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Das Nürnberger Väter-Netzwerk will auf die schwierige Situation vieler Väter und ihrer Kinder nach Scheidung oder Trennung aufmerksam machen.

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"Genug Tränen": Väter-Netzwerk Nürnberg kämpft gegen Entfremdung

Trennen sich Eltern, ist das für Kinder oft ein Drama. Meist leben sie dann bei der Mutter und nicht selten bricht der Kontakt zum Vater ab. Darunter leiden Kinder, aber auch die Väter. Das Väter-Netzwerk in Nürnberg will betroffenen Vätern helfen.

Scheidung oder Trennung der Eltern bedeuten oftmals auch für die Väter eine schwierige Situation, was die Beziehung zu ihren Kindern angeht. Darauf möchte das Nürnberger Väter-Netzwerk aufmerksam machen. Dort finden Betroffene Hilfe. Das Netzwerk fordert mehr Unterstützung und eine neue Weichenstellung von der Politik, damit die vom Kind getrennt lebenden Elternteile mehr Rechte bekommen. Meistens sind das die Väter.

Trennung und tiefe Trauer – Vater kommt nicht an Kind heran

Im August vergangenen Jahres hat Peter Hellmann seine zwölf Jahre alte Tochter zum letzten Mal gesehen. Im Alltag hat der 63-jährige Erlanger keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter. Und das obwohl er seit Jahren trotz elterlicher Trennung versucht, ihr ein guter Vater zu sein. "Mir geht’s natürlich total schlecht. Das ist eine tiefe Trauer, die da in einem drinsteckt“, beschreibt Peter Hellmann seine Gefühlswelt.

Wenn ihn etwa Kollegen nach seiner Tochter fragen, sei er den Tränen nahe. "Das Gefühl ist wie wenn dein Kind gestorben ist. Du kommst an dein Kind nicht ran – und umgekehrt: Es kommt nicht an dich ran“, sagt der 63-Jährige. Dass er keinen Kontakt zu seiner Tochter habe, liegt laut Peter Hellmann an seiner Ex-Frau. Sie würde unter anderem Treffen systematisch unterbinden, so der Vorwurf – und das obwohl es einen richterlichen Umgangsbeschluss gibt.

Phänomen der "Entfremdung" kaum öffentlich wahrgenommen

Laut dem Bremer Psychologen Stefan Rücker ist Entfremdung häufig die Folge, wenn Eltern im Streit auseinandergehen. Häufig beschließe dann ein Elternteil, "dass das Kind ohne den anderen Elternteil aufwachsen soll". Weil die meisten Trennungskinder bei ihren Müttern leben, seien in der Praxis vor allem Väter von Entfremdung betroffen. Und die Kinder.

Dieses Phänomen werde bislang öffentlich kaum wahrgenommen, die Folgen seien aber – besonders für Kinder – "extrem schwierig". Entfremdung passiert laut Rücker oftmals nicht bewusst, sondern wenn ein Elternteil der Meinung ist, "dass der andere Elternteil für die Förderung und Entwicklung des Kindes nicht geeignet ist."

Von Bindungsängsten bis zu Essstörungen – so leiden die Kinder

Wenn infolge der Trennung der Eltern ein Elternteil quasi aus dem Leben der Kinder scheidet, dann sind die Folgen einer solchen Entfremdung sehr unterschiedlich, so Psychologe Stefan Rücker. Je nach Alter, Geschlecht und Entwicklungsstand der Kinder sei etwa die Lernfähigkeit in der Schule beeinträchtigt. Auch Bindungsängste im späteren Leben können eine Folge sein. Bei älteren Kindern und Jugendlichen sei häufig zu beobachten, dass sie Ängste entwickeln. Auch Essstörungen und Depressionen werden mit Entfremdung in Verbindung gebracht, so Rücker.

Auch Eltern leiden massiv – meist sind es Väter

"Da ist Verzweiflung. Da ist Wut. Und da ist ganz, ganz viel Trauer", beschreibt Psychologe Stefan Rücker die Gefühlswelt vieler Elternteile, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben. Weil in Deutschland Trennungskinder meist bei ihren Müttern leben, leiden vor allem Väter unter der Entfremdung ihrer Kinder. Je nachdem, wie der Einzelne dann mit solchen Stresssituationen umgeht, käme es teils zu Depressionen, aber auch zu Selbstmorden.

Väter-Netzwerk Nürnberg will helfen

Das Väter-Netzwerk Nürnberg will Vätern helfen, die unter der Entfremdung ihrer Kinder leiden. Da sich der 2014 gegründete Verein mittlerweile bundesweit einen Namen gemacht hat, gehen pro Woche mehrere neue Mitgliedanträge ein - und zwar aus dem gesamten Bundesgebiet, so André Roßnagel, der zweite Vorsitzende des Väter-Netzwerks. Er möchte, dass die Politik das Problem der Entfremdung stärker wahrnimmt und entsprechend handelt. "Väter brauchen eine Lobby, weil Väter eigentlich 'unsichtbar' sind", sagt André Roßnagel und ergänzt: "Eigentlich nicht nur Väter, sondern derjenige, bei dem das Kind nicht lebt, der ist unsichtbar. Unsichtbar für die Politik."

Wie eine Trennung und die Zeit danach besser laufen könnte

Um die Folgen einer Trennung für die Kinder – aber auch für die Eltern – abzumildern, brauche es neue Regelungen, fordert André Roßnagel vom Väter-Netzwerk Nürnberg. Eltern würden derzeit nur unterstützt, solange sie zusammen seien. "In dem Moment, in dem eine Trennung stattfindet, sind wir in der alten Zeit zurück, vor 50 Jahren: einer bezahlt, einer betreut", beschreibt Roßnagel die gängige Praxis des sogenannten Residenzmodells, wonach ein Kind im Trennungsfall bei einem Elternteil lebt. "Das passt aber heute nicht mehr, weil heute beide Eltern betreuen wollen", so Roßnagel weiter. Dazu fehle es jedoch an politischer Unterstützung, damit beide Elternteile auch nach einer Trennung gemeinsam Eltern bleiben können.

Petition "Genug Tränen"

Um den Druck auf die Politik zu erhöhen, läuft aktuell unter dem Motto "Genug Tränen" eine entsprechende Petition. Ziel ist es unter anderem, dass die Eltern-Kind-Entfremdung etwa in Jugendämtern und familiengerichtlichen Verfahren mehr Beachtung findet.

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