Strommasten im Abendlicht
Bildrechte: picture alliance / Daniel Kubirski

Strommasten im Abendlicht

  • Artikel mit Video-Inhalten

Freie Wähler fordern staatlichen Energieversorger

Mehr Staat statt freier Markt: Die Freien Wähler wollen einen staatlichen Energieversorger aufbauen. Der Staat trage die Verantwortung für die Daseinsvorsorge und "darf sich auf sicherheitsrelevanten Märkten niemals ganz aus dem Staub machen".

Die Freien Wähler fordern einen staatlichen Energieversorger. Ihrer Ansicht nach kann der Staat die Grundversorgung der Menschen besser gewährleisten als der freie Markt. Fabian Mehring, der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, sagt im Interview mit BR24: "Der Staat ist weiß Gott nicht der bessere Unternehmer. Er trägt allerdings die Letztverantwortung für die Daseinsversorgung der Menschen und darf sich deshalb auf sicherheitsrelevanten Märkten niemals gänzlich aus dem Staub machen."  

Ein staatlicher Energieversorger als Absicherung 

Der Geschäftsführer der Freien-Wähler-Fraktion Mehring will die Versorgung der Bevölkerung "mit sensiblen Gütern" nicht ganz den globalen Märkten überlassen. "Schließlich brauchen wir auch dann Energie, wenn der Markt versagt oder manipuliert wird", sagt Mehring und verweist auf die Trinkwasserversorgung. Bei der würde ja auch niemand auf die Idee kommen, sich abhängig von Großkonzernen zu machen. 

Konkret stellen sich die Freien Wähler das so vor: Der Freistaat gründet einen eigenen Energieversorger, ähnlich wie die "BayernHeim" beim Wohnungsbau. Als neuer, staatlicher Spieler auf dem Energiemarkt soll sich der Energieversorger des Freistaats nach und nach selbst aufbauen, eigene Projekte initiieren, Windkraftanlagen oder Kraftwerke bauen. Auch eine "Re-Verstaatlichung von Teilbereichen des Energiesektors" können sich die Freien Wähler vorstellen.

Wasserkraftwerke zurück in die Hand des Freistaats 

Die Debatte um eine Re-Verstaatlichung von Teilen der Wasserkraft in Bayern hatte Ende Juli bereits Fahrt aufgenommen, ausgelöst durch das Rettungspaket für den angeschlagenen Energieversorger Uniper. Der besitzt seit der Privatisierung der Bayernwerke auch große Wasserkraftwerke unter anderem entlang des Lechs.

Für zwölf dieser Anlagen laufen im Jahr 2034 die Verträge aus. Grüne und Freie Wähler fordern diese Kraftwerke schon vor Ablauf der Frist zurück in die Staatshand zu holen. Von Uniper kam scharfe Kritik an den Überlegungen: eine solche "Enteignung" wäre "weder nachvollziehbar noch begründet".

"Freie Wähler sollen lieber vor Ort für Projekte werben"

Auch die CSU hält nichts von den Plänen ihres Koalitionspartners. "In aller Regel zeigt sich, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist", sagt CSU-Generalsekretär Martin Huber BR24. Anstatt selbst aktiv zu werden, müsse der Staat für die passenden Rahmenbedingungen sorgen, damit nötige Investitionen stattfinden. Die CSU setzt dabei auf Bürgerbeteiligungen und will die Rechtslage so ändern, dass ein Landkreis selbst als Energieerzeuger auftreten kann, "was die Gründung von Bürgerenergiegenossenschaften vorantreiben soll", wie Huber prognostiziert.  

Staatskonzern soll "Turbo bei erneuerbaren Energien zünden"

Der Gedanke, unabhängig zu sein von großen internationalen Konzernen, gefällt den Freien Wählern auch deswegen so gut, weil sie so "den Turbo bei den erneuerbaren Energien zünden" könnten, so die Idee. "Weil der Staat über keinen eigenen Spieler auf dem Energiemarkt mehr verfügt, kann die Politik nur Anreize setzen und als Bittsteller gegenüber internationalen Großkonzernen auftreten", bemängelt Mehring.

Gerade bei den erneuerbaren Energien könnte vieles schneller umgesetzt werden, wenn der Freistaat selbst aktiv würde. Für Mehring steht fest: Wenn Bayern zum Beispiel beim Bau eines Windrads selbst loslegen könnte und nicht auf einen Energie-Riesen wie Eon oder RWE angewiesen wäre, ginge es schneller und unkomplizierter. 

Wirtschaftsweise gegen staatlichen Energieversorger: "Innovationskraft ist gefragt"

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm ist da skeptisch. "Wir werden viel Wandel in der Energiewirtschaft erleben, brauchen neue Geschäftsmodelle, zum Beispiel neue Optionen im Bereich Wasserstoff", sagt die Wirtschaftsweise im Interview mit BR24. "Da sind gute Ideen und große Innovationskraft gefragt." Es sei fraglich, ob der Staat hier genauso dynamisch wäre wie privatwirtschaftliche Unternehmen.

Auch das Argument, dass ein staatlicher Energieversorger für Versorgungssicherheit und stabile Preise sorgen könne, überzeugt die Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg nicht: "Gasmarkt und Strommarkt sind europäisch aufgestellt, um eine günstige Energieversorgung und eine Sicherheit herzustellen, müssen wir unsere Kräfte in Europa bündeln". Da helfe es nicht einzelne Energieversorger zu verstaatlichen, so Grimm.

Erste Priorität für den Staat sollte nun sein, die Rahmenbedingungen für das Gelingen der Energiewende zu schaffen. Neben "guten Anreizen die Erneuerbaren auszubauen", müsse nun rasch die Infrastruktur ausgebaut werden; sprich mehr Stromleitungen.

Grüne und Freie Wähler auf einer Linie

Gegenseitige, scharfe Kritik – daran sparen Grüne und Freie Wähler in der Regel nicht. Insbesondere Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Aiwanger lässt keine Gelegenheit aus, um gegen die Grünen und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu poltern. Umso überraschender ist es, dass die beiden Parteien in punkto "Verstaatlichung des Energiesektors" ähnlich ticken. "Wir finden den Vorschlag gut. Wir haben in der Vergangenheit viel zu viel privatisiert, gerade im Energiebereich", sagt Martin Stümpfig, Abgeordneter und Energieexperte der Grünen. 

Seiner Meinung nach könnte man neben Wasserkraftwerken auch Infrastruktur wie Stromtrassen verstaatlichen. Einen staatlichen Betreiber, der die Gasspeicher selbst befüllen kann, hält der Grünenpolitiker ebenfalls für sinnvoll.  

Stoibers "Privatisierungsrausch der 90er": ein "historischer Fehler" 

Ganz neu ist die Idee der Freien Wähler nicht. Mit der Bayernwerk AG gab es schon einmal einen staatlichen Energieversorger. Dieser wurde aber im Rahmen einer größeren Privatisierungswelle Anfang der 90er Jahre unter dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) veräußert. Der Freie-Wähler-Politiker Mehring wertet das aus heutiger Sicht als historischen Fehler: "Damit haben wir jeden staatlichen Einfluss auf die Energieversorgung der Menschen in Bayern aus der Hand gegeben und uns vollständig erpressbar gemacht." 

Die CSU widerspricht vehement.  "Von den Privatisierungserlösen profitiert Bayern bis heute", ist sich Generalsekretär Huber sicher. "Viele Bereiche von Clean-Tech, Medizintechnik bis hin zu Existenzgründerzentren im ganzen Land wurden mitfinanziert durch die Erlöse von damals", zählt Huber auf. Eine Rückabwicklung sei der falsche Weg. 

Europäische Perspektiven

BR24 wählt regelmäßig Inhalte von unseren europäischen öffentlich-rechtlichen Medienpartnern aus und präsentiert diese hier im Rahmen eines Pilotprojekts der Europäischen Rundfunkunion.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!