften Rechtsstaat, wir brauchen ein Staatsziel per definitionem: Schutz des jüdischen Lebens und die Bekämpfung des Antisemitismus", so der Antisemitismusbeauftragte.

Kabinett will Gesamtstrategie gegen Antisemitismus vorlegen

Das bayerische Kabinett will heute ein Ressort-übergreifendes Konzept gegen Antisemitismus diskutieren und vorlegen. Mit dabei sein sollen neben Spaenle auch Zentralratspräsident Schuster und die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), der kurzfristig den Ministerpräsidenten Markus Söder bei der Veranstaltung vertreten musste, versprach: "Die Vergangenheit haben wir im Kopf, die Zukunft in der Hand, wir stehen an Ihrer Seite."

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!