Schüler einer fünften Klasse sitzen während des Unterrichts in ihrem Klassenzimmer.
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Sich verschärfender Lehrermangel dünnt das Unterrichtsangebot an Grund- und Mittelschulen immer weiter aus.

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Freie Wähler: Betretungsverbot für schwangere Lehrkräfte lockern

Schwangere Lehrerinnen dürfen in Bayern seit gut zwei Jahren keinen Präsenzunterricht abhalten. Das verschärft den Lehrermangel. Die Freien Wähler wollen das ändern - Sozialministerin Scharf fordert aber erst "wissenschaftliche Erkenntnisse".

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Mit dem Ferienstart ist in Bayern erneut eine Lehrermangel-Debatte. Lehrerverbände und Opposition werfen Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) vor, zu wenig gegen fehlende Lehrkräfte getan zu haben. Jetzt geben die Freien Wähler die Kritik zumindest teilweise weiter - ans bayerische Sozialministerium. Tobias Gotthardt, Landtagsabgeordneter der Regierungspartei und Vorsitzender des Bildungsausschusses, fordert Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) auf, das Betretungsverbot für schwangere Lehrerinnen zu lockern.

Einzelfallentscheidungen für schwangere Lehrerinnen?

Das "vom Sozialministerium verordnete" Betretungsverbot würden auch viele der Betroffenen nicht wollen, begründet Gotthardt seinen Vorstoß. Er plädiert für ärztlich verordnete Einzelfallentscheidungen. "Lasst die arbeiten, die arbeiten wollen."

Sozialministerin: "Geht um die Gesundheit der Frauen"

Das bayerische Sozialministerium weist die Forderung auf BR24-Anfrage zurück. "Es geht um die Gesundheit der Frauen und den Schutz des ungeborenen Lebens", erklärt Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU). Bevor über eine Lockerung nachgedacht werden könne, brauche es daher "belastbare und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse".

Die "konkrete Gefährdungsbeurteilung für den Unterricht in Schulen" sei Sache des Kultusministeriums, betont Scharf. Ihr zufolge gibt es auch kein generelles Beschäftigungsverbot: "Für manche Aufgaben an den Schulen besteht schon heute die Möglichkeit, schwangere Lehrerinnen einzusetzen."

Bildungsverbände warnen wegen Unterrichtsstreichungen

Seit langem machen Lehrerverbände auf die derzeit schwierige Lage an den Grund- und Mittelschulen aufmerksam - und äußern auch Kritik an Kultusminister Piazolo. An den Grund- und Mittelschulen spitze sich der Lehrermangel so zu, dass im Herbst an der Streichung von Unterrichtsangeboten kein Weg mehr vorbeiführe, warnen der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Das Kultusministerium verweist darauf, dass die "Personalplanung und Personalgewinnung für das kommende Schuljahr auf Hochtouren" laufe. Jedoch wird die Lage in der Corona-Pandemie auch dadurch verschärft, dass schwangere Frauen derzeit während der kompletten Schwangerschaft nicht mehr ins Klassenzimmer dürfen. Nach Ministeriumsangaben sind das derzeit etwa 3.000 Lehrerinnen.

Aiwanger: "War früher durchaus üblich"

Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Chef und bayerischer Wirtschaftsminister, unterstützt nach einer Kabinettsitzung den Vorstoß seines Parteikollegen Gotthardt. "Es war früher durchaus üblich, dass auch schwangere Lehrerinnen unterrichtet haben, so lange sie wollten und konnten", sagt Aiwanger am Dienstagmittag. Er verweist auch auf 30.000 ukrainische Kinder, die man "auf einen Schlag" dazubekommen habe. "Dass man darauf nicht vorbereitet ist und mal eben 2.000 Lehrer in Reserve hat, ist klar."

Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann (CSU) betont derweil, man habe volles Vertrauen in Kultusminister Piazolo. "Uns ist natürlich auch klar, dass das Thema schwangere Lehrkräfte ein hochsensibles ist", sagt Herrmann. "Da kann man jetzt auch nicht einfach per politischem Kommando vorgehen." Eingeführt worden sei das Betretungsverbot für schwangere Lehrerinnen wegen Corona: Wenn es da zu einer anderen Einschätzung komme, etwa bei vierfach Geimpften, müsse man sehen, wie man damit umgehe.

BLLV für "klare Ansage" - und gegen Schuldzuweisung

Dass die Freien Wähler nun fordern, das Betretungsverbot für Schwangere zu lockern, kann Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, grundsätzlich nachvollziehen. Es gebe schließlich Lehrerinnen, die ihre Schwangerschaft so lange wie möglich verheimlichen, um noch unterrichten zu dürfen - und die sogar weinen, wenn sie die Klasse wegen des Betretungsverbots verlassen müssen.

Gleichzeitig warnt Fleischmann aber auch: "Wir dürfen uns da medizinisch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Die Staatsregierung muss eine klare Entscheidung fällen und zwar von oben." Dem Schulleiter dürfe am Ende auf keinen Fall die Verantwortung aufgedrückt werden. "Es muss klar sein: Ist das nun gefährlich, wenn Schwangere in der Coronapandemie noch in die Schule gehen oder nicht?"

Und die BLLV-Präsidentin warnt auch: Der Lehrermangel bleibe so oder so bestehen. "Wir lösen das Problem nicht, indem wir nur den Schuldigen suchen. Zuerst die ukrainischen Flüchtlingskinder, nun die 3.000 schwangeren Lehrerinnen. Das bringt uns nicht weiter."

Opposition entsetzt: "Überforderung statt Weitsicht"

Die Opposition zeigt sich unterdessen entsetzt über den Lehrermangel. "Angesichts der jüngsten Meldungen muss man für den Schulstart im September mit allem rechnen", sagt der FDP-Bildungsexperte im Landtag, Matthias Fischbach.

"Statt Lösungen zu schaffen, schlägt der Kultusminister vor, das Unterrichtsangebot zu kappen. Das zeugt von Überforderung statt Weitsicht", betont der Grünen-Abgeordnete Thomas Gehring. Und AfD-Bildungsexperte Oskar Atzinger beklagt ein "absolutes Debakel der Bildungspolitik" im Freistaat. Er plädiert dafür, das Beschäftigungsverbot für Schwangere komplett zu streichen. So könnte man laut Atzinger zumindest den akute Lehrermangel abmildern. Die Landtags-SPD verlangt mehr Lösungen und weniger Ankündigungen in Bayern.

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