Die Geothermieanlage im Heizkraftwerk Süd. Die Anlage der Stadtwerke München liefert Wärme für mehr als 80.000 Menschen.
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Die Geothermieanlage im Heizkraftwerk Süd. Die Anlage der Stadtwerke München liefert Wärme für mehr als 80.000 Menschen.

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Geothermie: Bayerische Finanzierung "ein Witz"?

Ein Viertel des Wärmebedarfs soll im Freistaat künftig über die besonders klimafreundliche Geothermie gedeckt werden. So der erklärte Wille der Staatsregierung. Die Landtagsgrünen zweifeln das mit Blick auf den Haushaltsentwurf fürs kommende Jahr an.

Als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Juli 2021 eine Regierungserklärung im Landtag zum Klimaschutz hält, da schwärmt er geradezu vom bayerischen Geothermie-Potenzial: Bayern sitze mit seinem Süddeutschen Molassebecken "auf einer Wärmflasche". Ein Potenzial sei das, das "viel zu wenig abgerufen" werde. Und Söder verspricht damals: "Deswegen wird es einen viel stärkeren Ansatz geben dies zu nutzen. Bis 2050 muss 25 Prozent des Wärmebedarfs daraus gedeckt werden, also werden wir die Geothermie-Strategie ausbauen und beschleunigen."

Geothermie ist eine Technologie, bei der teilweise aus einer Tiefe von mehreren hundert bis zu mehreren tausend Metern Energie aus heißen Wasserströmen gewonnen werden kann. Der Wirkungsgrad liegt bei rund 90 Prozent. Laut Bayerischem Energie-Atlas beträgt der Anteil der Wärmeerzeugung durch Geothermie in Bayern etwa ein halbes Prozent (Stand 2020).

Grüne: Förderung "nicht mal Tropfen auf den heißen Stein"

Von Ausbau und Beschleunigung könne bis heute keine Rede sein, kritisieren nun, eineinhalb Jahre nach der Regierungserklärung unter anderem die Grünen im Landtag. Deren haushaltspolitische Sprecherin, Claudia Köhler, begründet das mit dem bislang bekannten Haushaltsentwurf der Staatsregierung für 2023. Demnach seien zehn Millionen Euro zur Förderung von Geothermieforschung für das kommende Jahr vorgesehen. Das sind laut Köhler zwar 2,5 Millionen Euro mehr, als zuletzt im Haushalt zur Verfügung gestellt worden seien, doch auch mit diesem Geld könne man nicht viel reißen.

Denn: Mit dieser Summe lasse sich noch nicht einmal ein einziges Geothermieprojekt umsetzen. Zu den teuren Bohrungen kämen vielerorts noch die hohen Kosten für den Ausbau von Wärme- und Verbundnetzen, um die gewonnene Wärme aus der Erde auch dorthin zu bringen, wo sie wirklich gebraucht werde. Die zehn Millionen Euro im Staatshaushalt seien da "ein schlechter Witz, ein Tropfen auf den heißen Stein", ärgert sich Köhler - alleine für den Ausbau der Netze fordern die Grünen seit Jahren 100 Millionen Euro.

Aiwanger sieht Bund in der Pflicht

Der zuständige bayerische Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) verweist auf BR24-Anfrage zunächst auf die Zuständigkeit des Bundes. Die Ampel in Berlin habe einen zu geringen Betrag bereitgestellt. Das neue Förderprogramm sei zwar besser als nichts, aber zu wenig. Die Vertreter "der bayerischen Oppositionsparteien" ruft Aiwanger dazu auf sich beim Bund für die Kommunen einzusetzen. Bohrungen und Leitungen seien sehr kostenträchtig.

Im Sommer hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit der überarbeiteten "Richtlinie für die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze – BEW" ein Programm im Umfang von drei Milliarden Euro bis 2026 aufgelegt. Gefördert werden soll damit erneuerbare Wärmeerzeugung "etwa aus Geothermie, Solarthermie und der Einsatz von Großwärmepumpen sowie weitere Wärmenetzinfrastruktur“. Übernommen werden damit nun Kosten von bis zu 40 Prozent der Investitionen in Erzeugungsanlagen und Infrastruktur.

Minister nennt andere Zahlen

Nach Veröffentlichung einer ersten Fassung dieses Artikels legt er nach und nennt neue Zahlen. Im Haushaltsentwurf 2023 sind laut Ministerium unverändert 7,5 Millionen Euro für Geothermie vorgesehen - eine Erhöhung würde demnach aus "Gründen der Doppelförderung keinen Sinn machen", da der Bund Investitionen in die Tiefengeothermie mit bis zu 40 Prozent fördere. Neu im Haushalt 2023 eingestellt seien zehn Millionen Euro für die Förderung der Geothermie-Forschung.

Darüber hinaus seien in den vom Kabinett beschlossenen 100 zusätzlichen Stellen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Bayern auch Stellen enthalten, die der Beschleunigung der Genehmigung von Geothermie-Projekten dienten. Köhlers Kritik weist Aiwanger als "haltlos" zurück. Offenbar sei den Grünen nicht bewusst, dass es aus EU-beihilferechtlichen Gründen keine hundertprozentige staatliche Finanzierung von Tiefengeothermie-Projekten in Verbindung mit Wärmenetzen geben könne.

TU-München: großes Potenzial – hunderte Bohrungen nötig

Dass der Ausbau der Geothermie mehr Anstrengung erfordert, wenn die Staatsregierung ihr Ziel erreichen will, legt eine Untersuchung der Technischen Universität München (TUM) aus dem Jahr 2020 nahe. Der Bericht mit dem Titel "Bewertung Masterplan Geothermie", den das Wirtschaftsministerium beauftragt hatte, wurde erst kürzlich veröffentlicht. Darin heißt es, die Tiefengeothermie sei "eine der klimafreundlichsten Erneuerbaren Energien mit einem hohen CO2-Vermeidungspotenzial".

Der TUM zufolge können in Bayern nicht nur 25 Prozent, sondern sogar bis zu 40 Prozent des Wärmebedarfs mittels Geothermie gedeckt werden. Um dieses Potenzial zu heben, wären theoretisch "knapp 500 Förder- und Injektionsbohrungen" notwendig, sagt die Studie. Eine Megainvestition also. Auch die TUM verweist darauf, dass es mit den Bohrungen alleine nicht getan ist: Es brauche den Ausbau von Verbund- und Wärmenetzen.

Kommunen finanziell überfordert

Grünen-Politikerin Köhler sagt, die 40-Prozent-Förderng durch den Bund sei "schon eine Hausnummer". Doch wer soll nun die anderen 60 Prozent bezahlen? Nicht nur der Freistaat, sondern auch der Bayerische Städtetag, ein kommunaler Spitzenverband, winkt ab. Dessen Präsident Markus Pannermayr hält zwar ebenfalls viel von Geothermie, die Investitionskosten seien für die meisten Kommunen aber einfach nicht zu stemmen. Das Grundproblem dabei: Wärmeversorgung ist keine kommunale Pflichtaufgabe. Das heißt: Städte und Gemeinden dürfen sich dafür nicht verschulden. Selbst wenn das Projekt verspricht, die Wärmeversorgung langfristig zu sichern und nach einigen Jahrzehnten sogar Geld in die Stadt- oder Gemeindekasse spülen würde.

Beispiel Germering: Geothermie würde Finanzrahmen sprengen

Auch die Stadt Germering, westlich von München, liebäugelt mit Geothermie. Die geologischen Voraussetzungen dort sind gut, das Risiko keine Tiefenwärme zu finden ist gering. Germerings Oberbürgermeister Andreas Haas, CSU, reizt diese – wie er sagt – "verlässliche, lokal gewonnene und regenerative Energie". Die Kommune will deshalb zeitnah eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Bis die fertig ist, werden noch einmal zwei Jahre ins Land ziehen, schätzt Haas. Und dann? Haas zuckt mit den Schultern: "So weit sind wir noch nicht". Stand jetzt könnte sich Germering die Bohrungen und ein Wärmenetz selbst nicht leisten. Anlage und Netz würden – so die vorsichtige Annahme – rund 150 Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: Der Gesamthaushalt der Stadt pro Jahr liegt bei 130 Millionen Euro.

Investoren gesucht – oder doch nicht?

Denkbar ist auch, dass sich private Investoren engagieren. Ein zweischneidiges Konstrukt – da sind sich Wirtschaftsminister, Landtagsgrüne und Vertreter der Kommunen einig. Wirtschaftsminister Aiwanger würde es bedauern, wenn staatliche Fördergelder an Privatinvestoren gingen, die später zu erwartenden Gewinne dann aber andere machen würden.

Auch die Kommunen wissen die Wärmeversorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger gerne in den eigenen Händen. Und die Landtagsgrüne Claudia Köhler warnt, dass man die Energieversorgung, so wie bei den fossilen Energieträgern, nicht wieder in fremde Hände geben dürfe. Das sei eine Lehre aus der aktuellen Energiekrise. Schon jetzt zeige sich etwa im Chiemgau, dass die so genannten Geothermie-Claims die Besitzer gewechselt hätten – und an ausländische Investoren gegangen seien.

Geothermie-Pionier: Bund hat geliefert

Vor etwa zwei Wochen hatte der Bayerische Wirtschaftsminister zu einem Runden Tisch Geothermie eingeladen. Mit dabei auch Wolfgang Geisinger, Geschäftsführer der Geothermie Unterhaching und Vorsitzender des Forschungsbeirats der Geothermie-Allianz Bayern, zu der auch mehrere Bayerische Universitäten gehören. Die Geothermie Unterhaching ist eine Art Pionier in Bayern. Geisinger betont: Bayern müsse nun anfangen Geothermieprojekte umzusetzen. Die Fakten lägen alle auf dem Tisch.

Anders als Aiwanger ist der Geothermie-Pionier der Ansicht: "Berlin hat geliefert - jetzt sind wir in Bayern dran." Was fehle sei nun ein Investitionsfonds für die Kommunen, um ihnen zu ermöglichen die Geothermie auch jenseits des Haushalts zu finanzieren. Außerdem müssten Genehmigungsverfahren verkürzt und Verantwortliche benannt werden, um das selbstgesteckte Ziel 25 Prozent des Wärmebedarfs mit Geothermie zu decken, auch wirklich erreichen zu können.

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