Wer an den drohenden Gasmangel denkt, dem fallen wahrscheinlich nicht zuerst vergammeltes Gemüse, verwelkte Blumen oder verschimmeltes Brot ein. Bei Peter Kurth ist das anders. Der Präsident des Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) warb kürzlich für die Biotonnen in Deutschland, um mit deren Hilfe einen möglichen Gasengpass im Winter ein wenig abzufedern.
Derzeit decke Biogas einen Anteil von einem Prozent des gesamten Gasbedarfs in Deutschland, so Kurth. Würden Biotonnen mehr und besser genutzt, ließe sich dies auf zwei Prozent steigern – immerhin eine Verdopplung.
In anderen Bundesländern wird mehr Biomüll gesammelt
Im Vergleich der Bundesländer fällt auf, dass gerade in Bayern noch einiges an Potenzial dafür liegt. Denn der Freistaat ist im Sammeln von Biomüll bisher nur Mittelmaß. Statistisch gesehen entfielen 2020 auf jeden bayerischen Bürger und jede Bürgerin 60 Kilogramm Bioabfall. Aktuellere Zahlen liegen dem Landesamt für Umwelt nicht vor.
Zwar ist dies ein Anstieg im Vergleich zu 2019, wo es noch 56,6 Kilogramm waren, allerdings lag der bundesweite Schnitt 2020 bei 64 Kilogramm – und in einigen Bundesländern sogar noch deutlich höher: Schleswig-Holstein etwa kam auf fast 100 Kilogramm pro Kopf, Hessen auf 92 Kilogramm und Rheinland-Pfalz auf 86 Kilogramm.
Gesetz schreibt seit 2015 Bio-Mülltrennung vor
Dass andere Bundesländer deutlich besser abschneiden, führt Rüdiger Weiß vor allem auf den Umgang der bayerischen Staatsregierung mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz zurück. Weiß ist Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS), dessen Mitglieder mit der Müllentsorgung beauftragt werden.
Seit 2015 schreibt das Kreislaufwirtschaftsgesetz eine "getrennte Sammlung von Bioabfällen" vor, der Begriff "Biotonne" ist darin jedoch nicht zu finden. Einige bayerische Kommunen bieten deshalb lediglich ein sogenanntes "Bringsystem", aber kein "Holsystem" an: Einwohnerinnen und Einwohner können ihren Biomüll ähnlich wie bei Plastik oder Papier zu entsprechenden Containern bringen oder am Wertstoffhof entsorgen, statt die braune Tonne vor der Haustür zu füllen.
Große Mengen-Unterschiede in bayerischen Landkreisen
"Würden Sie ernsthaft unter der Woche ihre Küchenabfälle sammeln und diese am Ende der Woche zum Wertstoffhof fahren?", fragt Weiß. "Die meisten würden diese Frage mit 'nein' beantworten." Deshalb kämen beim Bringsystem an den Wertstoffhöfen auch keine relevanten Mengen zusammen, kritisiert der VBS-Chef. Er wirft der Staatsregierung vor, den Kommunen bei der Wahl der Trennung freie Hand zu lassen, anstatt die Biotonne zu forcieren, wie es in anderen Bundesländern geschehen sei.
Daten des Landesamts für Umwelt (LfU) von 2020 weisen beispielsweise für die Bringsysteme im Landkreis Kronach 0,4 Kilogramm, im Landkreis Lichtenfels 0,5 Kilogramm oder im Landkreis Regensburg 9,5 Kilogramm pro Kopf aus. Spitzenreiter bei den Holsystemen sind der Landkreis Aichach-Friedberg mit 157,6 Kilogramm und der Abfallwirtschaftsverband Nordschwaben mit 146,5 Kilogramm.
Teilweise nur Container und Wertstoffhöfe, aber keine Biotonne in Bayern
Die Müllentsorgung in Bayern verteilt sich auf sogenannte "entsorgungspflichtige Gebietskörperschaften", nach LfU-Angaben sind es beim Biomüll insgesamt 96. Davon würden 74 auf ein reines Holsystem setzen, zehn bieten nur ein Bringsystem an, neun eine Mischung aus beiden Systemen und drei gar kein System (Stand 31.12.2020). Der Landkreis Altötting etwa hat die Tonne trotz Gerichtsurteil immer noch nicht eingeführt.
Zwar haben im Laufe der vergangenen anderthalb Jahre manche Gebietskörperschaften umgestellt – Rosenheim hat etwa ein Holsystem gestartet. Doch nach Meinung der Entsorger sollten es noch deutlich mehr sein. Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) fordert ein flächendeckendes Holsystem. "Bringsysteme für je nach Jahreszeit anfallenden Grünschnitt sind sinnvolle Ergänzungen, können aber die Biotonne nicht ersetzen", heißt es dort.
Zu viel Biomüll in der Restmülltonne
Ein weiterer Grund, dass die Rohstoffe im Biomüll häufig nicht verwertet werden können: "Bioabfall landet noch immer oft im Restmüll", sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), insgesamt seien es 39 Prozent.
Aus Sicht von Fachleuten sollte kontinuierlich über die Vorteile der Mülltrennung aufgeklärt und dafür geworben werden. Der Erfolg hänge hier auch stark vom jeweiligen Engagement der Kommunen ab, die sich dafür einsetzen müssten, so Rüdiger Weiß vom VBS.
Bayerisches Umweltministerium geht auf konkrete Fragen nicht ein
Gerne hätte man von der bayerischen Staatregierung erfahren, wie sie zu solchen Vorschlägen steht und ob nicht mehr politischer Wille eine Veränderung wie in anderen Bundesländern bewirken könnte. Doch ein Interview mit dem zuständigen Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) ist nicht möglich.
Auch auf eine schriftliche BR-Anfrage folgten nur allgemeine Aussagen wie: "In Bayern entscheiden die Landkreise und kreisfreien Städte in eigener Zuständigkeit, welches System das für sie passende ist." Oder: "Abfälle sind die Rohstoffe der Zukunft."
Biomüll verwerten: Vergärung, Kompostierung – oder beides?
Um von einem Prozent auf zwei Prozent Biogas-Anteil in Deutschland zu kommen, müsste der Abfall zudem anders verwertet werden. 2020 landete dem LfU zufolge rund die Hälfte der Bioabfälle in Bayern in Vergärungsanlagen, der Rest hingegen in Kompostieranlagen. Auch nutzen viele Menschen statt der Biotonne lieber den Komposthaufen im eigenen Garten.
Wenn aber mehr Biomüll vergärt würde, ginge dies nicht zulasten der Kompostierung, die einen wertvollen natürlichen Dünger liefert und Kunstdünger oder Torf ersetzt? Nicht zwingend, heißt es vom Entsorgerverband. Denn moderne Anlagen könnten beide Schritte kombinieren, so dass der Gärrest aufbereitet und anschließend als Dünger verwendet werden kann.
Die eigentliche Hürde sei eine andere: Auch hier müsse der Wille von der Staatsregierung und der Auftrag von den Kommunen kommen.
- Zum Artikel: "Die Gasumlage kommt - Was Verbraucher wissen sollten"

Noch unsortierter Biomüll in Gunzenhausen.
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