Der Schneeferner auf der Zugspitze.
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Der Schneeferner auf der Zugspitze.

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Gletscher-Requiem: Trost gegen Ohnmachtsgefühle im Klimawandel

Im vergangenen September wurde dem südlichen Schneeferner auf der Zugspitze der Gletscher-Status aberkannt. Der Klimawandel beschleunigt das Schmelzen. Ein Gletscher-Requiem soll den Menschen helfen, mit Trauer, Wut und Ohnmacht umzugehen.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Dem Südlichen Schneeferner am Zugspitzblatt ist von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im vergangenen Herbst der Status eines "Gletschers" aberkannt worden. Wegen des starken Eisschwunds, verursacht und beschleunigt durch den Klimawandel, ist er jetzt nur noch als Toteis klassifiziert. Damit gibt es nun in Deutschland beziehungsweise in Bayern nicht mehr fünf, sondern nur noch vier Gletscher, zwei davon auf der Zugspitze. Und auch die könnten in naher Zukunft ihren Status verlieren. Mit einem christlichen Ritual, einem Gletscher-Requiem, versuchen Kirchenleute und Künstler - nicht nur in Bayern - auf die Zerstörung der Umwelt und die Schönheit der Natur aufmerksam zu machen.

Gletscher-Schmelze sorgt für Trauer, Wut und Ohnmacht

Wenn das angeblich ewige Eis eines Gletschers schmilzt und die Tatsache des Klimawandels drastisch vor Augen führt, sorgt das bei vielen für Ohnmachtsgefühle. "Ich schau dem Sterben zu, seit ich ein Kind bin", sagt etwa der Komponist Andreas Zurbriggen. Er stammt aus Saas Fe in der Schweiz und ist am Fuße des Feegletschers aufgewachsen. "Er stirbt nicht lautlos, er kracht, er weint, so viel Wasser, so viele Tränen."

Schon sein ganzes Leben lang beobachtet Andreas Zurbriggen, wie das Eis schwindet. Die Trauer und Wut, die das Gletschersterben in ihm auslöste, hat er in seiner Musik verarbeitet. 2016 hat er ein Gletscher-Requiem geschrieben. "Für mich haben Gletscher eine große symbolische Kraft, stehen für die Ewigkeit, für etwas Größeres, Höheres. Ich wollte die Leute zum Nachdenken anregen. Mit einem Requiem kann man Assoziationen wecken von Tod und Vergänglichkeit", sagt Andreas Zurbriggen.

Gletscher-Requiem im Sommer auf der Zugspitze

Auch die evangelische Pfarrerin Ulrike Wilhelm aus Garmisch-Partenkirchen lässt das Gletschersterben nicht kalt. Sie will deshalb im Sommer auf der Zugspitze ebenfalls ein Gletscher-Requiem feiern, einen Gottesdienst mit Segnung für Mensch und Gletscher. "Für mich ist es wichtig, in der Natur mit den Menschen über den Klimawandel zu reden. Da ist es am deutlichsten spürbar", so Ulrike Wilhelm. "Der tote Gletscher führt uns vor Augen, welche Folgen das menschliche Handeln hat. Davor kann keiner die Augen schließen", sagt Ulrike Wilhelm. Mit der Aktion will die Pfarrerin den Finger in die Wunde legen und der Öffentlichkeit zeigen, dass uns der Klimawandel alle angeht: "Wenn wir dankbar sind für unsere Schöpfung, dann müssen wir uns auch kümmern und sorgfältig damit umgehen", fordert sie. "Jeder muss seinen Beitrag leisten, politisch aber auch im ganz Kleinen."

Südlicher Schneeferner hat Gletscherstatus verloren

Den Kirchenmusiker aus ihrer Gemeinde konnte sie schon motivieren, für den Gottesdienst im Juli ein Musikstück zu komponieren. Auch den katholischen Pfarrer aus der Gemeinde St. Laurentius in Ohlstadt hat sie für das Gletscher-Requiem gewinnen können. Pastoralreferent Florian Hammerl hofft, dass die Veranstaltung die Menschen im Inneren berührt: "Mir geht es darum, dass man die Trauer und Ohnmacht durch christlich bewährte Rituale zum Ausdruck bringt. Wir sehen, hier stirbt etwas, wir wollen selber tiefer einsteigen, weil sich dadurch erst Haltungen entwickeln können, dass man das, was man noch beschützen kann, dann wirklich auch beschützt", sagt Florian Hammerl.

Doch der südliche Schneeferner auf der Zugspitze kann nicht mehr beschützt werden. Er hat vergangenen Herbst seinen Status als Gletscher verloren. "Gletscher sind dadurch charakterisiert, dass sie fließen", erklärt Inga Beck, von der Umweltstation Schneefernerhaus auf der Zugspitze. "Oben kommt Schnee zum Nährgebiet und unten schmilzt es. Es ist ein Zehrgebiet und wenn das nicht mehr der Fall ist, ist es kein Gletscher mehr, sondern eine Eisfläche, ein Toteis."

Gletscher entstanden in der Eiszeit vor 20.000 Jahren

Während der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren waren die kompletten Alpen vergletschert. Die Gletscher, die wir heute kennen sind Reste dieser Eiszeit. Durch den Klimawandel schmelzen sie heute beschleunigt. Alle vier verbleibenden deutschen Gletscher liegen in den bayerischen Alpen: Der nördliche Schneeferner und der Höllentalferner an der Zugspitze sowie der Watzmann- und der Blaueisgletscher in den Berchtesgadener Alpen. Auch dieser wird von Sommer zu Sommer kleiner und dünner. "Der Gletscher geht immer mehr zurück", sagt Inga Beck. Mittlerweile seien es schon zwei Teile und keine zusammenhängende Fläche mehr. "Es ist spektakulär, weil man den Klimawandel hautnah miterleben kann. In der Hütte gibt es Bilder, da sieht man, wie er früher aussah", sagt Beck. "Das erste Gefühl ist immer ein Staunen, dass es ihn noch gibt. Der Gletscher ist eine Zeitkapsel, so etwas Altes habe ich noch nie berührt. Dann fühlt man aber auch Trauer darüber, dass Sachen unwiderruflich zerstört werden. Dabei hätten sie allein durch ihre Einzigartigkeit und Schönheit das Recht zu existieren. Aber sie schmelzen dahin. Und dann sind sie weg."

Hoffnung, das ewige Eis doch noch zu retten

Ulrike Wilhelm besucht als Seelsorgerin regelmäßig die Zugspitze mit Touristen und bestätigt: nicht nur Einheimische, auch Gäste sind bewegt, wenn sie den heutigen Zustand des Gletschers sehen. "Die sind alle entsetzt. Ich kann die Erschütterung spüren. Ich habe ein Ritual gesucht - wie auf der Intensivstation, da ist man als Kirche auch manchmal dabei, wenn man nichts mehr tun kann."

Die Hoffnung, die anderen Alpengletscher zu erhalten, hat der Schweizer Komponist Andreas Zurbriggen noch nicht aufgegeben. Er hofft auf einen Wandel, der das ewige Eis doch noch retten könnte - wenn nicht in Bayern, dann zumindest in seiner Heimat, im Gletscherdorf Saas Fe in der Schweiz: "Ein Jahr ohne Sommer wie 1816 würde ihnen gut tun. Vielleicht gibt es doch noch einen Turn-Around. Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. Für mich ist Saas Fe eine Art Gottesbeweis, eine unglaubliche Schönheit, wie ein Gefühl, dass es etwas Höheres geben muss."

Am Dienstag, 25. Juli 2023 ab 12 Uhr veranstaltet Pfarrerin Ulrike Wilhelm einen Berggottesdienst in der Kapelle "Mariä Heimsuchung" am Zugspitzplatt. Im Anschluss findet die Gletscher-Segnung am ehemaligen Gletscher statt.

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