Die Naturfreunde in Bayern und Thüringen wollen ein Zeichen für Demokratie und Weltoffenheit setzen. Deshalb haben sich Radlerinnen und Radler der Naturfreunde Nürnberg-Mitte und des Radclubs Schleudergang auf den Weg nach Thüringen gemacht. Als erste Station auf der Gravelbike-Tour steuern sie Sonneberg an, das nur wenige Kilometer hinter der bayerischen Grenze liegt. Weithin bekannt ist dort "Das Gewölbe", eine Kellerbar in Bahnhofsnähe. In einem Landkreis mit vielen AfD-Wählern und dem ersten AfD-Landrat sticht die Kellerbar mit einem offenen Bekenntnis für gelebte Vielfalt heraus.
Sich Gehör verschaffen: "Make some noise"
Unter dem Motto "Mach mal Lärm" veranstaltet Barbesitzer Marcel Rocho mit dem Verein "Make some noise" verschiedene Lesungen, Vorträge und Konzerte von Indie-Punkrock bis Elektronic, auch mit Bands wie "Feine Sahne Fischfilet", die sich gegen Rechtsextremismus positionieren. Schließlich habe der Verfassungsschutz die AfD in Thüringen wie auch in Bayern als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.
Deshalb müssen sich auch die anderen Gehör verschaffen, sagt er, also diejenigen, die nicht zu den fast 50 Prozent AfD-Wählern gehören. "Wir wollen zeigen, dass Sonneberg mehr ist als AfD", sagt Rocho. In seiner Kellerbar ist er offen für unterschiedliche Weltanschauungen und Diskussionen, aber nicht für extremistische Äußerungen. In solchen Fällen schreitet er ein.
Einblicke sammeln und weitertragen
Trotz Morddrohungen und Anfeindungen setzt sich Marcel Rocho weiterhin gegen jegliche Form von Extremismus ein. Er versteht den großen Zulauf bei der AfD nicht, denn in Sonneberg gebe es keine hohe Arbeitslosigkeit, den meisten gehe es gut. Deshalb diskutiert er auch immer wieder mit vielen Menschen und fragt nach deren Beweggründen.
Dass eine Radgruppe der Naturfreunde aus Bayern solche Einblicke sammelt und weiterträgt, findet der Sonneberger gut. Bereits zum zweiten Mal organisiert Uli Büscher von den Naturfreunden Nürnberg-Mitte diesen Austausch, bei dem sie radelnd verschiedene Projekte besuchen: "Es geht ums Zuhören, Verstehen und voneinander Lernen", sagt er.
Barbesitzer Marcel Rocho im "Gewölbe" in Sonneberg.
Protestbewegung in Themar
Schon seit ihrer Gründung vor über hundert Jahren verstehen sich die Naturfreunde in ganz Deutschland nicht als reiner Umweltverband. In ihrer Satzung bekennen sie sich zum demokratischen Sozialismus. Daher ist das "Graveln für Demokratie" für Antonia von den Naturfreunden Nürnberg-Mitte eine ideale Kombination. Denn sie ist gerne in der Natur unterwegs, fährt gerne Rad und setzt sich für Demokratie ein: "Es hilft, wenn man sich mit anderen vernetzt und merkt, dass man mit den Themen, die einen beschäftigen, nicht allein ist."
Auch in thüringischen Themar im Landkreis Hildburghausen haben sich die Menschen vernetzt. Als Tausende zu Rechts-Rock-Konzerten kamen, formierte sich eine Protestbewegung. Außerdem gibt es dort Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Holocaust und Kreuze erinnern an die Opfer des Faschismus.
Soziale Inklusion als gesellschaftlicher Kit
Eine weitere Station auf der Gravelbike-Tour ist das Flechtwerk Almerswind im thüringischen Landkreis Sonneberg. Dort hat Projektleiter André Kranich ein ehemaliges Sportheim renoviert und einen Raum für gemeinschaftliche Projekte geschaffen. Es ist ein offenes Haus für kulturelle Veranstaltungen oder beispielsweise einen Ehrenamtstag, an dem auch die Naturfreunde aus Franken und Thüringen vorbeischauen.
Sofian nimmt daran teil, weil für ihn soziale Inklusion ein wichtiges Thema ist, bei dem Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam etwas mit demselben Ziel schaffen. Es sei der Kit der Gesellschaft. Auf der Naturfreunde-Tour nimmt Mit-Organisator Frank die Stimmung als "gespalten" wahr. Er spürt in Thüringen, dass viele Menschen in einem anderen politischen System aufgewachsen und teilweise frustriert sind.
Ähnliche Themen in Bayern und Thüringen
Was noch tief sitzt - selbst 35 Jahre nach der Wiedervereinigung - ist das Gefühl, damals über den Tisch gezogen worden zu sein. Beispielsweise bei Aufkäufen von Fabriken und Gebäuden für eine symbolische D-Mark. So empfindet es zumindest Beate Seiffert vom Landesverband der Naturfreunde Thüringen. Sie kritisiert, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer würden.
Soziale Gerechtigkeit, Bildungschancen und auch öffentlicher Verkehr auf dem Land sind Themen, die sie beschäftigen. Sie wohnt nur wenige Kilometer von der Landesgrenze entfernt und der Besuch der Naturfreunde zeigt: Ein Austausch zwischen Bayern und Thüringen ist auf jeden Fall lohnend.
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