Noch gibt es rund 2,4 Millionen Schweine in Bayern – doch ihre Zahl ist zwischen November 2021 und November 2022 um zwölf Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum haben rund 400 Betriebe aufgegeben: ein Minus von 8,7 Prozent. Die Zahlen stammen aus einer Erhebung des Bayerischen Landesamts für Statistik. Die Entwicklung ist nicht neu und wird sich wohl auch in diesem Jahr fortsetzen.
- radioReportage: Dickes Minus und großer Frust - Wenn Schweinehalter aufhören
Den Landwirten fehlt die Perspektive
Stephan Neher kennt die Gründe. Er ist Vorstandsvorsitzender der Ringgemeinschaft Bayern e. V., der Dachorganisation der bayerischen Erzeugergemeinschaften, Fleischerzeugerringe und Besamungsstationen. Seiner Einschätzung nach fehlt den Betrieben die Perspektive – sowohl was die Haltung der Tiere angeht, als auch bei den Finanzen, zum Beispiel für Stallneubauten.
"Wenn dann viele Fragezeichen für die Zukunft sind, kein Geld verdient wird, dann stellen sich viele Betriebe die Frage, ob das überhaupt noch sinnvoll ist, in der Branche zu bleiben." Stephan Neher, der in Schwaben zusammen mit seinem Sohn selbst 60 Zuchtsauen hält, bestätigt, dass viele Landwirte mit der Schweinehaltung aufgehört haben und weitere aufhören werden.
Stephan Neher geht davon aus, dass noch viele Schweinehalter aufgeben werden.
Gibt es bald keine bayerischen Ferkel mehr?
Einer von ihnen ist Reinhard Knüttel aus Rettersheim in Unterfranken. Er hatte 140 Muttersauen, war also Ferkelerzeuger, so der Fachbegriff. Die letzten haben im Oktober den Betrieb verlassen – in Richtung Schlachthof. Eine schwierige Entscheidung für den Landwirt, doch lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Im Moment hält er noch etwa 100 Mastschweine, die letzten aus eigener Zucht. "Nachfolger" für diese Tiere, also neue Ferkel für den nächsten Mast-Durchgang, zu finden, war schwierig: Weil immer mehr Ferkelerzeuger - wie er selbst ja auch - aufhören, musste er wochenlang herumtelefonieren, bis er in Schwaben fündig wurde.
Künftig werden Ferkel wohl häufiger aus dem Ausland kommen, was den Bemühungen von Handel und Politik um mehr regionale Herkunft beim Fleisch zuwiderläuft.
Hohe Investitionskosten für Umbau und Neubau von Ställen
Reinhard Knüttel hatte in seinem Stall noch sogenannte Kastenstände, auch Ferkelschutzkörbe genannt – also Gestelle aus Metall, in denen die Muttersauen nach dem Abferkeln wochenlang stehen und die verhindern sollen, dass die Sauen beim Hinlegen ihren Nachwuchs erdrücken. Ein paar Jahre hätte er noch so weitermachen können – aber dann hätte er umbauen und mehr Bewegungsfreiheit für die Tiere schaffen müssen.
Aber ein Stallumbau ist teuer. Hätte er bei seinen Mastschweinen dann auch noch auf eine Haltung mit Stroh und Zugang ins Freie oder gleich auf eine Haltung nach Bio-Kriterien gesetzt, wäre es noch teurer geworden. Und dafür fehlt dem Landwirt Planungssicherheit.
Kaum Planungssicherheit
Wenn Landwirte investieren, gehe das in die Millionen und es dauere zwischen zehn und zwanzig Jahren, bis der neue Stall abbezahlt sei, sagt Stephan Neher. Wenn dann aber nach wenigen Jahren den Landwirten gesagt werde, dass wieder neue Regeln in der Tierhaltung gelten, seien sie verunsichert – und hören im Zweifelsfall auf. "Da kann nicht nach zwei oder drei Jahren gesagt werden: 'Jetzt stellen wir das Ganze wieder um, wie du gebaut hast, ist falsch!'", sagt Neher. "Du kannst wieder Geld in die Hand nehmen – oder aufhören. Das funktioniert nicht mehr." Auch Betriebe, die zum Teil erst vor vier, fünf Jahren investiert haben, müssten schon wieder umbauen – weil sich die Haltungsvorschriften geändert haben.
Weil das vielen zu teuer ist, hören sie auf. Zumal nicht nur die Kosten fürs Bauen, sondern auch für Futter und viele andere Posten gestiegen sind.
Importe trotz geringerer Nachfrage nach Schweinefleisch
Rechnerisch gibt es trotz der Betriebe, die aufhören, noch keinen Mangel an Schweinefleisch aus Deutschland – der Selbstversorgungsgrad liegt bei 132 Prozent, so das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft.
Allerdings fallen beim Schlachten viele Teile an, die deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher nicht auf dem Teller haben wollen, zum Beispiel Innereien, Rüssel oder Ohren – gefragt sind nur noch Edelteile. Und deshalb wird auch Schweinefleisch importiert. Und das, obwohl der Fleischkonsum in Deutschland zurückgeht. Aber nicht in dem Umfang, in dem die Höfe aufhören – das geht schneller.
Was tut die Politik?
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will, dass es auch in Zukunft gutes deutsches Fleisch gibt, so der Grünen-Politiker, der selbst Vegetarier ist. Er setzt bei Schweinefleisch auf die neue Tierhaltungskennzeichnung. Doch die bringt – so befürchten es viele Verbände und Tierhalter – nur mehr Bürokratie und wenig Nutzen.
Das bayerische Landwirtschaftsministerium fordert ein schlüssiges Gesamtkonzept. Die geplante Haltungskennzeichnung müsse mit einer Herkunftskennzeichnung verknüpft werden. Das Ministerium vermisst außerdem – wie viele Landwirte – Geld für den Umbau von Schweineställen. Die vom Bund anvisierte Förderung reiche lediglich für rund 0,7 Prozent der deutschen Mastschweineplätze.
Auf Landesebene gibt es das Programm BayProTier, das Mehrkosten ausgleicht, wenn die Tiere in Ställen gehalten werden, die bestimmte Tierwohl-Anforderungen erfüllen. Ob das mit einem vom Bund angekündigten Programm zusammengeht, ist noch unklar.
Weltweit Probleme bei Schweinehaltung
Schweinehalter, die weitermachen, setzen in der Regel auf mehr Platz und weniger Tiere, auf bessere Haltung, zum Beispiel mit Stroh und Frischluft, oder steigen gleich ganz um auf biologische Landwirtschaft.
Insgesamt rechnen Landwirte, Politik und Verbände aber damit, dass sich die Abwärtsspirale weiterdreht – und die Tierhaltung in Deutschland insgesamt zurückgehen wird. Bei der Schweinehaltung gibt es weltweit Probleme – auch wegen der Afrikanischen Schweinepest und gestiegener Futterpreise.
Landwirt: Scheitern ist schwierig
Stephan Neher von der Ringgemeinschaft Bayern wünscht sich vor allem eines: verlässliche Aussagen. Wenn die Politik sage, man wolle nur noch 50 Prozent der Tierhaltung, dann bräuchten auch die verbleibenden 50 Prozent ein Auskommen und wollten von der Gesellschaft akzeptiert werden. Als extrem schwierig beurteilt er die Situation derjenigen, die aufhören.
Neher wörtlich: "Die Betriebe sind oft mental und psychisch nicht in der Lage, ihr Scheitern öffentlich zu machen. Die sehen das als ein persönliches Scheitern ihrer gesamten Lebenssituation. Das sind ganz schlimme Situationen auf den Betrieben." Die Liste an Gründen für dieses Scheitern kann sehr lang sein.
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