Ein Frau hilft zwei Männern beim Ausfüllen von Formularen, die auf einem Tisch liegen.
Bildrechte: BR

Die Zahl der Geflüchteten steigt. Unmittelbar nach ihrer Ankunft sind sie dringend auf Hilfe angewiesen. Es gibt aber zu wenige Helfende.

  • Artikel mit Audio-Inhalten
  • Artikel mit Video-Inhalten

Flüchtlingshilfe: Es fehlen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter

Die Zahl der Geflüchteten in Bayern steigt. Vor allem am Anfang sind sie dringend auf Hilfe angewiesen. Es gibt aber zu wenige Haupt- und Ehrenamtliche und ihnen werden zunehmend mehr Aufgaben aufgebürdet. Die Vereine und Verbände fordern mehr Hilfe.

Das Bürgerschaftliche Engagement in Bayern ist im Ländervergleich überdurchschnittlich. Nach einer Statistik des Bundes (Stand: 2019) engagieren sich in Bayern 41 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger über 14 Jahre ehrenamtlich. Vor allem im Bereich "Sport und Bewegung" sowie "kulturell musikalisch" sind die Bayern freiwillig und unentgeltlich aktiv.

Allerdings, so heißt es im Bericht des Bundes weiter, ist diese Quote der Ehrenamtlichen in Bayern seit 2014 überdurchschnittlich gefallen. Und das merken vor allem auch die Vereine und Verbände, die im Flüchtlingsbereich tätig sind und denen angesichts der ständig steigenden Zahlen an Geflüchteten sowohl Freiwillige wie auch Hauptamtliche fehlen.

Persönliches Engagement: Simone Oswald

Simone Oswald ist seit 2015 im Bamberger Verein "Freund statt fremd" ehrenamtlich aktiv. Sie sucht für Asylbewerber und Flüchtlinge Wohnungen, vermittelt dafür zwischen Vermietern und Wohnungssuchenden. Sie organisiert Möbel, sie sucht nach helfenden Händen beim Umzug - so wie bei Familie Daifoladi aus Afghanistan.

Die elfköpfige Familie lebte seit einem halben Jahr zunächst im Ankerzentrum, dann in einer Gemeinschaftsunterkunft. Oswald hat zwei Wohnungen für sie gefunden. Jetzt wird die Ehrenamtliche dafür gebraucht, die Papiere fürs Jobcenter und für das Amt für Soziale Angelegenheiten auszufüllen, damit die Mietverträge unterschrieben werden können. Dann noch die Papiere für den Darlehensantrag, um die Kaution zahlen zu können und den Antrag auf Erstausstattung: "Es ist ganz wichtig. Ich glaube, ohne ihre Hilfe könnten wir das nicht schaffen", beschreibt Ali Ateel Daifoladi.

Im Moment geht es auch oft um die neue Wohngeld-Plus-Reform, den neuen Wohngeldrechner. Die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter des Vereins wurden extra vom Amt geschult, damit sie unterstützend beim Ausfüllen der entsprechenden Anträge helfen können. "Wir arbeiten gut zusammen mit dem Amt für Soziale Angelegenheiten, etwa mit dem Jobcenter", erklärt Simone Oswald und fügt hinzu: "Es ist so, dass wir viele Anträge vorbereiten, damit die Mitarbeiter der Behörden, die auch unterbesetzt sind, gut vorbereitete Anträge für eine schnellere Bearbeitung bekommen."

Bildrechte: BR/Claudia Grimmer

Simone Oswald (Mitte) hilft Familie Daifoladi beim Ausfüllen von Anträgen.

Viele Ehrenamtliche sind "ausgelaugt"

Simone Oswald kann das ehrenamtliche Engagement gut mit ihrem Job verbinden, aber nur, weil ihr Chef Verständnis hat. Er sei kulant, wenn die Mittagspause mal länger dauert und sie das durch eine längere Arbeitszeit am Nachmittag kompensieren muss. Oft sei sie aber auch am Limit. Ihr Antrieb sei der Zusammenhalt im Bamberger Verein "Freund statt fremd", aber auch die Dankbarkeit, die ihr die Menschen entgegenbringen.

"Wenn ich es nicht mehr mache, wer soll es sonst tun? Mir geht es gut und ich muss doch anderen helfen, denen es nicht so gut geht." Simone Oswald, Ehrenamtliche im Verein "Freund statt fremd e.V. Bamberg"

Doch viele ihrer Mitstreiter haben aufgegeben, fühlten sich zum Teil von der langandauernden Flüchtlingshilfe überfordert, ausgelaugt, vom Staat ausgenutzt. Die Folge: Immer weniger Ehrenamtliche sollen immer mehr Geflüchtete betreuen und immer mehr Aufgaben übernehmen. Das zermürbt.

Zunehmend macht Simone Oswald aber auch zu schaffen, dass in Teilen der Bevölkerung ein Unterschied gemacht wird, nämlich zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Geflüchteten aus anderen Ländern. Lag vor dem Ukraine-Krieg die Anzahl der vermittelten Wohnungen von Simone Oswald im Monat noch bei vier Wohnungen, so schoss sie im Februar 2022 auf 22 Wohnungen in die Höhe. "Wir müssen im Moment immer mehr Überzeugungsarbeit leisten, dass Flüchtlinge aus arabischen Ländern genauso Flüchtlinge sind, wie aus der Ukraine", erklärt sie. Auch sie suchen durch ihre Kriegserlebnisse Zuflucht in einem sicheren Land."

Ehrenamt ist aber für viele auch ein Freiwilligendienst auf Zeit geworden. Das Motto "einmal im Verein – immer im Verein" gilt schon seit langem nicht mehr. Das Engagement der Freiwilligen bezieht sich oft nur noch auf ein bestimmtes Projekt, häufig nur für eine ganz bestimmte Zeit. Das ist natürlich auch bedingt durch die Lebensumstände, durch immer höher werdende Ansprüche im Job und auch den Anspruch, dass genug Zeit für sich selbst und die Familie zu haben.

Bildrechte: BR/Claudia Grimmer

Simone Oswald sucht nach Möbeln für die Flüchtlingsfamilie Daifoladi.

Flüchtlingszahlen steigen – helfende Hände fehlen

"Die Zugangszahlen nach Bayern, sowohl von Asylsuchenden als auch von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine, lagen im letzten Jahr mit knapp 218.000 Personen über dem Niveau von 2016", teilt das bayerische Innenministerium mit. Und auch zu Beginn des Jahres 2023 sei "die Zugangssituation von Asylbewerbern bayernweit anhaltend hoch".

Ob Diakonie oder Johanniter, ob Malteser oder Bayerisches Rotes Kreuz: Sie alle sind in der Flüchtlingshilfe aktiv und die meisten klagen über den Rückgang an Ehrenamtlichen. Aber gerade die werden angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen immer dringender gebraucht. Denn: Wer soll es denn sonst machen?

"Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind neben zivilgesellschaftlichen Akteuren (...) ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Integration von Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft." Bayerisches Innenministerium

Vereine und Verbände verzeichnen Rückgang an Ehrenamtlichen

Alleine in der Diakonie Hochfranken sind derzeit rund 120 freiwillig Engagierte in der Flüchtlingshilfe registriert. "Wir benötigen aber noch ungefähr doppelt so viele, um den Aufgaben gerecht zu werden", erklärt Bärbel Uschold, Integrationslotsin der Stadt Hof. Es werde zunehmend schwerer, neue Helfer auf Dauer zu gewinnen. Die Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände in Bayern brauchen aber auch dringend mehr Stellen in der Flüchtlingshilfe. Und zwar vom Staat bezahlte, denn es könne nicht sein, so Daniel Wagner von der Diakonie Bayern, dass die Wohlfahrtsverbände immer mehr Aufgaben des Staates übernehmen.

"Wir brauchen mehr festangestellte Mitarbeitende in diesem Bereich. Die müssten aber auskömmlich finanziert werden und das ist momentan nicht der Fall. Die Träger der Freien Wohlfahrtspflege müssen Eigenmittel dafür aufbringen. Dafür, dass wir hier eigentlich Aufgaben des Staates übernehmen." Daniel Wagner, Diakonie Bayern

Bayern hat die Zahl der Integrationslotsen aufgestockt

Der Freistaat hat für die Jahre 2022 und 2023 eine Sonderförderung genehmigt. Sie unterstützt sowohl die Flüchtlings- und Integrationsberatung als auch sogenannte Integrationslotsinnen und –lotsen. Nach Angaben des Innenministeriums wurde die Zahl der Stellen bei der Flüchtlings- und Integrationsberatung von 575 auf 650 aufgestockt. Gleichzeitig wurde die Förderung je Beratungskraft um jährlich bis zu 13.000 Euro angehoben. "Ergänzend dazu wird je Beratungskraft eine Unterstützungskraft auf Minijob-Basis gefördert, die den Flüchtlingen insbesondere bei der Erstorientierung hilft", heißt es aus dem bayerischen Innenministerium weiter und: Zuletzt (1. Januar 2023) gab es in ganz Bayern 90 Integrationslotsinnen - für 93 Landkreise und kreisfreie Städte.

Das reiche nicht aus, so das Bayerische Rote Kreuz (BRK). "Derzeit kommen in einigen Regionen Bayerns auf einen Flüchtlingsberater 300 Hilfesuchende", so Sohrab Taheri-Sohi vom BRK. So teilt sich zum Beispiel der Verein "Freund statt fremd e.V. Bamberg" eine Intergrationslotsenstelle mit der Stadt Bamberg. Die Koordinatoren sind für die Ehrenamtlichen da, organisieren Sprachkurse, kümmern sich um Spenden, haben eine eigene Hilfeseite in verschiedenen Sprachen erstellt und legen den ersten Grundstein für die Integration, um nur einige Beispiele zu nennen.

Kommunen machen Druck – Land macht Druck

Und obwohl die CSU das Thema "Asyl" eigentlich nicht zu einem großen Wahlkampfthema machen wollte, kommt sie jetzt fast nicht mehr umhin. Bayern forderte Anfang Februar wiederholt eine Begrenzung des Zuzugs. Der Kanzler sei jetzt persönlich gefragt, meint Bayerns Ministerpräsident Söder. Die Schwesterpartei CDU heizt mit Friedrich Merz die Debatte über "kleine Paschas" an. Und selbst ein unterfränkischer Landrat der B90/Die Grünen-Partei schlug unlängst Alarm angesichts des wachsenden Drucks bei der Unterbringung.

In Berlin haben Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen auf Einladung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) über die Verteilung der finanziellen Lasten und mehr Hilfe bei der Unterbringung von Flüchtlingen beraten. Die Gespräche wurden auf Ostern und die nächste Ministerpräsidentenkonferenz vertagt. Dann soll außerdem ein gemeinsames Gremium erste Ergebnisse zu weiteren Unterbringungsmöglichkeiten und zur Entlastung von Ausländerbehörden vorlegen.

Den Bundesländern dürfte das erst einmal wenig helfen, den Hauptamtlichen noch weniger. Was bei Simone Oswald, die ganz unten an der Basis steht, ankommt, ist fraglich. Sie fragt sich mittlerweile auch, wie lange sie das eigentlich noch machen will und kann.

Flüchtlinge in einer Flüchtlingsunterkunft
Bildrechte: BR

Flüchtlinge in einer Flüchtlingsunterkunft

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!