Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (FW) fordert vom Bund schon seit Wochen, die höchste Alarmstufe 3 des Notfallplans Gas anzurufen – erst kürzlich wieder im BR-Politikmagazin "Kontrovers". Damit würde der normale Gasmarkt ausgehebelt, und die Bundesnetzagentur würde Erdgasmengen dirigistisch zuteilen. Im Interview mit der "Augsburger Allgemeinen" sagte Aiwanger, im Süden Deutschlands drohe eine besonders harte Krise, denn "Bayern ist das industriestärkste Bundesland und hat deshalb den deutlich höchsten Gasverbrauch".
NRW braucht mehr Erdgas als Bayern
Letzteres stimmt nicht, Nordrhein-Westfalen verbraucht fast doppelt so viel Erdgas wie Bayern. Nämlich 237 Milliarden Kilowattstunden jährlich gegenüber 121 Milliarden (Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW, Zahlen von 2019).
Allerdings hat Bayern in der Gasversorgung tatsächlich ein spezielles Problem, bei dem der Freistaat auf die Hilfe der Bundesregierung angewiesen ist: Den besonders großen Erdgasspeicher Haidach, der zwar Bayern versorgt, aber auf dem Staatsgebiet des Nachbarlandes Österreich liegt. Weil er zum russischen Gazprom-Konzern gehört, ist er noch immer weitgehend leer. Genauer gesagt: Ein Drittel des Speichers wurde von der deutschen Gazprom-Tochter verwaltet, die mittlerweile von der Bundesnetzagentur gesteuert wird. Hier beträgt der Füllstand inzwischen rund 50 Prozent. Die zwei Drittel des Speichers Haidach, die der österreichischen Gazprom-Tochter gehören, stehen jedoch noch immer bei null.
Leerer Gasspeicher in Österreich macht Bayern Sorgen
"Das brennt uns ziemlich auf den Nägeln", sagte der Geschäftsführer des bayerischen Gasnetzbetreibers Bayernets, Matthias Jenn, dem BR. Man habe die Politik frühzeitig alarmiert, Bundeswirtschaftsminister Habeck sei mittlerweile auch in Wien gewesen, um zu erreichen, dass der Speicher Haidach gefüllt wird. Es gebe jedoch bisher noch kein Ergebnis.
Hier ist Druck der bayerischen Staatsregierung auf Berlin durchaus angebracht, findet der Geschäftsführer des Verbands der bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), Detlef Fischer. Man müsse "dafür sorgen, dass wir in Bayern nicht hinten runterfallen bei der Bundesregierung. Man hat schon hin und wieder den Eindruck, als hätten sie uns ein bisschen vergessen."
Wenn Erdgas vorhanden ist, kann man es allerdings weitgehend problemlos zwischen Norddeutschland und Süddeutschland transportieren, heißt es von Bayernets und dem VBEW. Das Erdgasnetz ist sehr gut ausgebaut, in den vergangenen Jahren kamen auch noch weitere Leitungen hinzu.
Stromleitungen nach Bayern sind noch nicht fertig
Das sieht im Strombereich anders aus. Die großen Gleichstromtrassen Südlink und Südostlink sollen einmal Wind- und Kohlestrom aus Nord- und Ostdeutschland nach Bayern bringen. Als Ersatz für die bayerischen Kernkraftwerke, die einst zwei Drittel des Stroms im Freistaat produziert haben. Ab 1. Januar 2023 muss Bayern nach geltender Gesetzeslage ganz ohne Atomstrom auskommen – die Leitungen in den Norden sind jedoch noch lange nicht fertig. Dabei stehen im Norden und Osten Deutschlands ein Großteil der Kohlekraftwerke, die jetzt reaktiviert werden, um die Energiekrise zu lindern.
Zur Not muss Erdgas für die Stromversorgung da sein
Trotzdem ist die Sicherheit der Stromversorgung auch in Bayern weiter gewährleistet – so das Ergebnis eines "Stresstests" der großen Stromnetzbetreiber im Auftrag der Bundesnetzagentur. Allerdings sind in diesem Szenario auch Kraftwerke in Österreich eingeplant, die als Reserve unter Vertrag stehen. Und trotz der herrschenden Erdgas-Mangellage müssten auch Gaskraftwerke laufen, wenn der Strom knapp ist. Ina-Isabelle Haffke vom Stromnetzbetreiber Tennet betont deshalb: "Auf jeden Fall muss das Gas für die Kraftwerke, die uns als Netzreserve zur Verfügung stehen, da sein."
Diskussion um Kernkraftwerke geht weiter
Die bayerische Staatsregierung verlangt seit Monaten, als zusätzliche Sicherheit auch das Atomkraftwerk Isar 2 bei Landshut am Netz zu lassen. Energieminister Aiwanger spricht mittlerweile sogar davon, auch den Block Gundremmingen C bei Günzburg zu reaktivieren. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lehnt Laufzeitverlängerungen bei der Atomkraft dagegen bisher ab. Inzwischen sieht es jedoch so aus, als müsste das nicht in jedem Fall das letzte Wort sein.
Am Sonntag, den 17. Juli, kündigte das Bundeswirtschaftsministerium an, den "Stresstest" für das Stromnetz noch einmal wiederholen zu lassen. Diesmal jedoch unter weiter verschärften Annahmen: mit einem noch höheren Erdgaspreis und noch weniger verfügbaren Kernkraftwerken in Frankreich. Denn immer mehr Ausfälle in der französischen Reaktorflotte stellen die europäische Stromversorgung schon jetzt im Sommer auf eine Belastungsprobe. Der Hintergrund sind Korrosionsschäden in Reaktoren, Rückstände bei der Wartung und Mangel an Kühlwasser. Frankreich ist derzeit auf Stromimporte aus Deutschland angewiesen, was auch für steigende Börsenstrompreise sorgt.
Eine Sprecherin des grünen Bundeswirtschaftsministers sagte, das Ergebnis des zweiten Stresstests sei die Grundlage von Entscheidungen über einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Das sei keine ideologische, sondern eine rein fachliche Frage. Mit Ergebnissen sei "in den nächsten Wochen" zu rechnen.
Söder: Süden in Energiekrise nicht benachteiligen
Unterdessen warnte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Bundesregierung in der Energiekrise vor einer Benachteiligung der Unternehmen und der Bevölkerung im Freistaat. "Wenn die bayerische Wirtschaft ein Problem bekommt, dann hat Deutschland ein Problem", sagte der CSU-Vorsitzende am Montagabend in München. Bayern müsse genausogut versorgt werden wie der Norden.
Ohne die Wirtschaft des Südens habe Deutschland keine Chance. Eine Benachteiligung gegenüber dem Norden dürfe es nicht geben. "Wir werden das auf keinen Fall zulassen", betonte Söder bei der Wirtschaftsnacht der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW). "Energieversorgung ist national." Hier dürfe es keine parteipolitischen Interessen geben.
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