Jäger mit Fernglas in der Morgendämmerung auf der Pirsch
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Die Morgendämmerung ist eine gute Zeit zum Jagen.

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Jagen für den Klimaschutz: Ein Naturschützer auf der Pirsch

Der Bund Naturschutz fordert fürs Rehwild eine Erhöhung der Abschusszahlen in Bayern, damit der Wald sich verjüngen kann. Ralf Straußberger, der BN-Waldreferent, legt sogar selbst Hand an: Er ist ein passionierter Jäger, für die Zukunft des Waldes.

Es ist noch dunkel, als Ralf Straußberger sich auf die Jagd macht. Das Gewehr über der Schulter, das Fernglas vor der Brust, schleicht er durch den Wald; fast lautlos, denn jedes Knacken, jedes Rascheln könnte die Rehe vertreiben. Pirschen nennt man das. Ralf Straußberger ist allerdings kein normaler Hobby-Jäger und auch keiner, der auf Trophäen und Medaillen jagt – Ralf Straußberger ist in erster Linie Naturschützer: Als Wald- und Jagdreferent des Bund Naturschutz in Bayern kämpft er für mehr Naturwälder und eine naturgemäße Waldwirtschaft.

Jagd und Naturschutz – Wie geht das zusammen?

Wie kann ein Naturschützer Wildtiere töten? "Meine Motivation ist ganz klar, ich jage, damit wir einen Wald von morgen bekommen", sagt Ralf Straußberger. Wälder haben viele Funktionen: Trinkwasserschutz, Hochwasserschutz, Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Holzlieferant, CO2-Speicher, Erholungsraum. In den letzten Jahren sind viele Forstflächen aufgrund der Klimaveränderung abgestorben – ein junger Wald kann aber nur aufkommen, wenn er nicht vom Rehwild totgebissen wird, so Straußberger. Deshalb müssen viele Waldbesitzer ihre Flächen mit einem Zaun schützen, aber das ist aufwendig und teuer. "Es rächt sich heute bitter, dass wir seit Jahrzehnten viel zu hohe Wildbestände haben. Die Existenz der Wälder steht auf dem Spiel."

Abschusszahlen in Bayern verdoppeln

Der Franke ist in einer Jägerfamilie aufgewachsen, die Jagd brachte ihn zum Studium der Forstwissenschaft – und da wurde ihm klar: Ein gesunder Wald kann nur aufwachsen, wenn Lebensraum und Wildtiere im Gleichgewicht sind und sich der Wald von allein verjüngen kann. Das allerdings ist in den meisten Regionen Bayerns nicht der Fall, so der Waldexperte des Bund Naturschutz. Und das liege auch an den geringen Abschüssen: Bayernweit werden durchschnittlich fünf Rehe auf 100 Hektar geschossen – Straußberger erlegt in seinem Revier übers Jahr rund 15 Rehe auf 100 Hektar, also drei Mal so viel. Und ähnliches fordern er und der Bund Naturschutz auch für ganz Bayern: "Wir müssen in Bayern die Abschusszahlen drastisch erhöhen, wir fordern mindestens eine Verdopplung, damit die Waldverjüngung wachsen kann."

18-jährige Jägerin: "Nicht untätig zuschauen"

Mit Ralf Straußberger sind heute drei weitere Jägerinnen und Jäger im Revier unterwegs – ein sogenannter Sammelansitz – und eine von ihnen ist seine 18-jährige Tochter Anne. Die Gymnasiastin aus der "Fridays For Future"-Generation hat bereits vor zwei Jahren ihren Jagdschein gemacht. In einem Wissenschaftsseminar in der Schule hat sie sich intensiv mit der Verbiss-Situation im Wald beschäftigt und war erschüttert über die Schäden, die zu hohen Rehwildbestände anrichten. "Es bringt ja nichts, wenn man nur untätig zuschaut. Deshalb habe ich mich entschlossen, den Jagdschein zu machen, um aktiv etwas zum Natur- und Klimaschutz beizutragen."

Jagen für den Klimaschutz

Jagen für den Klimaschutz? Das Wild, das Ralf Straußberger und seine Jagdkollegen über einen lokalen Metzger vermarkten, heißt tatsächlich "Rehfleisch aus dem Zukunftswald". Und dass es funktionieren kann, den Wald auch ohne Wildzäune, Verbissschutzkappen und Plastikhüllen am Baum zu verjüngen, das beweisen waldorientierte Jäger in ihren Revieren rund um das Dörfchen Rohr im mittelfränkischen Landkreis Roth: Hier schlossen sich 2011 rund 30 Waldbesitzer zusammen, um auf 60 Hektar Fläche gemeinsam 200.000 Laubbäume zu pflanzen - und so die bisherigen Monokulturen aus Kiefern in klimastabile Mischwälder umzubauen.

Jäger müssen an einem Strang ziehen

Die Jäger gaben den Waldbesitzern damals das Versprechen, dass ihre jungen Buchen ohne Schutzzaun aufwachsen könnten. Sie hielten Wort: Heute wachsen inmitten der Buchen auch Eichen, Birken und Ahorne, ganz von allein. "Ich hätte das nicht erwartet", sagt Waldbesitzer Herbert Richter. Er besitzt 15 Hektar Wald im Jagdrevier von Ralf Straußberger. "Früher hat der Jäger gesagt: Ich will viele Rehe sehen. Aber dieses Denken müssen die über den Haufen werfen. Wenn die Jagdpächter an einem Strang ziehen, dann haut das hin mit dem Waldumbau."

Größtes Waldumbauprojekt Bayerns

Im Landkreis Roth hat das Beispiel längst die Runde gemacht, mittlerweile sind rund 150 Waldbesitzer mit gut 300 Hektar Fläche mit im Boot. Es ist das größte Waldumbauprojekt Bayerns im bäuerlichen Privatwald – mit einem Naturschützer als einem der Jagdpächter. An diesem Morgen hat Ralf Straußberger allerdings kein jagdliches Glück, einer seiner Mitjäger aber schon: Er hat eine etwa fünf Jahre alte Geiß erlegt. Sie wird nun in der Wildkammer aufgebrochen und geht an einen Metzger aus der Gegend. Denn auch eine Jagd für den Klimaschutz kann nur funktionieren, wenn die Jäger ihr Wildfleisch auch verkaufen können.

Video: Rehe schießen für den Zukunftswald

Video Unser Land: Rehe schießen für den Zukunftswald
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Video Unser Land: Rehe schießen für den Zukunftswald

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