Angelika Niebler von der CSU in der BR Wahlarena.
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Angelika Niebler von der CSU in der BR Wahlarena.

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#Faktenfuchs zur BR Wahlarena: Die CSU-Kandidatin im Faktencheck

Ist Europa Vorreiter im Klimaschutz, warum scheiterte eine europäische Digitalsteuer und warum gibt es keinen einheitlichen europäischen Mindestlohn? Die Aussagen Nieblers im Faktencheck.

Über dieses Thema berichtet: BR-Wahlarena am .

1. Behauptung: Europa ist Nummer Eins im Klimaschutz

In der BR Wahlarena in Bamberg ging es um das Thema Klimaschutz und CO2-Einsparungen. Angelika Niebler von der CSU sagte, dass Europa bereits Nummer Eins im Klimaschutz wäre. Ihr Wortlaut:

"Ich möchte schon einmal betonen, dass wir in Europa Nummer Eins sind in Sachen Klimaschutz. Wir haben über fast 20 Jahre Klimaschutzgesetze in Europa verabschiedet, das ist weltweit spitze." Angelika Niebler, CSU-Kandidatin, in der BR Wahlarena, Minute 30:20

Damit liegt Niebler nicht ganz richtig. Wenn man den wichtigsten Punkt des Klimaschutzes herausgreift, die CO2-Einsparungen, dann befindet sich Europa im weltweiten Vergleich nicht vorne. Das ergeben die Daten des Climate Action Tracker. Darin analysieren drei Forschungseinrichtungen, wie sehr sich die 32 Länder und Staatengemeinschaften, die insgesamt für 80 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sind, um den Klimaschutz bemühen.

Gambia und Marokko demonstrieren besten Klimaschutz

Laut den Ergebnissen gibt es nur zwei Länder, die das Ziel aus dem Pariser Klima-Abkommen einhalten und damit auf die Zielmarke von maximal 1,5 Grad Erderwärmung zusteuern: Gambia und Marokko. Fünf weitere Länder könnten, wenn sie den Kurs halten, bei unter zwei Grad rauskommen: Bhutan, Costa Rica, Äthiopien, Indien und die Philippinen. Die europäischen Länder erhalten allesamt die Note mangelhaft, das heißt: wenn sie so weitermachen, steuern sie auf ein Ziel zwischen 2 und 3 Grad zu. Welche Kriterien der Climate Action Tracker heranzieht, ist hier erklärt.

Niedrigste Pro-Kopf-Emissionen: Afrika vorne

Im Climate Action Tracker sind nicht alle Länder inbegriffen. Vergleicht man die Pro-Kopf-Emissionen aller Länder weltweit, landen die EU-Staaten ebenfalls nur im Mittelfeld. Die zehn Länder mit den niedrigsten Pro-Kopf-Emissionen sind laut Daten der Weltbank allesamt aus Afrika: Burundi, Somalia, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik, Ruanda, Malawi, Mali, Niger und Äthiopien. Innerhalb Europas ist laut den Weltbank-Daten Rumänien mit 3,5 Tonnen pro Kopf das Land mit den geringsten Pro-Kopf-Emissionen. Zum Vergleich: Deutschland hat laut den Daten 8,9 Tonnen pro Kopf.

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Länder mit geringster CO2-Emission pro Kopf

Europa glänzt bei Energie- und Klimapolitik

Wenn man allerdings mehr Kategorien als nur die CO2-Emissionen heranzieht, schafft es die EU womöglich doch auf die vorderen Plätze. Dafür lohnt sich ein Blick in den Klimaschutz-Index (KSI) 2019 von Germanwatch. Er fasst Ergebnisse aus mehreren Kategorien zusammen: "Treibhausgase", "Erneuerbare Energien", "Energiepolitik" und "Klimapolitik". Dem KSI 2019 zufolge zeigt kein Land weltweit eine Leistung, die insgesamt als sehr gut bewertet werden kann. Aber wie die Grafik zeigt, befinden sich am ehesten noch in Europa die Länder, die als gut und mäßig bewertet wurden. Die Bilanz wird vor allem von den skandinavischen Ländern verbessert.

Bildrechte: Bildrechte: Germanwatch 2018; Grafik: BR
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Klimaschutz-Index 2019

Frauke Röser hat das New Climate Institute mitgegründet, welches sich zum Ziel gesetzt hat, aus relevanten Forschungsergebnissen praktische Handlungsanweisungen für die Bekämpfung des Klimawandels zusammenzustellen. Röser schätzt Europas Performance folgendermaßen ein:

"Europa hat sehr früh Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt, z.B. Emissionshandel, Förderung von erneuerbare Energien, Emissionsstandards für Autos, Energiestandards für Geräte und Gebäude. Dennoch gibt es in vielen Bereichen Verbesserungsbedarf und meistens Länder, die noch besser sind. Der Emissionshandel ist nicht ambitioniert genug, bei der Förderung der Elektromobilität sind beispielsweise Norwegen, Kalifornien und China weiter. Das Klimaschutzziel für 2030 und 2050 müsste zudem insgesamt ambitionierter sein. Außerdem heißt weltweit führend zu sein noch nicht, dass das Klima ausreichend geschützt wird. Die EU muss in der Klimapolitik deutlich nachlegen, um mit dem 1.5°C Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens kompatibel zu sein." Frauke Röser, New Climate Institute

Fazit: Die Behauptung, dass Europa beim Thema Klimaschutz die Nummer Eins ist, stimmt nicht. Europa befindet sich laut Datenlage und Expertenmeinungen weltweit eher im oberen Mittelfeld.

2. Behauptung: Europäer zahlen die höchsten Energiepreise

Des Weiteren behauptete Angelika Niebler, als Gegenargument zu einer CO2-Steuer, dass die Europäer bereits die höchsten Preise für ihre Energie bezahlen müssten.

"Wir haben schon die höchsten Energiepreise in Europa. Und ich möchte es nochmal betonen, für mich ist Klimaschutz auch ein Politikbereich, den wir global denken und global behandeln müssen." Angelika Niebler, CSU-Kandidatin, in der BR Wahlarena, Minute 31:10

Damit hat Niebler tendenziell recht. Allerdings muss man die Preise differenziert betrachten. Privathaushalte zahlen andere Preise als die Industrie. Zudem gibt es verschiedene Energieformen, etwa Strom, Öl oder Benzin. Noch dazu schwanken die Preise stark, je nach Politik und Weltlage. Ein Beispiel: In den USA waren die Öl- und Gaspreise sehr hoch - seit dort viel Fracking gemacht wird, sind die Preise viel niedriger.

Deutschland und Dänemark weltweit an der Spitze

Wenn man sich die aktuellen Preise für Strom und Benzin anschaut, zahlen die Bürger in den EU-Ländern tatsächlich mit am meisten. Ganz vorne bei den Strompreisen für Privathaushalte stehen Deutschland (und Dänemark, nicht mit auf der Karte) mit 30 Cent (33 US-Dollar) pro Kilowattstunde.

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Strompreise für Haushalte in ausgewählten Ländern 2018

Noch mehr für Strom bezahlen Bewohner kleiner Inseln, zum Beispiel der Vanuatu Inseln. Ähnlich sieht es bei den Benzinpreisen aus. Sie sind in den europäischen Ländern mit am teuersten, wobei Hong Kong noch teurere Benzinpreise hat. Fazit: Die Aussage, dass Europäer die höchsten Energiepreise bezahlen, ist, abgesehen von kleineren Ausnahmen, richtig.

3. Behauptung: 22 Mitgliedsstaaten mit gesetzlichem Mindestlohn

Auch um soziale Aspekte ging es in der BR Wahlarena in Bamberg. Eine Zuschauerin wollte von den Kandidatinnen wissen, was die Parteien in Sachen Mindestlohn in der EU geplant hätten. CSU-Politikerin Niebler vertrat den Standpunkt, dass ein einheitlicher Mindestlohn für alle Mitgliedsstaaten nicht geeignet sei, um die Lebensverhältnisse in den Mitgliedsländern anzupassen.

"In 22 Mitgliedsstaaten haben wir schon Mindestlöhne eingeführt, da gibt es eine große Bandbreite. In Bulgarien liegt der Mindestlohn bei 1,57 Euro, in Luxemburg bei um die 12 Euro. Wir müssen die Niveaus angleichen, aber ich glaube, wir können das nicht machen, indem wir europaweit einen einheitlichen Mindestlohn einführen." Angelika Niebler in der BR Wahlarena, Minute 40:00

Vorreiter Luxemburg, Schlusslicht Bulgarien

In der Europäischen Union haben 22 der insgesamt 28 Mitgliedsländer gesetzliche Lohnuntergrenzen eingeführt. Wie Angelika Niebler ebenfalls richtig sagte, liegen diese aber weit auseinander. Vorreiter ist Luxemburg mit einem Satz von 11,97 Euro pro Stunde, während Bulgarien den niedrigsten Mindestlohn mit 1,72 Euro (nicht 1,57 Euro) hat. Deutschland rangiert mit 9,19 auf Platz sechs und liegt damit hinter den anderen westeuropäischen Ländern. Die Zahlen stammen aus dem Mindestlohnbericht des Wirtschaft- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von Januar 2019.

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Gesetzliche Mindestlöhne in der EU

Auf BR24-Nachfrage schrieb Niebler, dass die einzelnen Mitgliedsländer in Sachen Mindestlohn selbst aktiv werden müssten. Ein politisch verordneter einheitlicher Mindestlohn schaffe keine Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum, was aber die notwendige Voraussetzung für Lohnsteigerung sei. Gerade Länder wie Bulgarien oder Rumänien müssten über die Struktur- und Ausgleichsfonds, "die wir in der EU genau dafür haben", gefördert werden. Auch gegen Lohndumping in der EU müsste weiter vorgegangen werden.

SPD fordert Mindestlohn von 60 Prozent des mittleren Einkommens

Die Grünen legen in der Sendung und im Europawahlkampf kein konkretes Rechnungsmodell vor, wenn es um einen Mindestlohn in Europa geht. Anders die Kandidatin Maria Noichl und ihrer Partei: In ihrem Wahlprogramm fordert die SPD einen europäischen Mindestlohn, der sich ungefähr bei 60 Prozent der mittleren Löhne im jeweiligen Land befindet: "In allen Mitgliedsstaaten Europas sollen zudem Mindestlöhne geschaffen werden, die mindestens 60 Prozent des nationalen Medianlohns betragen und so besser vor Armut schützen."

In Deutschland wären das etwa 12 statt der derzeitigen 9,19 Euro. Auch die meisten anderen Länder sind trotz aktueller Erhöhungen weit von diesem Ziel entfernt.

Unterstützung für gesetzliche Lohnuntergrenze

Dem WSI-Bericht zufolge gibt es für die Einführung eines europäischen Mindestlohns zunehmend Unterstützung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte Anfang 2019 in einem Interview eine Initiative für einen europäischen Mindestlohn angekündigt. In dem Interview sagte er, er werde den "Aufbau von Mindestlohn- und Grundsicherungssystemen" zum Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab dem zweiten Halbjahr 2020 zu machen.

Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist diese Forderung festgelegt: "Wir wollen einen Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten entwickeln." (S.7)

4. Behauptung: Europäische Digitalsteuer scheiterte an anderen Mitgliedsstaaten

Eine 18-jährige Zuschauerin kam in der Sendung auf das Thema Digitalsteuer zu sprechen. Sie fragte, wie es sein könne, dass US-amerikanische Konzerne wie Google "praktisch gar nichts" an Steuern bezahlten, während Familienunternehmen ihren Pflichten ganz selbstverständlich nachkämen. In Richtung der Vorsitzenden der CSU-Europagruppe und Co-Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe in der EVP, der größten Fraktion im Parlament, wollte sie wissen: "Warum haben Sie noch nichts daran geändert?"

Niebler spreche sich für eine Digitalsteuer aus, erwiderte sie, "wie die EVP auch". Warum sich bisher noch nichts geändert habe, erklärte sie so:

"Wir sind zwar die stärkste Fraktion im Parlament, aber wir können nichts allein entscheiden, wir brauchen immer einen Partner. Dieses Thema scheitert nicht bei den politischen Parteien im Europaparlament, sondern das Problem ist, dass die Mitgliedsstaaten blockieren. Für Steuerfragen brauchen Sie Einstimmigkeit unter den 28 Mitgliedsstaaten. Bislang hat sich die ein oder andere Regierung immer quergelegt." Angelika Niebler in der BR Wahlarena, Minute 54:00

Digitalsteuer auf EU-Ebene vorerst gescheitert

Diese Aussage ist korrekt. Der EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber, bezeichnete eine Digitalsteuer Anfang des Jahres als eine Frage der Gerechtigkeit: "Wir werden Druck machen, dass bald eine europäische Verständigung möglich ist."

Mit einer Digitalsteuer sollen Gewinne digitaler Unternehmen, die grenzüberschreitend agieren, besteuert werden. Unternehmen wie Facebook oder Google entziehen sich in Europa zum Großteil solcher Zahlungen, weil sie in vielen Ländern keinen Sitz haben.

Ein Versuch, das auf EU-Ebene zu ändern, scheiterte im März. Frankreich und Deutschland hatten sich zu einem Kompromissvorschlag geeinigt, den aber einige EU-Finanzminister wegen "fundamentaler Bedenken" ablehnten. Konkret ging es um eine Umsatzsteuer von drei Prozent auf Online-Werbeerlöse ab 2021, wenn bis dahin auf Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) keine Lösung erreicht worden ist. Unter anderem Irland (hier hat Facebook seinen Europasitz), Schweden (hier ist der Musik-Streamingdienst Spotify zu Hause), Dänemark und Finnland stellten sich aber quer.

Einstimmige Entscheidungen in Steuerfragen

Besonders heikle Bereiche wie Steuerfragen, Soziales oder der gemeinsame Haushalt müssen - wie es die CSU-Politikerin in der BR-Sendung formulierte - in der EU nach wie vor einstimmig entschieden werden.

Einige Staaten haben derweil ihre eigene nationale Digitalsteuer auf den Weg gebracht, etwa Frankreich, Spanien und Österreich. Bis Jahresende wollen die europäischen Finanzminister versuchen, eine gemeinsame Position, möglichst auf globaler Ebene, zu finden.

Zu den BR Wahlarenen am 15. und 22. Mai prüft der #Faktenfuchs Behauptungen der Gäste. Neben denen der Politikerin der CSU auch die der AfD, FDP, Linken, Freien Wähler, SPD und Grünen.