Greifarm in einer bayerischen Müllverbrennungsanlage (Archivbild)
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Greifarm in einer bayerischen Müllverbrennungsanlage (Archivbild)

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Energiekrise: Müllkraftwerke an den Grenzen ihrer Kapazität

Müllverbrennungsanlagen gelten in der Energiekrise als stabiler Lieferant für Strom und Fernwärme. Vom Erdgas-Mangel wären jedoch auch bayerische Anlagen betroffen: Im schlimmsten Fall drohe der Stillstand der Müllkraftwerke, so die Betreiber.

Im Sekundentakt fahren die orangefarbenen Müllautos in der Nürnberger Verbrennungsanlage vor: Hier brennt der Hausmüll von rund einer Million Menschen, dazu kommt Sperrmüll und Industriemüll – jährlich sind es 250.000 Tonnen.

Doch dieser Müll ist längst kein Abfallprodukt: Rund 20 Prozent der Fernwärme und zehn Prozent des Stroms kommen in Nürnberg aus der Müllverbrennung. "Wenn die Anlage läuft, sind wir relativ stabil", versichert der zweite Werksleiter Hans-Peter Kauppert mit Blick auf die nächste Heizperiode.

Ammoniak-Mangel bedroht winterliche Heizperiode

Dass die Anlage läuft, ist jedoch während einer Gaskrise nicht garantiert: Thomas Knoll, Verbandsdirektor des Zweckverbands Müllverwertung Schwandorf, hofft zwar, auch im Winter Volllast fahren zu können, am meisten Sorge mache ihm jedoch die Zulieferung von einem Stoff, den das Kraftwerk in großen Mengen braucht: Ammoniakwasser: "Da wissen wir nicht, ob diese Belieferung auch über den Winter gesichert ist, weil es nur sehr wenige Produzenten von diesem Stoff gibt", sagt Knoll.

Bei Lieferschwierigkeiten: Anlage ausschalten oder Abgase erhöhen

Das Problem: Ammoniakwasser ist ein Nebenprodukt der Erdgas-Produktion – und das Erdgas könnte knapp werden. Bei der Müllverbrennung reduziert Ammoniakwasser die Abgase. Alle 14 Tage füllt die Schwandorfer Anlage ihre Tanks mit 20.000 Litern davon auf – der Zulieferer kommt aus Tschechien. Bliebe die Lieferung aus, hätte das gravierende Folgen, befürchtet Knoll: "Wir würden also zunächst einmal so eine Art Streckbetrieb fahren, damit wir mit weniger immer noch die Werte einhalten können. Dann muss man entscheiden, ob man die Anlage ausschaltet oder mit erhöhten Stickstoffwerten leben kann."

Potenzial der Müllverbrennung bereits jetzt ausgeschöpft

Das Müllkraftwerk Schwandorf versuche die Stromeinspeisung so hoch wie möglich zu halten, sogar etwas mehr bereitzustellen als normal, das Potenzial sei jedoch so gut wie ausgeschöpft. Auch Kauppert von der Müllverbrennungsanlage in Nürnberg räumt ein, dass sowohl das Nürnberger Kraftwerk als auch andere bayerische Anlagen an den Grenzen ihrer Kapazität laufen: "Wir können sicher nicht Spitzenlasten abfangen oder noch mal eine Schicht drauflegen", erklärt er.

Altholzverbrennungsanlage soll zukünftig den Müllanteil verdoppeln

Auch wenn eine deutliche Steigerung der Strom- und Wärmeproduktion durch die Müllverbrennung kaum möglich ist, arbeitet in Nürnberg der regionale Energieanbieter N-Ergie bereits an Konzepten für weitere Kapazitäten für die Strom- und Wärmegewinnung. Am Standort der N-Ergie könnte eine Altholzverbrennungsanlage in Zukunft den Müllanteil der Energiegewinnung um das eineinhalbfache bis doppelte steigern. Dafür müsse die Anlage jedoch zunächst ein Genehmigungsverfahren durchlaufen, sagt Norman Villnow von der N-Ergie.

Müllverbrennung als Konjunktur-Indikator

Ein wichtiger Faktor für die nächste Heizperiode ist in Schwandorf vor allem die Anlieferung von Gewerbemüll. "Wir merken schon eine deutliche Abschwächung im Baubereich und natürlich insbesondere im Automobilzulieferbereich", sagt Verbandsdirektor Knoll und bezeichnet die Müllverbrennungsanlage als einen Indikator für den Verlauf der Konjunktur.

Teure Betriebsmittel, erhöhte Verbrennungsgebühr

Zum fehlenden Brennstoff komme dann noch die Preissteigerung bei den Betriebsmitteln hinzu, erklärt Knoll. Auch in Nürnberg spricht Hans-Peter Kauppert von einer "moderaten Anpassung" der Verbrennungsgebühr um 3,2 Prozent ab 2023. Diese hänge jedoch auch mit dem CO2-Ausstoß zusammen, der ab 2023 bepreist und in Form von Betriebskosten an die Verbraucher weitergegeben werden soll.

Vom Müll zur Energie: "Durch nichts zu ersetzen"

Müll, der in den Müllverbrennungsanlagen Schwandorf und Nürnberg landet, wird bei rund 1.000 Grad Celsius verbrannt. Dadurch entsteht Abwärme, mit der Hochdruck-Dampf erzeugt wird. Dieser wird über große Rohrleitungen in eine Turbine geleitet. Dort wird mit dem Dampf Fernwärme und Strom erzeugt. "Müllverbrennung ist eigentlich im Moment durch nichts zu ersetzen", sagt Kauppert.

Müllkraftwerke in der Energiekrise
Bildrechte: BR

Müllverbrennungsanlagen gelten auch in der Energiekrise als stabiler Lieferant für Strom und Fernwärme. Doch auch sie sind vom Gas abhängig.

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