Archivbild: Kind malt Herz zum Muttertag mit bunten Farben
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"Hass angefeuert": Wirbel um Politiker-Tweets zum Muttertag

CDU-Politiker Kuban und Freie-Wähler-Chef Aiwanger sorgen sich um den Muttertag – und verbreiten auf Twitter den Elternbrief einer Kita, die keine Muttertagsgeschenke basteln will. Der Würzburger IT-Anwalt Jun kritisiert die Politiker scharf.

Wenn Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bürgerliche Werte bedroht sieht, findet er klare Worte. Im vergangenen Jahr fürchtete er, ein möglicherweise drohendes Winnetou-Verbot könnte Kinder um wertvolle Erfahrungen bringen. Vor ein paar Tagen warnte Aiwanger vor einer in München geplanten Lesung für Kinder mit einer Dragqueen und einem Dragking zum Thema Rollenwechsel: "Kleinkinder mit solchen Themen in dieser Form zu konfrontieren ist Kindswohlgefährdung", twitterte er. "Ein Fall fürs Jugendamt!"

Anfang der Woche der nächste Fall: Aiwanger sorgte sich - ähnlich wie der CDU-Politiker Tilman Kuban - um die Zukunft des Muttertags: Ein Kindergarten in Hessen hatte sich aus grundsätzlichen Überlegungen zu Familienkonstellationen gegen das Basteln von Muttertagsgeschenken entschieden. Die Politiker verbreiteten daraufhin in den sozialen Netzwerken einen Elternbrief des Kita-Teams, mit dem sich die katholische Einrichtung sofort (Kuban) oder zumindest schnell (Aiwanger) identifizieren ließ. Im Laufe der folgenden Tage richteten sich zahlreiche Hasskommentare gegen die hessische Kita. Ein Sprecher des Bistums Fulda sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), es habe "zahlreiche emotionsgeladene Telefonate" gegeben.

Speziell über diesen Aspekt zeigt sich der Würzburger IT-Anwalt Chan-jo Jun, der sich mit seinem Kampf gegen Hasskriminalität im Internet einen Namen gemacht hat, im BR24-Interview entsetzt: "Das Besondere an diesem Fall ist, dass das Opfer hier ein Kindergarten ist, und zwar das Team des Kindergartens und die Kinder und die Eltern dieser Kinder." Diese Konstellation sei besonders sensibel - zumal es dann "die zweite Reihe der Empörten gibt", die mit Hassnachrichten reagierten.

Kuban: "Dem Wahnsinn sind keine Grenzen gesetzt"

Das Kindergarten-Team hatte per Brief die Eltern informiert, in diesem Jahr mit den Kindern keine Mutter- und Vatertagsgeschenke zu basteln, die häufig stereotyp seien: "In der heutigen Zeit, in der Diversität einen immer höheren Stellenwert erhält, möchten wir diese vorleben und keinen Menschen ausschließen." Die Konstellation Vater/Mutter/Kind sei nicht mehr die Norm. Mit der Entscheidung wolle das Team keinesfalls die Bedeutung eines Mutter- oder Vatertags absprechen.

Kuban twitterte darauf hin: "Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt." Dazu stellte er ein Foto des Kita-Schreibens - anfangs samt Kontaktdaten der Kita. Später schwärzte er diese Angaben - "zum Schutz der Kinder und der Einrichtung", wie er selbst schrieb. Auf die Aufforderung zahlreicher Twitter-User, sich zu entschuldigen, reagierte der CDU-Politiker bislang nicht.

Aiwanger: "So was darf man nicht einreißen lassen"

Auch Aiwanger verbreitete ein Foto des Briefes. Zwar waren die konkreten Kontaktdaten der Kita nicht zu erkennen, zu sehen waren aber Ort und Stadtteil - in dem sich nur ein einziger Kindergarten befindet, der somit leicht zu identifizieren war. Dazu schrieb der Freie-Wähler-Chef: "Ich dachte erst, das kann nicht ernst gemeint sein. Ist aber leider ernst. So was darf man nicht einreißen lassen." Wer den Muttertag in Frage stelle, komme mit seinem Leben nicht klar, twitterte der bayerische Wirtschaftsminister.

Als ein Fernsehjournalist dem Minister via Twitter entgegnete, dass die Kita den Muttertag nicht in Frage gestellt habe, konterte Aiwanger mit Verweis auf die Berliner Mauerbau-Lüge: "Ihre Äußerung ist ganz klar 'niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten', während der Mörtel schon angerührt wird".

Die unterfränkische Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann kritisierte den Freie-Wähler-Chef auf Twittter: "Aiwanger kämpft um seinen Ministerposten. Aber nicht mit wirtschaftspolitischen Vorschlägen, sondern mit Predigten über Dinge, die jede Kita gut selbst entscheiden kann." Der Generalsekretär der hessischen SPD, Christoph Degen, beklagte, CDU-Politiker Kuban habe "mit seinem populistischen Tweet eine hessische Kita den rechten Internet-Trollen zum Fraß vorgeworfen".

Anwalt: "Starke Emotionen angefeuert"

Er könne sich vorstellen, dass Kuban und Aiwanger es gewohnt seien, auf Twitter ordentlich auszuteilen und auch ordentlich einzustecken, sagt der Würzburger Rechtsanwalt Jun. In diesem Fall hätten die beiden Politiker seiner Meinung nach aber anders vorgehen müssen. So hätten sie laut Jun den Sachverhalt beispielsweise abstrakt bewerten können. "Aber in dem Moment, wo ich den Text, den Screenshot des Bildes teile, muss mir bewusst sein, dass der Hass der Anhänger sich genau gegen diesen Kindergarten richtet". Der Anwalt fügte hinzu: "Das hätten sie vorher erkennen müssen."

Aus juristischer Sicht sei das Vorgehen der beiden Politiker vermutlich nicht nach Paragraph 126a strafbar, sei also nicht als Verbreitung von personenbezogenen Daten zu werten. "Gleichwohl haben sie natürlich starke Emotionen, man könnte auch sagen Hass, ausgelöst oder angefeuert. Aber das ist - im Augenblick jedenfalls - noch nicht verboten." Jun verweist auf den typischen Mechanismus im Netz: Zunächst werde in einer legalen Art und Weise eine Diskussion angeheizt, anschließend folgten Bedrohungen oder sogar Gewalttaten durch andere.

"Ich würde mir wünschen, dass in dieser Diskussion herauskommt, dass es sich nicht lohnt, zum Hass oder zur Empörung anzustacheln", sagte der Würzburger Anwalt. Zugleich appellierte er an Politiker aller Parteien, sich jeweils "zu überlegen, wer der Gegner ist".

Aiwanger: Fehler lag bei der Kita

Minister Aiwanger ist dagegen nicht der Meinung, etwas falsch gemacht zu haben: "Der Fehler, diesen Tumult ausgelöst zu haben, lag bei der Kita", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Der Ortsname sei bereits in der "Bild"-Zeitung zu lesen gewesen. "Ich habe ihn genannt, weil sonst der Vorwurf käme, ich nenne nicht Ross und Reiter." Hinter dem Schreiben des Kita-Teams stehe eine Ideologie, daher müsse man darüber sprechen. "Die Kita ist ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Insbesondere nicht als katholische Einrichtung, der Familienwerte etwas bedeuten sollten", kritisierte er in der "SZ".

Im BR-Interveiw verteidigte der Freie-Wähler-Politiker darüber hinaus, dass er sich grundsätzlich in Debatten wie im Fall der Dragqueen-Lesung zu Wort meldet: Als Parteivorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident wolle er sich "um alle Themen kümmern, die sich in diesem Land abspielen - und die ja Wellen schlagen".

Die CSU-Spitze, die sich bei Winnetou und der Dragqueen-Lesung ebenfalls klar positioniert hatte, hielt sich in der Muttertagsdebatte auffällig zurück. Das passt zum neuen Grundsatzprogramm: Darin bekennt sich die CSU zwar wieder zur "traditionellen Ehe von Mann und Frau". Zugleich öffnet sie sich weiter für andere Lebensformen: Familie sei "überall dort, wo ein oder zwei Menschen dauerhaft" für Kinder oder füreinander sorgten. Weiter heißt es: "Privates Glück haben Gesellschaft und Staat nicht zu bewerten." 

Bistum Fulda bedauert "Irritationen und Missverständnisse"

Nach dem öffentlichen Wirbel um die Entscheidung der Kita schaltete sich Mitte der Woche das Bistum Fulda ein: Durch das Schreiben seien "Irritationen und Missverständnisse entstanden", hieß es in einer Mitteilung, die Kindertagesstätte und das Bistum bedauerten dies. "Darauf hat das Kita-Team bereits mit einem zweiten Schreiben reagiert und um Entschuldigung gebeten."

Laut Bistum hatte "eine missverständlich und damit falsch formulierte Begründung" offenbar Zweifel am Familienbild der Kita aufkommen lassen. Gemeinsam stellten Kindertagesstätte und Bistum nun klar, "dass die Kita auch weiterhin ein katholisches Profil hat und sich für das christliche Familienbild einsetzen wird, das die Rolle von Vater und Mutter mit einbezieht". Gleichzeitig würden andere Lebensmodelle und Realitäten nicht ausgeschlossen.

Drag Queen Vicky Voyage
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