Prozess wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung
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Prozess wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung: Der Angeklagte mit seinem Anwalt Thomas Seifert im Januar im Gerichtssaal.

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Grooming-Prozess: Er schrieb die Mädchen auf "Knuddels" an

Ein 51-jähriger Mann hat junge Mädchen im Internet angeschrieben, einige von ihnen zu einem persönlichen Treffen überredet und sie dann sexuell genötigt und missbraucht. Seine Opfer fand er im gesamten Bundesgebiet. Jetzt wurde er verurteilt. 

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Man würde dem Mann, der sich heute vor dem Landgericht München I verantworten musste, nicht anmerken, zu was er fähig ist: Schlichte graue Jacke, braune Cord-Hose, eine Brille mit schwarzem Rahmen, Dreitagebart. Hochkonzentriert liest er von einem handbeschriebenen Blatt Papier ab und versucht, die Anschuldigungen gegen ihn abzuwehren. Er zitiert Aktenzeichen, weist auf Widersprüche in Zeugenaussagen hin, äußert sich eloquent. "Ihr Gebaren entspricht nicht dem eines Sexualstraftäters", sagte auch der Vorsitzende Richter der 20. Großen Strafkammer am Landgericht München I über den Angeklagten Daniel B..

Richter verhängt Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren

Doch schlussendlich schien Daniel B.s ausführliches Schlussplädoyer, das wie der Großteil des letzten Verhandlungstags unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, Richter Matthias Braumandl nicht zu beeindrucken: Er verurteilte den Angeklagten Daniel B. zu drei Jahren und sechs Monaten Haft wegen sexueller Nötigung, sexuellen Missbrauchs von Kindern oder Jugendlichen in insgesamt neun Fällen und wegen des Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Damit wich der Richter erheblich von den sechs Jahren Freiheitsentzug ab, die die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Er begründete das Urteil damit, dass die Richter nur sexuelle Nötigung und Missbrauch als erwiesen ansahen – nicht aber eine Vergewaltigung.

Er schrieb die Mädchen über soziale Medien an

Um junge Mädchen kennenzulernen, betrieb der 51-jährige Angeklagte in großem Stil Grooming: So nennt sich das Vorgehen Erwachsener, wenn sie Minderjährige über das Internet kontaktieren - mit dem Ziel, sexuelle Kontakte mit den Kindern und Jugendlichen zu knüpfen.

Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München I schickte der Thüringer mit Wohnsitz in München Minderjährigen Nachrichten mit explizit sexuellen Inhalten: Er schilderte den Mädchen detailliert seine sexuellen Fantasien, stellte ihnen intime Fragen, forderte sie auf, Nacktbilder und Videos von sich zu schicken. Und er machte deutlich, dass er bewusst Minderjährige finden wollte: "Ich bin ja an unter 18 interessiert", schrieb er einem Mädchen, "mich macht deine Kinderfigur an", einem anderen. Die Nachrichten schickte er über Seiten wie "Mysuggardaddy" und "Knuddels", aber auch über gängige soziale Medien wie Instagram. 

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Seine Opfer kamen aus den unterschiedlichsten Regionen

Laut der Staatsanwaltschaft München I schaffte es der Angeklagte Daniel B., fünf junge Mädchen – darunter auch ein Kind unter 14 Jahren – zu einem Treffen zu überreden. Dort kam es laut Anklageschrift zu sexuellen Handlungen, teils gegen den Willen der Mädchen. Teilweise bot der Angeklagte Daniel B. den Jugendlichen auch Geld und Geschenke – Versprechen, die er nach den sexuellen Handlungen nicht erfüllte. Zusätzlich zu den fünf Fällen, in denen es zu einem tatsächlichen Treffen kam, hatte der Angeklagte in sechs Fällen versucht, Kinder unter 14 Jahren zu einem Treffen zu überreden – allerdings ohne Erfolg.

Grooming: Ein Phänomen, das bislang wenig dokumentiert ist

Grooming fällt im Strafgesetzbuch unter die "Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" – den zugehörigen Paragraphen 176b, der solche Taten genau definiert, gibt es erst seit Juli 2021. Entsprechend dünn ist die Erkenntnis darüber, wie weit verbreitet das Grooming-Phänomen ist: "Bayernweit haben wir im Jahr 2022 179 Fälle erfasst, die unter den Paragraphen 176b fielen", sagt Jakob Siebentritt, Sprecher des Polizeipräsidiums München dem BR. Vergleichswerte aus früheren Jahren gebe es nicht. Entsprechend lasse sich auch nicht sagen, ob das Phänomen tendenziell größer oder kleiner wird.   

Viele der Opfer kamen aus schwierigen Umständen

Nach insgesamt acht Verhandlungstagen spiegelte der Richter am Landgericht München I seinen Eindruck von dem Angeklagten: Die Kernkompetenz des Angeklagten Daniel B. liege darin, junge Mädchen und Frauen aus schwierigen Umständen zu finden, ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu erkennen und sich ihr Vertrauen zu erschleichen. "Viele der Geschädigten haben einen 'Broken-Home'-Hintergrund, kranke Eltern oder wohnen in einem Heim", so Richter Matthias Braumandl in seiner Urteilsbegründung. Ein Gutachten über den Zustand des Angeklagten B. habe ergeben, dass der Angeklagte nicht pädophil sei. Deswegen wurde auch nicht geprüft, ob der Angeklagte vermindert schuldfähig oder schuldunfähig sein könnte. Dem Angeklagten sei es vielmehr darum gegangen, junge Mädchen und Frauen als Trophäe zu sammeln und Macht auf sie auszuüben.

Daniel B. wurde schon 2021 festgenommen, seine Wohnung bereits 2019 zum ersten Mal durchsucht. Dabei stießen die Beamten auf kinderpornographische Inhalte. Bei früheren Verhandlungsterminen hatte der Angeklagte behauptet, das kinderpornographische Material habe er besitzen dürfen, weil er ein "Museum für Zensur und verbotene Kunst" betreibe.  Richter Braumandl verwies in seinem Urteil darauf, dass die Pläne für das Museum bereits seit 2007 brachlägen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft München I können noch binnen einer Woche Revision einlegen.

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