Herzrasen, feuchte Hände und das Gefühl, keinen Schritt weiter gehen zu können: Viele Menschen fühlen sich in großer Höhe beklommen, etwa fünf Prozent haben eine ausgesprochene Höhenangst.
Ihnen wird nicht nur schwindelig, sondern sie bekommen Angst bis hin zu einer Panik-Attacke. Auf schönen Bergtouren, ob auf Tourenskiern, in Wanderstiefeln oder Kletterschuhen, gibt es auf dem Weg zum Gipfel häufig ausgesetzte Stellen, an denen die Felswände steil abfallen. Auch Extrembergsteiger müssen sich immer wieder mental mit der Höhe auseinandersetzen und sogar Reinhold Messners Sohn Simon berichtete kürzlich auf der Freizeitmesse f.re.e., dass er als Jugendlicher unter Höhenangst gelitten habe.
119 Probanden in der Würzburger Studie zur Höhenangst behandelt
Gegen solche Ängste kann man erfolgreich angehen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Zentrum für Psychische Gesundheit am Universitätsklinikums Würzburg belegen. In einer Studie über Höhenangst, die in diesem Jahr an der Uni Würzburg abgeschlossen werden soll, haben sie 119 Probanden untersucht und behandelt.
Eine von ihnen ist Miriam Christoph: Sie konnte nicht mal auf die zweite Stufe einer Leiter steigen, geschweige denn sich den Traum vom Gleitschirmfliegen erfüllen: "Sobald es nur etwas höher ging, habe ich Panik verspürt und mein Herz hat gepocht", berichtet sie rückblickend. Im vergangenen Jahr entschloss sie sich deshalb an der, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten, Studie PAN_VR teilzunehmen.
Die Abkürzung PAN steht für Psychotherapie bei Angsterkrankungen, VR für Virtual Reality. Alle Probanden haben an einem virtuellen Training im 3D-Multisensoriklabor, dem sogenannten CAVE, des Lehrstuhls für Psychologie an der Universität Würzburg, teilgenommen. Bei diesen zwei sogenannten Expositionssitzungen innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie stehen mittels VR-Brille verschiedene Szenarien zur Verfügung: "Wir können unterschiedliche Höhen-Situationen simulieren wie beispielsweise das Hochsteigen auf einen Aussichtsturm", berichtet Studienleiter Prof. Martin J. Herrmann, "danach haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwa sechs Monate Zeit, das Gelernte in ihren Alltag zu integrieren." Im ZEP fahren sie danach noch einmal mit einem virtuellen gläsernen Aufzug, und gehen in der Stadt Würzburg eine reale, außen am Gebäude liegende Treppe hinauf.
Verbesserung bereits nach zwei Therapiesitzungen
Bereits in der Woche nach zwei Therapiesitzungen verspüren 42 Prozent der Probanden weniger Angst. "Nach einem halben Jahr sehen wir sogar bei 75 Prozent eine klinisch relevante Verbesserung der Angstsymptomatik", berichtet Herrmann. Diese Studie zeige daher, dass die kognitive Verhaltenstherapie eine sehr effektive Methode zur Bewältigung von Angsterkrankungen sei. Denn mit nur zwei Expositionssitzungen können Patientinnen und Patienten geholfen werden, einen neuen Umgang mit der Angst einzuüben, "so dass wir am Ende drei von vier Betroffenen effektiv helfen konnten".
Das Aufnahmegespräch und die Diagnostiksitzungen mitsamt Fahrt im Fahrstuhl, welche vor und nach der Therapie stattfinden, führt unter anderem die Psychologin Lisa Cybinski aus der Arbeitsgruppe Funktionelle Bildgebung und nicht-invasive Hirnstimulation im Zentrum für Psychische Gesundheit durch. "Wir machen zudem von jedem ein Kopf-MRT, um ein Bild von der Hirnregion zu bekommen, welche beim Verlernen der Angst involviert ist und später kurz vor der Expositionsübung mittels Gehirnstimulation zusätzlich aktiviert werden soll", erklärt Cybinski.
Eine Studiengruppe erhalte eine aktive transkranielle Magnetstimulation (TMS), die andere eine scheinbare Hirnstimulation, ein Placebo. So werde Zusatzeffekt der TMS auf die Therapie überprüft. Die erhobenen Daten müssen laut prof. Herrmann noch ausgewertet werden und es fehle noch das sogenannte Follow up, bei dem die Probanden abschließend befragt werden. Danach soll die Studie abgeschlossen werden.
Mentale Vorbereitung und Therapie
Auch Extrembergsteigerinnen und -bergsteiger kennen Höhenschwindel oder sogar Höhenangst. Der Schweizer Dani Arnold, bekannt unter anderem durch seine Free Solo Speed-Begehung der Nordwand der Großen Zinne, setzt sich daher regelmäßig mit der Ausgesetztheit auseinander: "Es gibt Menschen, die schauen in den Bergen nie hinunter in die Tiefe. Das gelingt mir aber nicht, so dass ich versuche damit umzugehen, in dem ich mich mental darauf vorbereitet", sagt Dani Arnold.
Das Visualisieren von Situationen, die in den Bergen auftreten können, also die bildliche Vorstellung von Erfolgen und von Misserfolgen sind ein wichtiger Bestandteil einer Tourenvorbereitung. Bei einer ausgesprochenen Höhenangst komme man allein aber nicht weiter, gibt Martin Herrmann zu Bedenken. Denn selbst wenn man sich einer extremen Situation aussetze, würde man sich dabei zu sehr selber ablenken. Deshalb rät er zu einer Therapie, bei der – wie erwähnt - zwei Sitzungen helfen können: "Wenn Sie merken, dass die Angstsymptomatik sie beeinträchtigt und Sie einen Leidensdruck haben, dann können Sie in verhaltenstherapeutischen Ambulanzen oder Praxen Hilfe erhalten."
Einige Ängste resultieren aus eigener Erfahrung. Man besteigt einen Berg, kommt erschöpft, müde und hungrig oben an und erfährt statt Begeisterung eher Schwindel und Übelkeit, wenn man plötzlich hinunterschaut und nicht mit der Höhe umgehen kann. Anderen wird die Angst durch ein role model wie etwa einem Familienmitglied vorgelebt. "Unsere Probandinnen und Probanden sollen verlernen, in der Höhe Angst zu haben. Dazu stellen wir ihnen ein therapeutisches Konzept zur Verfügung", erklärt Herrmann. Der Leidensdruck sei bei vielen Betroffenen extrem hoch. Eine Probandin nahm sogar einen vierstündigen Anfahrtsweg auf, um an der Studie an der Uni Würzburg teilzunehmen.
Für Miriam Christoph hat sich die Teilnahme auf jeden Fall gelohnt: Sie kann jetzt nicht nur Aufzug fahren bis in den obersten Stock eines Hochhauses, sondern sie hat sogar einen Gleitschirm-Tandemflug gemacht.
Weitere Studie zu "Lampenfieber"
Für eine nachfolgende Studie an der Universität Würzburg werden Musikerinnen und Musiker gesucht, die Angst vor Auftritten haben. Auch sie sollen im Rahmen einer wissenschaftlich begleiteten Psychotherapie lernen, wie sie angstfrei ins Rampenlicht treten können.
Bei Interesse kann man sich melden unter: Tel.: 0931-201-77430 E-Mail: Pan_VR@ukw.de
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!