Training der Leistungsgruppe der Turner und Turnerinnen des FC Gerolfing in Ingolstadt: Am Barren, am Reck und am Sprungtisch trainieren Kinder und Jugendliche zwischen neun und 19 Jahren. Beim Handstandüberschlag leisten die Trainer Hilfestellung. Körperkontakt ist die Regel. Selbstverständlich könne man sagen, wenn man das unangenehm finde, sagen die Turner und Turnerinnen: "Für uns ist es eigentlich normal, dass man darüber offen sprechen kann, und dass man davor nicht Angst haben muss", sagt die 12-jährige Paula.
Ingolstädter Verein leistet Prävention mit Hilfe von Fachleuten
Der FC Gerolfing hat das Thema sexuelle Übergriffe von sich aus aufgegriffen. Sie haben sich Hilfe von Fachleuten der Organisation "Wirbelwind" geholt, einer Beratungsstelle für Betroffene von sexueller Gewalt, die Vereinsmitglieder geschult haben. Sie haben Leitsätze verabschiedet, Übungsleiter müssen ein Führungszeugnis vorlegen und eine Selbstverpflichtung unterschreiben. In dieser verpflichten sie sich zum Beispiel dazu, nicht mit den ihnen anvertrauten Kindern zu duschen, in der Regel nie allein mit einem Kind zu sein und bei körperlichen Kontakten auf die Wünsche der Kinder zu hören.
Vertrauensperson im Verein: Klare Grenzen ziehen
Es geht darum, die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Trainer und Trainerinnen zu schützen, klare Grenzen zu ziehen und deutlich zu machen, was man darf und was nicht, sagt Kirsten Weber. Sie ist eine von zwei Vertrauenspersonen im Verein.
Wenn eines der Mitglieder sich mit einer Situation unwohl fühlt, kann er oder sie sich an Weber wenden – das wissen alle im Verein. Weber sagt, ihr ist es wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen sich im Verein sicher fühlen und eine gute Zeit haben.
Prävention sexueller Übergriffe immer mehr Thema
Der FC Gerolfing hat sich mit Prävention sexueller Übergriffe befasst, ohne dass vorher Übergriffe im Verein bekannt geworden wären – so machen es gerade viele Vereine. Zahlen gibt es keine, aber die meisten Sportvereine in Bayern haben zumindest formelle Maßnahmen getroffen, etwa Selbstverpflichtungserklärungen für die Übungsleiter vorgeschrieben und Leitsätze verabschiedet.
Dass wirksame Prävention gegen sexuelle Übergriffe aber noch viel mehr beinhaltet, kann man beim Verband Christlicher Pfadfinder beobachten. Eva Bauerreis geht das Thema mit einer Kindergruppe spielerisch an: Sie liest Beleidigungen vor, von "Lauch" bis "Fick dich" – und die Kinder sollen bestimmen, was sie okay finden und was gar nicht geht. Bald geht eine lebhafte Diskussion los, was noch in Ordnung ist: Die Kinder lernen so, sich in andere hineinzuversetzen, für sich Grenzen zu ziehen und sie so ganz automatisch auch bei anderen zu respektieren.
"Ein Mensch, der Nein sagen darf"
"Es geht darum, Kindern zu vermitteln: Du bist ein vollwertiger Mensch mit Rechten und Pflichten. Und du bist ein Mensch, der Nein sagen darf, der Grenzen setzen darf", sagt Carla Singer. Sie ist eine der Landesvertrauenspersonen bei den Pfadfindern. An sie kann man sich also wenden, wenn man sich unwohl in einer Situation gefühlt hat. Singer sagt: Übergriffe passieren, ob darüber geredet wird oder nicht – häufig auch zwischen Gleichaltrigen. Und dann muss man darüber reden können. Dafür aber müssen Kinder und Jugendliche von Anfang an das Gefühl bekommen, dass sie das auch ansprechen können und sollen.
Singer sagt aber auch: Prävention muss attraktiv sein, sie darf nicht länger in der Schmuddelecke stehen als Thema, bei dem es hauptsächlich darum geht, was alles verboten ist – damit kriege man die Jugendlichen nämlich nicht. Sie will dem Thema einen positiven Dreh geben: Prävention könne eben auch spielerisch vermittelt werden, man müsse darüber sprechen, wie man die Welt so gestalten könne, dass eine maximal vertrauensvolle Atmosphäre entstehe.
Ehrenamtliche brauchen Unterstützung
Carla Singer betont aber auch, dass die Ehrenamtlichen in den Vereinen mit der Prävention an ihre Grenzen kommen. Vom Gesetzgeber bekommen die Vereine immer mehr Maßnahmen vorgeschrieben – zum Beispiel die Kontrolle der Führungszeugnisse. Gleichzeitig sieht Singer aber auch, wie wichtig Schulungen für Jugendleiter sind, in denen sie lernen, mit Kindern und Jugendlichen über das Thema sexuelle Übergriffe zu sprechen, aber auch unter den Jugendleitern selbst. Singer wünscht sich mehr Geld und Stellen für Präventionsbeauftragte vom Staat: "Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Was ist uns der Schutz unserer Kinder am Ende wert?"
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