"Schlussendlich steht die Frage im Raum, ob der Felchen sogar vom Aussterben bedroht ist, wenn die Entwicklung weiter so geht", sagt Roland Stohr. Er ist Berufsfischer am bayerischen Bodensee. Seit Jahrzehnten fährt er früh morgens raus aufs Wasser – bei Dunkelheit, bei Wind und Wellen. Dann dröhnt der Motor des kleinen Fischerbootes und die Gischt spritzt seitlich empor. Oft fährt auch heute noch sein 82 Jahre alter Vater mit hinaus, selbst ein Leben lang Fischer. Dann ziehen sie gemeinsam die Netze aus dem Wasser. Doch während es früher ein lohnendes Geschäft war, fangen die Fischer heute immer weniger.
Fischer fangen kaum Felchen
Das Fangjahr 2022 nennt Roland Stohr "eine Katastrophe". Zwar gibt es noch keine abschließenden Zahlen, für die acht bayerischen Berufsfischer kann Stohr allerdings schon sagen, dass vergangenes Jahr lediglich 2,3 Tonnen Felchen gefangen worden sind. Stohr zufolge ist das so viel, wie er im Jahr davor noch selbst aus dem See gezogen hat. Früher waren 75 Prozent aller Fische in den Netzen der Bodenseefischer ausschließlich Felchen; jetzt sind es gerade noch zehn Prozent – eine äußerst bedenkliche Entwicklung, findet Stohr. Und das sieht auch die Wissenschaft so.
Laichfischerei ausgefallen
Noch immer wird der Rückgang der Felchen erforscht. Auch warum die Fische seit Jahren immer kleiner werden. Fest steht: Die Fangerträge gehen seit Jahrzehnten zurück. Erstmals gab es außerdem im vergangenen Jahr und 2018 keine Laichfischerei. Normalerweise fangen die Fischer dabei im Winter kurzzeitig Felchen, deren Laich in Brutanstalten herangezogen und dann im Frühjahr ausgesetzt wird – mit dem Ziel, den Bestand zu erhöhen. Es gab aber viel zu wenige laichreife Fische und deshalb ist der Laichfang ausgefallen. Die Fischer befürchten deshalb, dass sich die rasante Abwärtsbewegung beim Felchen-Bestand noch beschleunigen wird – und sehen den Fisch ernsthaft in seiner Existenz bedroht, wenn es so weitergeht. Auch Wissenschaftler hätten diese Entwicklung nicht für möglich gehalten.
Felchen-Bestand geht stark zurück
Alexander Brinker von der Fischereiforschungsstelle in Langenargen spricht von einem "dramatischen Rückgang" gerade der Blaufelchen und des Gangfischs, zwei Felchen-Typen, die für die Fischerei besonders von Bedeutung sind. Von denen gibt es laut Brinker noch mehrere hunderttausend Exemplare im See. "Es ist nicht direkt akut, dass im nächsten Jahr kein Fisch mehr im See ist. Aber die Entwicklung und die Tendenz ist im Moment ein ungebrochen freier Fall nach unten", sagt Brinker.
Für den Rückgang gibt es viele Gründe. Brinker spricht von einem Wechselspiel verschiedener Faktoren. Finale Antworten seien noch nicht da. Auch beschränkt sich das Problem nicht allein auf den Bodensee, sondern betrifft auch andere bayerische Seen.
Klimawandel ist ein Problem für Fische
Zunehmend macht etwa der Klimawandel den Fischen zu schaffen. Das Wasser im Bodensee hat sich in den vergangenen Jahren nachweislich erwärmt. Felchen mögen es gerne kühl, stehen deshalb immer tiefer im Wasser. Das meiste Plankton, ihr Futter, gibt es aber oberflächennah. Der See erwärmt sich auch immer früher im Jahr, weshalb die Fische auch früher schlüpfen. Wenn dann Plankton noch nicht ausreichend gebildet worden ist, könnten sich die Fraßketten entkoppeln, wie die Forscher sagen. Die Fische finden einfach keine passende Nahrung mehr und sterben.
Weniger Plankton im See
Ein weiterer Grund ist, dass die Kläranlagen das Abwasser heute viel besser filtern – dadurch ist der See wieder sehr sauber, aber auch nährstoffärmer. Es gibt also weniger Futter. Die Fischer sagen: zu nährstoffarm; Umweltbehörden sehen die Entwicklung dagegen positiv.
Und dann sind da noch die Fresskonkurrenten und -feinde: Zum Beispiel sich schnell ausbreitende, fremde Arten wie die Quaggamuschel und der Stichling, die sich ebenfalls von Plankton ernähren, und nicht nur das: Der Stichling frisst auch die Eier und Larven der Felchen. Außerdem breiten sich am Bodensee immer mehr Kormorane aus. Die schwarzen Vögel fressen mittlerweile laut der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) mehr Fische im Jahr, als die Fischer fangen.
Fischer setzen auf das Rotauge
Die Fischer jedenfalls setzen nun mehr und mehr auf einen anderen Speisefisch: auf das Rotauge. Das ist ein Weißfisch mit vielen Gräten, deshalb muss er vor dem Verkauf aufwendig verarbeitet werden. Davon gibt es inzwischen sehr viele im Bodensee. Sie sind robust und trotzen den widriger werdenden Umständen. 40 Prozent aller gefangener Fische im vergangenen Jahr waren Rotaugen, resümiert Berufsfischer Roland Stohr. Die versuchen Fischer und Gastronomen nun besser zu vermarkten: mit dem Label "Wildfang Bodensee". Das Logo mit dem blauen Fisch und der gelben Kochmütze steht für frisch und wild gefangenen Fisch aus dem Bodensee und sorgt für mehr Transparenz auf den Speisekarten. Auf denen steht zum Beispiel vermehrt Ceviche, Matjes und Frikadellen vom Rotauge.
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