Der Bundesgerichtshof hat ein wegweisendes Urteil gefällt: Die als Wittenberger "Judensau" bekannte Schmähplastik darf weiter an der Stadtkirche der Lutherstadt bleiben. Der Bundesgerichtshof wies am Dienstag die Klage gegen das vorinstanzliche Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg ab. Zuvor hatte das Oberlandesgericht Naumburg bereits entschieden, dass das Relief nicht beseitigt werden muss, weil es seit 1988 in ein Gedenkensemble eingebunden sei.
Viele Darstellungen auch in Bayern
Dabei ging es darum, ob eine mittelalterliche, antijüdische Skulptur von der Fassade der Wittenberger Stadtkirche entfernt werden muss. Dargestellt ist eine sogenannte "Judensau". Die gibt es auch an oder in einigen bayerischen Kirchen und anderen Gebäuden. Der jüdische Kläger Michael Düllmann kämpft seit 2018 gerichtlich für die Entfernung der Skulptur, weil er sie als Beleidigung empfindet.
Der Kläger hatte die Abnahme des Sandsteinreliefs aus dem 13. Jahrhundert verlangt, weil er dadurch das Judentum und sich selbst diffamiert sieht. Der Kläger könne nicht die Entfernung verlangen, weil es an einer "gegenwärtigen Rechtsverletzung" fehle, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Die Beklagte, die Kirchen, habe den ursprünglich rechtsverletzenden Zustand dadurch beseitigt, dass eine Bodenplatte und ein Aufsteller angebracht wurden, die die diffamierende Darstellung einordnen würden. Bei Gesamtbetrachtung habe die beklagte Kirche sich erfolgreich vom Inhalt des Reliefs distanziert.
Das Relief aus dem Jahr 1290 zeigt in vier Metern Höhe eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen trinken, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Im Judentum gilt ein Schwein als unrein. Die "Judensau" gehört deshalb nach Ansicht des Klägers, einem Mitglied der jüdischen Gemeinde, in ein Museum.
"Judensau"-Entfernung lässt Antisemitismus nicht verschwinden
In der evangelischen Nürnberger Sebalduskirche wimmelt es fast von antijüdischen Darstellungen: Am Marienportal vergehen sich Juden am Sarkophag der Maria, ihnen verkrüppeln die Hände. Das Weltgerichtsportal zeigt Menschen, die in die Hölle fahren, unter ihnen auch Juden. Auf einem Fresko ist Paulus mit Heiligenschein dargestellt und ihm gegenüber Juden mit spitzen gelben Hüten. Die sind auch auf Kirchenfenstern zu finden. Draußen auf einem Konsolstein ist die sogenannte "Judensau" zu sehen.
Pfarrer Martin Brons will das schwierige Erbe trotzdem bewahren. Denn Arno Hamburger, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Nürnberg, habe zu ihm gesagt, mit der Entfernung der Darstellungen verschwinde nicht der Antijudaismus oder der Antisemitismus. "Und mit der Entfernung der grauenhaftesten Darstellungen, bei der Juden im Zusammenhang mit Schweinen dargestellt werden, lösen wir nicht das Problem, weil es noch viele andere antijüdische Darstellungen gibt. Man müsste dann eigentlich anfangen, die halbe Kirche freizuräumen", meint Pfarrer Brons.
- Zum Artikel: "Neue Infotafel an der sogenannten "Judensau" am Regensburger Dom"

Auch in Franken sind die Darstellungen zu sehen.
Geschichte kann nicht aus der Welt geschafft werden
Die Jüdische Gemeinde in Regensburg hält auch nichts davon, die "Judensau" am Dom abzuschlagen. Dementsprechend erleichtert äußerte sich die Vorsitzende Ilse Danziger über das Karlsruher Urteil. Jedoch müsse eine Tafel solche Darstellungen auf empathische Weise einordnen. Das wird in Regensburg in Kürze geschehen.
In Cadolzburg orientiert man sich an der Text-Tafel aus Regensburg. Hier ist das Schmährelief gut sichtbar am Burgtor angebracht. Zuständig für die Tafel ist die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung. Uta Piereth, Museumsreferentin für die Cadolzburg, berichtet von Gesprächen mit jüdischen Mitbürgern, die meinen, für dieses Problem gebe es keine gute Lösung: "Ich persönlich glaube nicht, dass dieser Teil der Geschichte, der eine schlimme Geschichte, eine aggressive Geschichte ist, durch das Abnehmen des Bildes aus der Welt geschafft werden kann. Ich halte tatsächlich mehr davon, dass man es belässt und sich damit auseinandersetzt."
"Entfernung passt in identitätspolitische Diskussion"
Die "Judensau" im Heilsbronner Münster ist nur für Eingeweihte sichtbar, die sich in den Gräberbereich begeben. Pfarrer Ulrich Schindler ist strikt dagegen, dass die Spottskulptur entfernt wird. "Für mich geht es nicht, dass wir die schlimmen Teile unserer Geschichte ausradieren", sagt Schindler. Die Diskussion über eine Entfernung passe für ihn in die aktuelle identitätspolitische Diskussion. "Wir müssen erklären, interpretieren, aber nicht wegtun, was irgendjemand stört."
In Bayern herrscht also Einigkeit, dass die Schmähreliefs bleiben sollen. Sollte das Gericht Tafeln und Flyer zur Erklärung der antijüdischen Darstellungen für ungenügend erklären, hat der Nürnberger Pfarrer Martin Brons eine kreative Idee: "Ich würde mir wünschen, dass wir ein öffentliches künstlerisches Statement darauf finden, das der schlimmen Darstellungstradition der letzten Jahrhunderte etwas entgegensetzt. Wir haben in den Glasmalereien auch viele weiße Flächen, wo einfach die historische Glasmalerei nicht mehr da ist. Ein Traum wäre für mich, dass man einen jüdischen Künstler findet, der beispielsweise diese Glasmalereien feinfühlig im Miteinander des ganzen Kirchenraumes gestaltet."
Und auch die Nürnberger "Judensau" könnte - falls der künstlerische Ansatz Wirklichkeit wird - Konkurrenz bekommen von einem Werk jüdischer Künstler. Entweder auf demselben oder einem Nachbarkonsolstein.
- Zum Artikel: "Stadtrat - Nikolaus-Fey-Weg in Lohr am Main wird umbenannt"
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