Inmitten von Spänen, Asche und Dreck hatte Hausbesitzer Stephen Winter Ende 2021 einen ganz besonderen Fund gemacht: Bei der Sanierung des Daches seines Hauses in der Ansbacher Altstadt war er auf alte Briefe und Schriftstücke gestoßen. "Zuerst waren wir ganz überrascht und es kamen dann auch nach und nach alle Dokumente zum Vorschein. Und der nächste Gedanke war: Oh je, was machen wir jetzt damit?", schildert der Ansbacher.
Zeitlich sortiert und teils übersetzt
Am Dienstag stellte Stephen Winter dann zusammen mit Christian Schoen und Eugen Ringhand vom Ansbacher Förderverein Retti e. V. die neue Erkenntnisse zu dem Fund vor. Der Verein, der sich für den Erhalt kulturhistorischer Gebäude in der Residenzstadt einsetzt, hatte damals die Dokumente von Winter bekommen. Alles wurde sorgfältig sortiert und zeitlich eingeordnet. "Es hat Spaß gemacht", sagt Eugen Ringhand, der die Texte transkribiert und teils aus dem Lateinischen übersetzt hat. "Es ist wie eine archäologische Grabung, mit der Zeit versteht man die Sprache und die Ausdrücke werden einem geläufig", erklärt er.
Offizielle Schreiben, aber auch Privates
Denn die Dokumente kommen aus einer völlig anderen Zeit: Das älteste Dokument stammt demnach aus dem Jahr 1726, das jüngste ist auf 1799 datiert. Der Fund enthält gedruckte Dekrete von Markgraf Alexander, aber auch Briefe zwischen verschiedenen Regierungsmitgliedern und private Dokumente wie einen Mietvertrag und einen Lebenslauf.
In einem dieser Fächer auf seinem Dachboden hat Stephen Winter die Dokumente bei Sanierungsarbeiten gefunden.
Kurioser Beschwerdebrief eines Archivars
Mit dabei waren auch kuriose Briefe, wie der Beschwerdebrief eines damaligen Archivars: Darin beklagt der Mann, dass er fünf Kinder versorgen müsse, sein Arbeitsweg sehr weit sei und er ständig repräsentative Kleider brauche. "Da die Zeiten sich geändert haben, fügt er hinzu, dass er mehr Geld haben will. Und auch die Art, wie es geschrieben ist, ist ganz lustig", erzählt Eugen Ringhand.
Experten sprechen von "Glücksfall"
Großes Glück sei es, dass all die Dokumente so gut erhalten sind, betont der Vereinsvorsitzende Christian Schoen. Um zu verdeutlichen, wie solche Funde normalerweise aussehen, zeigt er eine Schachtel – darin: eine mumifizierte Ratte, neben ihr ein Nest aus klein gefressenen Textfragmenten. Dieser Fund stammt aus dem Ansbacher Retti-Palais und wurde auf den Namen Amanda getauft. "Sie war wohl eine sehr vielsprachig interessierte Ratte“, lacht Christian Schoen, "wir haben Textschnipsel mit fünf verschiedenen Sprachen gefunden."
Oft enden alte Dokumente so: Als Nistmaterial für Mäuse und Ratten.
Die Dokumente aus dem Dachboden von Stephen Winter sind hingegen sehr gut erhalten. Anfangs hatte er auch Sorge um seine Baustelle, weil er dort die Briefe gefunden hat, sagt der Hausbesitzer. Doch, und das betont auch der Förderverein, es gebe keinerlei Gründe, die Baustelle wegen des Fundes zu sperren oder zu unterbrechen. "Das auch als Ermutigung auch an alle, die solche Funde machen", sagt Winter: "Macht es öffentlich, weil es wäre schade, wenn so etwas verloren geht. Denn es sind wichtige Dokumente, die eine Stadtgeschichte erzählen."
Welche Rätsel die Dokumente noch aufgeben
Noch stecken aber Geheimnisse in den Schriften: Hat der damalige Hausbesitzer, der Bürgermeister Heinrich Gottlob Billing, die Texte selbst versteckt? Und falls ja, warum eigentlich? Das ist die wohl drängendste Frage, auf die es bisher nur spekulative Antworten gibt. Möglicherweise, so eine Idee des Vereins, habe der Besitzer die Unterlagen vor den Franzosen verstecken wollen, die Ansbach belagert haben.
Weitergabe an Stadtarchiv
Um möglicherweise noch Antworten zu bekommen, will Stephen Winter die Dokumente gesammelt an das Ansbacher Stadtarchiv übergeben: "Sie haben jetzt so viele Jahre hier verbracht, aber ich möchte sie jetzt in sichere Hände geben, sodass sie der Nachwelt erhalten bleiben." Und vielleicht lassen sich ja dort von den Expertinnen und Experten noch die übrigen Geheimnisse lüften.
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