Ein Rollstuhl in einem Hörsaal.
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Ein Rollstuhl in einem Hörsaal.

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Inklusion und Studium: Mehr als nur Rampen für Rollstuhlfahrer

Vor zehn Jahren haben sich die Hochschulen in Deutschland unter dem Schlagwort "Eine Hochschule für alle" dazu verpflichtet, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umzusetzen. Wie weit ist die Umsetzung?

Inklusion und Barrierefreiheit werden auch im Studium immer selbstverständlicher. Als die Hochschulen sich vor zehn Jahren zur Einhaltung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verpflichteten, sollte dies garantieren, dass sie sich den Bedürfnissen von Studenten mit Behinderung anpassen – und nicht umgekehrt. Daniela Gschnaidner studiert an der katholischen Stiftungshochschule in München.

"Meine Behinderung ist eine Hörschädigung. Ich bin von Geburt an stark schwerhörig und mit der Zeit ertaubt. Im Alltag wirkt sich das so aus, dass ich sehr viel Hörarbeit leisten muss, sehr viel Denkarbeit, wird von mir kaum bemerkt, aber am Ende des Tages merke ich das." Daniela Gschnaidner, München

Die junge Frau braucht für ihr Studium deutlich mehr Zeit als ihre Kommilitonen, denn sie muss jedes Seminar genau vor- und nachbereiten und viele Skripte lesen. Denn nicht alles, was im Hörsaal gesprochen wird, kann sie akustisch verstehen:

"Es gibt große Vorlesungen, Hauptvorlesungen, da sind bis zu 100 Leute im Raum. Ich sitze natürlich vorne, aber es gibt immer eine gewisse Geräuschkulisse: Laptop, Niesen, Tütenrascheln. Das ist schwieriger für mich." Daniela Gschnaidner, München

Zwar trägt sie Hör-Implantate, aber Geräusche und Sprache kann sie trotzdem nur schwer unterscheiden. Für Prüfungen bekommt sie deshalb einen Nachteilsausgleich. Bei Klausuren darf sie 25 Prozent mehr Zeit in Anspruch nehmen als ihre Kommilitonen - und in einem ruhigeren Raum schreiben.

Elf Prozent aller Studierenden haben Behinderung

Elf Prozent aller Studenten in Deutschland haben eine Behinderung oder eine chronische Krankheit, die das Studieren erschwert. Mehr als die Hälfte aller Erkrankungen sind psychisch, ergab eine Auswertung der Uni Würzburg mit Daten bayerischer Studenten. Nur jeder Zwanzigste ist in seiner Bewegung eingeschränkt, also zum Beispiel Rollstuhlfahrer. Das müsse man in Zukunft stärker berücksichtigen, sagt Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU):

"Ich denke, wir müssen vor allem die Sensibilitäten weiter ausbringen. An die Rollstuhlfahrer denkt jeder, wenn es um Behinderungen geht. Ich glaube, dass wir gerade bei Menschen mit geistigen, seelischen Behinderungen noch ein Stück weiter kommen müssen, weil man es da den Leuten auch nicht so stark ansieht." Wissenschaftsminister Bernd Sibler

Dozenten achten zu wenig auf Behinderungen

Außerdem achten Dozenten laut der Uni Würzburg zu wenig auf mögliche Behinderungen ihrer Studierenden. Diese Erfahrung hat auch Sandra Mölter in ihrem Studium gemacht. Bei der Besprechung einer Hausarbeit wollte der Dozent, dass sie das Fenster schließt:

"Ich kam da einfach nicht dran mit meinen Armen, weil die Bewegungsfähigkeit von meinen Armen so schlecht war. Der hat mich dann so beschimpft, hat mich gefragt, ob ich ihn verarschen will. Das hat sich dann wirklich auf die Besprechung meiner Hausarbeit ausgewirkt, weil er dann so verärgert war, weil ich dann gesagt habe: Tut mir leid, ich kann das nicht, ich habe eine Behinderung, ich krieg die Arme nicht hoch, ich kann die nicht bewegen. Für mich war das ganz, ganz schlimm, diese Erfahrung zu machen." Sandra Mölter, Würzburg

Inzwischen leitet Sandra Mölter die Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten der Uni Würzburg und hilft Betroffenen, ihr Studium zu organisieren. Zum Beispiel indem sie einfach ihren Stundenplan weniger dicht packen. Wichtig sei, sagt Mölter, dass Betroffene den Mut haben, sich zu outen.

Auch für Rollstuhlfahrer noch viel zu tun

Doch auch bei der Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer bleibt noch einiges zu tun, kritisiert Bastian Beekes von der Uni Bayreuth. Er ist nach einem Motoradunfall querschnittsgelähmt. In vielen Hörsälen kann er sich mit seinem Rollstuhl nur entweder ganz vorn oder ganz hinten hinsetzen.

"Diese Variabilität hat mir immer gefehlt, dass ich mir aussuchen kann, wo ich hinwill. Und dann gab es auch immer wieder Leute, die mit dem Mikrofon nicht zurechtkommen und dann sagen: Kommt mal bitte alle vor, dann muss ich nicht so schreien. Dann sag ich halt, ich komm nicht vor. Das geht halt nicht. Das war schon öfter so, dass dann die Leute eher nicht so begeistert waren davon, dass sie sich auf mich einstellen müssen." Bastian Beekes, Bayreuth