Ehepaar zeigt ein Schreiben ihres Energieanbieters
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Ehepaar zeigt ein Schreiben ihres Energieanbieters

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Energieversorgung: Werden die Verbraucher abgezockt?

Die Kosten für Strom und Gas sind explodiert. Die Versorger geben die hohen Preise an die Verbraucher weiter. Doch nicht jede Preiserhöhung scheint plausibel. Die Kontrovers-Story war auf Spurensuche. Was ist dran an den Vorwürfen?

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Manfred Vodicka und Manuela Wissiak leben in der Nähe von Wien. Ihr Strom-Vertragspartner sind die Stadtwerke Augsburg. Versprochen wurden ihnen 11,50 Cent pro Kilowattstunde – das Angebot lautete: "Billig? Will ich!" – 100 Prozent Ökostrom. Mit dem Vertragspartner und den günstigen Preisen waren sie zunächst zufrieden – bis dann der Preisschock ins Haus flatterte: "Mit erstmaliger Wirksamkeit zum 01. November 2022 gelten für ihren Stromliefervertrag folgende Preise (…). Das entspricht einer Preisänderung von +732,29 %."

Fall: Siebenfache Erhöhung der Stromrechnung

Manuela Wissiak konnte das Schreiben zunächst gar nicht begreifen: "Dann musste ich das wirklich dreimal lesen, bis ich verstanden habe, was da geschieht." Der bestehende Vertrag läuft eigentlich noch bis Ende Januar, doch nun müssen sie sich entscheiden: "Entweder ab November mehr zahlen oder jetzt kündigen."

Sie hätten sich ein bisschen mehr Bedenkzeit gewünscht, um sich zu entscheiden. Mit der Rechnung fühlen sie sich vor den Kopf gestoßen. Das Siebenfache zu bezahlen, kam für sie nicht in Frage. "Das können wir uns nicht leisten - fast wie in einem schlechten Film", so beschreibt Manfred Vodicka die Situation.

Stadtwerke: "Geben nur die Einkaufspreise weiter"

Die Kontrovers-Reporter konfrontieren die Stadtwerke Augsburg mit der Preissteigerung. In einem ersten Mailwechsel heißt es, die extrem hohe Kostensteigerung erscheine nicht plausibel. Kontrovers legt den entsprechenden Vertrag vor, schriftlich erklären die Stadtwerke dann: "Die Stadtwerke bereichern sich hier in keinster Weise, sondern geben nur 1:1 die Preise weiter, die gerade auf dem Einkaufsmarkt vorherrschen. Sobald sich die Lage entspannt, werden wir als Stadtwerke auch direkt die wieder günstigeren Preise an die Kund*innen weitergeben." Das österreichische Paar hat sich für eine Kündigung des Vertrages entschieden, nun muss es ab Januar einen neuen Stromversorger finden.

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Vorwürfe gegen bayerische Stadtwerke

Bei den Stadtwerken München haben sich die Preise für Fernwärme im zweiten Quartal 2022 im Vorjahresvergleich um 116 Prozent erhöht. In der Nachbargemeinde Unterföhring gibt es zwei Wärmeversorger. Das Gemeindeunternehmen Geovol verlangt 86,85 Euro für die Megawattstunde. Bei den Stadtwerken München müssen die Kunden für die gleiche Menge Energie 180,32 Euro bezahlen. Viele wollen aus ihren Verträgen raus und fordern zumindest mehr Transparenz bei der Preisgestaltung. "Jeder holt so viel raus wie möglich – das ist mein momentaner Eindruck", schildert ein Mann aus Unterföhring die Situation.

Die Gemeinde hatte vor einigen Jahren in eine Geothermie-Anlage investiert – hier wird heißes Wasser aus dem Erdmantel in Energie umgewandelt. "Sicherlich mag die Kostenstruktur der Stadt München auch aufgrund dessen, dass sie noch eine alte Netzstruktur haben, nicht wie wir auf der grünen Wiese neu anfangen konnten, teurer sein, aber so richtig nachvollziehbar ist es jetzt erstmal nicht", so der Eindruck des Geschäftsführers des Heizkraftswerks Geovol.

Auf Anfrage schreiben die Stadtwerke München: "Die Kosten der Fernwärmeerzeugung der SWM in München werden bislang hauptsächlich durch den Einsatz von Erdgas und Steinkohle bestimmt, wohingegen die Geothermie bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt."

Verbraucher und Mittelstand unter Druck

Abzocke durch Energieunternehmen – das lässt sich nur durch eine Einzelfallprüfung genau ermitteln. Aber Experten fordern, dass die Kartellbehörden sich die Preise genau ansehen, die derzeit von den Verbrauchern, aber auch von mittelständischen Unternehmen für Energie verlangt werden.

So wie der Geschäftsführer der Beratungsplattform Finanzombudsteam, Gerald Zmuegg. Er berät Mittelständler bei Finanzfragen und hat mit vielen Menschen zu tun, denen die erhöhten Energiekosten finanziell schwer zu schaffen machen. Er kritisiert, wie intransparent die Strompreise an der europäischen Börse EEX in Leipzig zustande kommen, wo auch die Energieversorger in den letzten Wochen horrende Preise für Strom ausgeben mussten, den sie nun auf die Kunden umlegen.

Manipulation der Strompreise an der Börse?

Die Kritik von Experten richtet sich hierbei weniger direkt an die Stadtwerke als Energieversorger, sondern an den größten europäischen Handelsplatz für in der EU erzeugten Strom: Die European Energy Exchange AG (EEX) in Leipzig. Hier mussten die Energieversorger in den vergangenen Wochen teilweise das Zehnfache für den Strom bezahlen.

Der Finanzexperte Gerald Zmuegg prangert an, dass eine Manipulation der Nachfrage an der Börse durch Spekulanten nicht ausgeschlossen ist. "Es ist für uns Außenstehende nicht komplett einsehbar, ob tatsächlich alle Strommengen, die an der Börse gekauft werden, von Kunden erworben werden, die den Strom dringend brauchen, oder aber von anderen Marktteilnehmern wie Banken, die den Strom später teurer weiterverkaufen wollen. Das sollten sich Aufsichtsbehörden einmal ganz genau ansehen."

Aufsichtsbehörden sollten Strompreis prüfen

Einer ähnlichen Meinung ist Sebastian Schwenen, der an der TU München eine Professur für Energiemärkte innehat. Seiner Meinung nach wäre eine übergeordnete Überprüfung des Strommarktes angebracht. Gleichzeitig entlastet er die Stadtwerke ein Stück weit. Schließlich seien sie auch stark steigenden Preisen an den Märkten ausgesetzt.

"Pauschal kann man nicht von Abzocke sprechen. Das muss man im Einzelfall prüfen. Unmöglich ist Abzocke nicht. Allerdings sind die Einkaufspreise für die Erzeuger und für die Versorger gerade sehr hoch. Das heißt, sie müssen zu horrenden Preisen Energie einkaufen am Großhandelsmarkt und müssen diese Kosten auch irgendwie auf die Kunden umlegen."

Rechtliche Prüfung von Stadtspitze München gefordert

Eine Prüfung der Preispolitik der Stadtwerke München – das wünscht sich die Bürgerversammlung des Münchner Stadtteils Messestadt Riem. Sie hat einen Antrag auf den Weg gebracht: Der Münchner Oberbürgermeister soll ein Gutachten in Auftrag geben, in dem überprüft wird, ob die Preisgestaltung der Stadtwerke München in der aktuellen Form rechtens ist.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieser Artikels wurde der von den Stadtwerken Augsburg zugesagte Strompreis pro Kilowattstunde fälschlicherweise mit 11,50 Euro angegeben. Wir haben die Angaben korrigiert.