Das Bild von außen ist bekannt: Die Kuppel des Reaktorgebäudes, der Kühlturm und die Wasserdampfwolke, die daraus aufsteigt und oftmals über Landshuts Landkreisgrenzen hinaus zu sehen ist. Außen um das Kernkraftwerk Isar 2: massive Zäune, Maschendrahtzaun. Ein Hochsicherheitsareal mit strengen Zugangsvoraussetzungen. Nur Stunden vor der Abschaltung hat BR24 exklusiv Zutritt erhalten. Es ist ein letzter Einblick in das Innerste des Atomkraftwerks, das nach 35 Jahren Laufzeit am 15. April wohl für immer abgeschaltet wird.
- Zum Artikel "Isar 2 bald vom Netz: Ist die Stromversorgung in Gefahr?"
Spezielle Kleidung, um in das Kernkraftwerk zu gelangen
Zahlreiche Formulare und Genehmigungen sind notwendig, um überhaupt auf das Gelände zu dürfen. Und ab einem bestimmten Punkt muss selbst die Alltagskleidung abgelegt werden – sie weicht Sicherheitsschuhen, einem orangen Overall und darunter spezieller Unterwäsche. "Nichts darf rein in das Kernkraftwerk, nichts darf raus", erklärt Kommunikationschef Bernd Gulich. Wer das Reaktorgebäude betritt, muss außerdem ein sogenanntes Dosimeter bei sich tragen. Ein kleines Messgerät, das anzeigt, ob und wie viel Strahlung man ausgesetzt ist. Im Notfall würde es hell aufblinken.

BR-Reporter Philip Kuntschner mit Kommunikationschef Bernd Gulich in der Schleuse zum Reaktor.
Strom für mehr als drei Millionen Haushalte im Jahr
Erst dann geht es nach weiteren Ausweiskontrollen durch massive Stahltüren und meterdicke Betonwände. Eine letzte drucksichere Schleuse führt in den Innenbereich des Reaktorgebäudes. Oben die gewölbte Decke, unten der freie Blick auf den Reaktordruckbehälter, darin die Brennelemente. "Das ist unser großer Wasserkocher", beschreibt Bernd Gulich. Vereinfacht gesagt werde hier Wasser erhitzt und mit dem Dampf die große Turbine angetrieben. Die ist mit einem Generator verbunden. "Und so wird hier Strom für mehr als drei Millionen Haushalte im Jahr produziert", sagt Gulich.
Früher hat er im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld gearbeitet, seit gut einem Jahrzehnt ist er nun für die Betreiberfirma Preussen Elektra am Standort Isar in Niederbayern. Das Reaktorgebäude, für ihn noch immer "ein faszinierender Ort", wie er sagt, "nach wie vor." Knapp 30 Grad hat es hier. Obwohl alles doppelt und dreifach abgeschirmt ist, wird die Energie für jeden hier drin spürbar.
Freier Blick auf die Brennelemente in Isar 2
Gemeinsam mit einem Strahlenschutzexperten ist dann sogar der freie Blick auf die Brennelemente möglich. Es geht auf eine orange Brücke. Darunter befindet sich das sogenannte Abklingbecken. Sieben Meter Wasser trennt die Brücke von den Brennelementen. Sie schimmern bläulich. Früher wurden diese Brennelemente im Leistungsbetrieb eingesetzt. Nun kühlen sie mehrere Jahre lang ab, ehe sie in Castor-Behältern abtransportiert werden.
"Einen näheren Blick auf die Brennelemente kann kein Mensch bekommen", sagt Gulich. Gefährlich sei das nicht. Vielmehr soll deutlich werden: "Wir wissen, was wir hier tun." Und auch der Blick auf das Dosimeter zeigt: Hier wird keine Strahlenbelastung registriert. "Das Wasser schirmt die Strahlung ab. Sonst könnten wir mit dem Brennstoff überhaupt nicht arbeiten."
Galerie: Blick in das Atomkraftwerk
Atomkraft-Risiko sei minimal – es liege jedoch nie bei null
Genau diese Arbeit mit dem Brennstoff löst bei vielen Menschen aber Angst und Sorgen aus. Es waren die großen Reaktorunfälle, die in Deutschland die Debatte über die Zukunft der Kernkraft befeuert haben. Erst 1986 der Unfall im ukrainischen Tschernobyl, dann die Katastrophe von Fukushima in Japan im Jahr 2011, die eine Kehrtwende der damaligen Bundesregierung auslöste – hin zu den erneuerbaren Energien, weg von der Kernkraft.
"Die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar", so unterstrich Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) diese Entscheidung zuletzt. Die Deutsche Gesellschaft für Reaktorsicherheit wiederum relativiert: Das Risiko sei minimal – es liege jedoch nie bei null.
Moment der Abschaltung steht direkt bevor
Nun steht der Moment der Abschaltung direkt bevor. Es sei nicht der richtige Zeitpunkt, finden viele aus der Belegschaft von Isar 2. Die Haltung, die bei Kraftwerksmitarbeitern kaum verwunderlich scheint, begründet Sprecher Bernd Gulich so: "Wir sind eines der sichersten Kraftwerke der Welt. Und wir produzieren hier quasi CO2-freien Strom. Wir könnten ein guter Partner der erneuerbaren Energien sein. Leider hat man sich anders entschieden."
Und damit endet der letzte Einblick in das noch laufende Kernkraftwerk. Runter von der Brücke über dem Abklingbecken, zurück durch die Schleuse, raus aus dem Hochsicherheitstrakt mit abschließenden Kontrollen auf Kontamination. Sie fallen negativ aus.
Ruhestand für AKW ist besiegelt
Die Anlage selbst sei in einem "perfekten Zustand", sagen Mitarbeiter hier immer wieder. Sie sind von der Technik überzeugt. Ein top gepflegtes Auto würde man auch nicht einfach so wegwerfen, heißt es. Zuletzt erklärte auch Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler): "Wir schicken hier einen kerngesunden 50-Jährigen in den Ruhestand."
Dieser Ruhestand kommt ohnehin später als lange angenommen. Eigentlich hätte der Atomausstieg schon zum Jahreswechsel erfolgen sollen. Im Herbst hat die Bundesregierung angesichts der Energiekrise beschlossen, die drei noch aktiven Kernkraftwerke Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg, Emsland in Niedersachsen und Isar 2 in Bayern in eine kurzzeitige Verlängerung zu schicken. Mitte April wird nun endgültig Schluss sein. "Dabei bleibt es", erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke im März.
Lemke: "Sehr hohe Versorgungssicherheit"
Isar ll hat an einigen Tagen stundenweise mehr Strom erzeugt als die gesamten 30.000 Windräder in Deutschland, heißt es von der Bundesnetzagentur. Dies sei etwa in der vergangenen Woche am Vormittag des 5. April der Fall gewesen - an diesem Tag habe das Kraftwerk mit seiner derzeitigen "Streckbetriebsleistung" von 69 Prozent rund 950 Megawatt in das deutsche Stromnetz eingespeist.
Dennoch widersprach Lemke Befürchtungen, dass die Energieversorgung durch den Atomausstieg nicht mehr gesichert sei. "Wir haben im internationalen Vergleich eine sehr hohe Versorgungssicherheit", so die Umweltministerin. Diese sei "deutlich besser" als die der deutschen Nachbarländer "mit dem höchsten Atom-Anteil", betonte sie. "Auf Dauer sind daher Wettbewerb und mehr erneuerbare Energien das beste Mittel für stabile Preise", sagte Lemke.
Roter Knopf wird am 15. April gedrückt
Am 15. April, kurz vor Mitternacht, endet mit der Netztrennung die Stromproduktion von Isar 2. Minuten später wird dann auf der Leitwarte der rote Knopf gedrückt. Damit wird der Reaktor heruntergefahren – und der Atomausstieg in Bayern und parallel in ganz Deutschland besiegelt.
Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Isar 2 habe "erst letzte Woche mehr Leistung in das Stromnetz eingespeist als die gesamten 30.000 deutschen Windkraftanlagen zusammen". Wir haben diese Aussage konkretisiert: De facto wurde diese Leistung nur stundenweise an einem bestimmten Tag erzielt - nicht dauerhaft.
Bei BR24 geht es am heutigen Donnerstag im BR Fernsehen ab 21.45 Uhr um den Atomausstieg.
Die ARD Tagesthemen berichten am Freitag ab 22.15 Uhr über das Ende des AKW Isar 2 bei Landshut.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!