Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2
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Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2

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Heftiger Streit über Atomkraft-Aus: "Fake News", "Irrweg"

"Empörend", nicht durch Fakten gedeckt", "Wahlkampfgetöse": Im Streit über Atomkraft werfen Umweltverbände in Bayern der CSU, Freien Wählern und FDP vor, wissenschaftliche Fakten zu ignorieren. Politiker der Parteien erneuern ihre Kritik am AKW-Aus.

Über dieses Thema berichtete BR24 am .

Wenige Tage vor der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland haben der Bund Naturschutz in Bayern (BN) und Greenpeace "Fake News", "Märchen" und "Mythen" in der politischen Debatte beklagt. Die "erneute 180-Grad-Wende" des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der an vorderster Stelle einen Weiterbetrieb fordere, vor Blackouts und Deindustrialisierung warne, sei ein "empörender und skandalöser Vorgang", sagte BN-Chef Richard Mergner bei einer Online-Pressekonferenz. Dies sei nicht durch die Fakten gedeckt. Er appellierte an die Staatsregierung, im Wahlkampf auf die "Mär vom sicheren und vom billigen Atomstrom" zu verzichten.

Dagegen bekräftigen CSU und FDP in Bayern ihre Kritik am Atom-Ausstieg. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer sprach von einem Irrweg: Die Grünen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck setzten in "ihrer ideologischen Verblendung" die Versorgungssicherheit beim Strom aufs Spiel und schadeten auch dem Klima. "Denn sie nutzen jetzt vermehrt Kohlekraftwerke und erhöhen so den CO2-Ausstoss, statt die CO2-freie, sichere Atomkraft weiter als Übergangstechnologie zu nutzen." Nötig sei eine Laufzeitverlängerung. FDP-Fraktionschef Martin Hagen verlangte, "die Möglichkeit einer Wiederinbetriebnahme von Isar 2" offenzuhalten.

Energieexpertin: Deutschland hat ausreichend Strom

Am Samstag sollen die Kernkraftwerke Isar 2 bei Landshut, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg endgültig vom Netz gehen. Eigentlich sollte dies schon Ende vergangenen Jahres passieren, wegen der Energiekrise verlängerte die Ampel-Koalition die Laufzeit aber bis Mitte April. Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, betonte bei der BN-Pressekonferenz, die drei noch laufenden Atomkraftwerke produzierten weniger als fünf Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms. "Wir können problemlos diese Atomkraftwerke abschalten, ohne dass die Lichter ausgehen werden." Die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, Deutschland habe ausreichend Strom und sei nach wie vor Netto-Strom-Exporteur.

Der Betrieb von Atomkraftwerken sorge auch nicht für sinkende Emissionen. Die Meinung, dass wegen der Abschaltung der Atomkraftwerke mehr Kohlkraftwerke im Einsatz seien, bezeichnete Kemfert als "großes Missverständnis". Vielmehr habe es vergangenen Jahr eine ernste Gaskrise gegeben. Daher seien Gaskraftwerke durch verstärkte Produktion in Kohlekraftwerken ersetzt worden. "Auch deshalb, weil viele Gaskraftwerke Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind. Das heißt: Wir produzieren Strom und Wärme gleichzeitig", erläuterte die Expertin. "Das können Atomkraftwerke nicht."

Atomkraft "nicht rentabel"

Ein Mythos ist laut Kemfert auch, dass Atomkraftwerke günstigen Strom produzierten. Atomkraft sei sehr teuer. Das DIW habe in einer Studie die "extremen Kosten" auch für den Neubau, die Endlagerung von Atommüll sowie den Rückbau der Kraftwerke mit eingerechnet und festgestellt, "dass Atomkraftwerke nicht rentabel" seien. "Sie machen der Verluste und müssen staatlich subventioniert werden." Erneuerbare Energien seien deutlich billiger, sagte die Professorin für Energiewirtschaft.

Der Blick nach Frankreich zeige zudem, dass Atomkraft keine zuverlässige Energiequelle sei. Mehr als die Hälfte der Atomkraftwerke sei dort wegen verschiedener Probleme zeitweise gar nicht am Netz gewesen. Darüber hinaus seien AKW "zu inflexibel" in der Kombination mit erneuerbaren Energien. Damit behindere der Betrieb der Anlagen die Energiewende.

Reservebetrieb "technisch nicht möglich"

Der Atom-Experte bei Greenpeace, Heinz Smital, zeigte sich über einen "weiteren Mythos" irritiert - die Forderung nach einem Reservebetrieb, einem "Türe-Offen-Lassen". Die Brennelemente seien abgebrannt, betonte er. Nach der Abschaltung sei ein erneutes Anfahren und somit auch ein Reservebetrieb mit diesen Brennstäben technisch nicht möglich. Darauf habe der Energiekonzern Eon bereits im Herbst hingewiesen. Smital widersprach auch der Darstellung, dass Deutschland aus der Atomkraft aussteige, während sie in anderen Ländern ausgebaut werde: "Es gibt insgesamt einen Rückgang der Atomenergie."

Die Behauptung, Isar 2 sei eines der sichersten Atomkraftwerke weltweit, wies der als Kernphysiker als "Werbeslogan" zurück, der sich durch nichts belegen lasse. Es gebe kein deutsches Atomkraftwerk, das momentan den Standard für einen Neubau erfülle. Mergner betonte in diesem Zusammenhang die Gefahr einer Hackerattacke oder eines terroristischen Angriffs. Wie man nach den Kämpfen am ukrainischen AKW Saporischschja davon sprechen könne, dass Atomkraft sicher sei, sei unbegreiflich. "Man kann es nur als Wahlkampfgetöse abtun".

Bundeswirtschaftminister Robert Habeck will mehr Tempo beim Stromnetzausbau.
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Bundeswirtschaftminister Robert Habeck will mehr Tempo beim Stromnetzausbau.

Unmut bei CSU und FDP

Neben der CSU-Landtagsfraktion legte auch die CSU-Landesgruppe im Bundestag mit Kritik am Atom- Ausstieg nach: "Der Wirtschaftsminister verfeuert Kohle in uralten Kraftwerken und schaltet die klimaneutrale Kernenergie ab." Es seien Entscheidungen gegen Klima und Vernunft.

Der bayerische FDP-Fraktionschef Hagen hält das Aus für Isar 2 ebenfalls für einen Fehler: "Aktuell sind wir noch auf konventionelle Kraftwerke angewiesen." Wer dabei lieber auf schmutzige Kohle setze statt "auf saubere Kernkraft", meine es mit dem Klimaschutz nicht ernst. Auf einen Rückbau von Isar 2 müsse vorerst verzichtet werden. FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki nannte die Abschaltung der drei AKW in den Zeitungen der Funke Mediengruppe einen "dramatischen Irrtum, der für uns noch schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben wird".

AfD: Zeichen verbohrter Rückständigkeit

AfD-Landeschef Stephan Protschka betonte: "Während Deutschlands Energieversorgung auf wackligen Füßen steht und Unternehmen ihre Investitionen herunterfahren und Stück für Stück ins Ausland abwandern, verschlimmert die grüngefärbte Ampel die Energieknappheit weiter." Die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke sei ein kapitaler Fehler und "Zeichen verbohrter Rückständigkeit". Ein weiteres Ansteigen der Strompreise müsse unbedingt verhindern und die Versorgungssicherheit gewährleistet bleiben. "Dies ist nur mit Kernkraft möglich."

Söder und Aiwanger fahren erneut zu Isar 2

Ministerpräsident Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fahren am Donnerstag erneut zum letzten bayerischen AKW Isar 2, um sich vor Ort zu informieren. Im vergangenen August hatten sie gemeinsam mit CDU-Chef Friedrich Merz das Kraftwerk besucht und anschließend vor dem dampfenden Kühlturm die Forderung nach längeren AKW-Laufzeiten untermauert. Dieses Mal wird zudem Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) am Kernkraftwerk erwartet.

Greenpeace und Bund Naturschutz feiern dagegen die Abschaltung am Samstag mit einem "Großen Atomausstiegsfest in München". Geplant ist unter anderem ein Demozug zur Bayerischen Staatskanzlei sowie eine Kundgebung am Odeonsplatz samt Musik von Hans Well & Wellbappn sowie der Band Matija.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2.
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Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2.

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