Soldaten des Heimatschutzregimentes 1 anlässlich dessen offizieller Aufstellung im April 2022.
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Soldaten des Heimatschutzregimentes 1 anlässlich dessen offizieller Aufstellung im April 2022.

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Heimatschutz in der Bundeswehr: Was bringen die Verbände?

Die territoriale Reserve der Bundeswehr wird umstrukturiert. Neue Heimatschutzverbände spielen dabei eine wichtige Rolle - genau wie freiwillig Wehrdienstleistende. Experten kritisieren, die Politik plane zu klein. Sie bemängeln frühere Fehler.

Ein Befehl hallt über den Gang, dann stehen die Rekrutinnen und Rekruten stramm. Ihrem Ausbilder brüllen sie ein "guten Morgen" entgegen. Es folgen Liegestütze und gymnastische Übungen. So sieht sie aus, die Morgenroutine nach dem Antreten in der Otto-Lilienthal-Kaserne in Roth.

Rund vier Wochen zuvor haben die Rekruten ihre Zivilkleidung gegen Tarnuniformen getauscht. Unter ihnen ist Dennis, dessen vollen Namen wir nicht nennen dürfen. Für den 28-Jährigen kommt der Alltag in der Kaserne einem neuen Leben gleich. Er war zuvor in der IT-Branche tätig und vergleicht sein ziviles Berufsleben mit dem Alltag während der Grundausbildung. Da mache die Kameradschaft den Unterschied, sagt Dennis. Er müsse nicht fragen, ob er Hilfe bekommt. Jeder bekäme sie einfach.

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Die meisten anderen Rekruten sind deutlich jünger als der 28-Jährige. Sie kommen direkt von der Schule. Rund 1.400 Euro netto im Monat bekommen sie am Anfang ihrer Ausbildung. Sie leisten "Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz". Sieben Monate lang werden sie im Rahmen des Dienstes ausgebildet.

Danach sollen sie innerhalb von sechs Jahren fünf Monate Dienst als Reservisten leisten. Freiwillig, parallel zum Zivilberuf und nicht weit weg vom Wohnort. Das Modell wurde 2021 unter der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) parallel zum Freiwilligen Wehrdienst eingeführt.

Militärische Infrastruktur schützen

Die Heimatschützer sollen im Katastrophenfall helfen, bei Hochwasser zum Beispiel. Im Verteidigungsfall hingegen ist es ihr Hauptauftrag, militärische Infrastruktur zu schützen. Also etwa Kasernen oder Depots, erläutert Brigadegeneral Thomas Hambach. Hambach ist der Kommandeur des Landeskommandos Bayern. Ihm unterstehen die Heimatschützer. Mit dem Modell könnte man im Ernstfall "aktive oder kämpfende Truppe" von solchen und anderen Wach- und Sicherungsaufgaben entbinden, sagt der General, und diese Soldaten dann anderswo einsetzen.

Die Rekruten werden einmal zum Heimatschutzregiment 1 gehören. Nach einem Pilotprojekt wurde es im letzten Jahr im Freistaat aufgestellt. Fünf weitere derartige Verbände sind derzeit in Deutschland geplant. Sie setzen sich aus verschiedenen Einheiten der Reserve zusammen. Also nicht nur aus jenen Männern und Frauen, die Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz leisten.

Warum der Heimatschutz keine neue Idee ist

Mit den neuen Heimatschutzverbänden tastet sich die Bundeswehr wieder an Strukturen heran, die es einst im großen Stil gegeben hat – die im Zuge der großen Bundeswehrreformen aber dem Rotstift zum Opfer gefallen sind, weil die Politik sie angesichts der allgemeinen Sicherheitslage und der Kosten als hinfällig betrachtete.

In den Augen des Politikwissenschaftlers Martin Sebaldt ist der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz deshalb nur ein erster Schritt. Sebaldt ist Professor an der Universität Regensburg und Oberst der Reserve. Den Bundeswehrreformen der letzten zwei Jahrzehnte hat er mehrere kritische Veröffentlichungen gewidmet.

Der Politik wirft er im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers vor, zu klein zu planen: Die 1.000 Dienstposten für freiwillig Wehrdienstleistende im Heimatschutz seien zu wenige, sagt er. In seinen Augen hängt deren geringe Anzahl aber mit der Auflösung inaktiver Verbände zusammen. Die Auflösung war für Sebaldt "ein Fehler".

Heimatschutzverbände als „Feigenblatt“

Gemeint sind Einheiten, die im Bedarfsfall mit Reservisten aufgefüllt werden können und dafür über eigenes Material verfügen. Heute, wo Verteidigungsfähigkeit wieder Thema ist, fehle eine solche Struktur in der Bundeswehr, sagt der Politikwissenschaftler. Die nun geplanten Heimatschutzverbände könnten den Wegfall nicht ausreichend kompensieren. Sie seien lediglich ein "Feigenblatt", "ein schönes Modell, aber nicht mehr als ein begrenzter Anfang".

Sebaldt kritisiert, die neuen Heimatschutzregimenter verdienten den Namen angesichts der zu geringen Truppenstärke nicht: "Ein Heimatschutzregiment, das den Namen verdient, besteht aus mehreren Bataillonen. Im Schnitt verfügt jedes Bataillon über rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten. Das heißt, ein Regiment umfasst mindestens 3.000 bis 4.000 Leute. Die Dienstpostenstärke der derzeit ausgeplanten Heimatschutzregimenter umfasst aber nur etwa 500 Leute."

Was der Experte an der Gestaltung des Heimatschutzes bemängelt

Die Verbände seien zudem zu "stabslastig" geplant. In ihnen dienten zu viele Offiziere und Unteroffiziere, analysiert Martin Sebaldt: "Die Zahl der Mannschaftsdienstgrade, also derjenigen, die von dem neuen Heimatschutzmodell angesprochen werden und die es für den Dienst in der Fläche braucht, ist viel zu gering, als dass diese wenigen Heimatschutzregimenter die Aufgabe erfüllen könnten, die der Name nahelegt."

Unabhängig davon begrüßt der Politikwissenschaftler den Effekt, den der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz für die Personalgewinnung der Bundeswehr haben kann. Schließlich konkurriert die Armee bei der Rekrutierung von Personal mit der Wirtschaft, die Wehrpflicht ist ausgesetzt. Der Dienst ist also eine Art befristetes Hineinschnuppern in die Truppe.

Nach dem Heimatschutz ganz zur Bundeswehr

Auch für den 28-Jährigen IT-Fachmann Dennis spielte das eine Rolle. Er wollte nicht mehr nur im Büro sitzen. Und die Idee, zum Bund zu gehen, hatte er schon länger im Hinterkopf. Er wolle sehen, wie ihm Stimmung und Strukturen gefallen, sagt er: "Wenn es mir gefällt – was bisher der Fall ist – dann kann ich mir vorstellen, dass die Bundeswehr auch auf lange Sicht mein Arbeitgeber werden könnte."

Allein ist Dennis mit dieser Haltung nicht, wie Erfahrungswerte der Ausbilder in Roth nahelegen. Demnach entscheiden sich 80 Prozent, der Freiwillig Wehrdienstleistenden im Heimatschutz, komplett dabei zu bleiben – als Zeitsoldaten etwa, nicht als nur Heimatschützer.

In der ARD-Audiothek finden Sie den Podcast der Bayern2- und BR24-Sendung „Dossier Politik“. Das Dossier Politik berichtete am 22. und 23. Februar über dieses Thema.

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