Während CSU-Chef Markus Söder in der Debatte über die Energiekrise vor allem mit dem Finger nach Berlin zeigt, gibt die bayerische Landtagspräsidentin und oberbayerische CSU-Bezirkschefin Ilse Aigner auch Fehler ihrer eigenen Partei zu. Aigner räumte im "Zeit"-Interview ein, dass der Widerstand der CSU gegen den Bau neuer Stromtrassen seit 2014 bis heute Folgen hat. "Was stimmt: Wir sind beim Strom abhängiger als andere von Atomkraftwerken, und es gibt Engpässe bei den Leitungen von Nord nach Süd."
"Wenn wir konsequenter gewesen wären..."
Aigner selbst war damals bayerische Energieministerin und zeigte sich grundsätzlich offen für den Bau neuer Stromtrassen im Zuge des Atomausstiegs. Allerdings konnte sie sich gegen den Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) und damaligen Heimatminister Söder nicht durchsetzen. "Das stimmt. Das ist leider so gewesen", sagte sie jetzt dazu. Und in der Münchner "Abendzeitung" betonte sie: "Wenn wir konsequenter gewesen wären, hätten wir jetzt mit Sicherheit etwas weniger Sorgen."
Es sei eine schwierige Zeit für sie gewesen, schilderte Aigner. Denn als gelernte Elektrotechnikerin habe sie das System verstanden: "Wenn ich die großen Stromquellen abschalte, die Menge auf die Schnelle aber nicht ersetzen kann, brauche ich den Überschussstrom aus dem Norden und ein leistungsfähiges Stromnetz. Übrigens auch zum Transport unserer Sonnenenergie in den Norden." Allerdings sei sie mit den Fakten "leider nicht immer durchgedrungen", sagte Aigner mit Blick auf Seehofer und Söder.
SPD und Grüne: Kritik an Energiepolitik der CSU
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina lobte Aigners "klaren Worte" über die "CSU-Blockade" der Stromtrassen, die Seehofer damals als "Monstertrassen" bezeichnet habe. Nach den "energiepolitischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre in der CSU" und den Maskenskandalen werde es "endlich Zeit für einen Ministerpräsidentenwechsel", schrieb Celina auf Facebook.
SPD-Landtagsfraktionschef Florian von Brunn twitterte: "Selbstkritik ist gut." Leider habe die CSU aber die erneuerbaren Energien auch vernachlässigt (Geothermie) und blockiert (Windkraft). Photovoltaik habe nur halb so viele Ertrag wie Wind, liefere im Winter wenig, in der Nacht gar nicht. "Dazu sagt Ilse Aigner nichts", bemängelte von Brunn.
Aigner weist Vorwürfe zurück
Aigner verteidigte zugleich ihre Partei in den Interviews aber auch gegen Vorwürfe, den Ausbau der erneuerbaren Energien verschlafen zu haben. "Zum übergroßen Teil ist diese Kritik einfach nicht gerechtfertigt", sagte sie. "Beim Ausbau von Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse sind wir deutlich an der Spitze."
Sie sei sich auch nicht sicher, dass die umstrittene 10H-Abstandsregel das Haupthindernis für den Bau neuer Windräder gewesen sei, erläutert die CSU-Politikerin. "Bei der Windenergie gab es in Baden-Württemberg auch keine großen Zubauten, obwohl es dort gar keine 10H-Regel gab."
Aiwanger: CSU hat den Wählerwillen draußen gescheut
Neben der Opposition macht auch der Koalitionspartner, die Freien Wähler, die CSU für den schleppenden Ausbau der Windkraft in Bayern mitverantwortlich. 10H sei ein Fehler gewesen, betonte Vize-Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger Anfang der Woche in der "Bild". "Die 10H-Regel ist gewissermaßen das gleiche ideologische Steckenpferd für die CSU gewesen wie die Verweigerung der Laufzeit für Atomkraftwerke für die Grünen."
Im BR-Interview legte Aiwanger am Dienstag nach: Die Freien Wähler hätten immer die Bedeutung des Ausbaus von Sonnen- und Windenergie betont, doch die CSU habe "auch den Wählerwillen draußen gescheut". Denn wer sich irgendwo für ein Windrad ausgesprochen habe, sei damals ausgepfiffen worden.
Gegen den Bau neuer Stromtrassen hatte Aiwanger - damals noch Oppositionspolitiker - ebenfalls gekämpft. Den Folgen dieses Widerstands relativierte der Freie-Wähler-Chef: "Selbst wenn wir die letzten Jahre jeden Tag gesagt hätten, 'wir wollen die Trassen', dann wären sie auch nicht schneller fertig geworden", argumentierte er. "Die sind im Norden genauso wenig fertig wie im Süden."
Aigner: "Söder immer zugespitzter als ich"
Söders und Aiwangers Rufe nach einem Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Isar 2 über das Jahresende hinaus unterstützt Aigner zwar, setzt aber einen anderen Akzent als ihr Parteichef. "Markus Söder ist immer ein wenig zugespitzter als ich", sagt die Landtagspräsidentin. "Ich versuche mehr zu erklären, warum das nötig ist."
Während Söder lautstark eine AKW-Laufzeitverlängerung bis mindestens 2024 verlangt, pocht Aigner in erster Linie auf einen "Streckbetrieb" bis ins Frühjahr. Dabei könnte das Kernkraftwerk mit den derzeit verwendeten Brennstäben noch eine Zeit lang mit geringerer Leistung betrieben werden. "Da geht es nicht um den Ausstieg vom Ausstieg", erklärt die CSU-Bezirkschefin. "Wir müssen erst einmal über den Winter kommen." Alles weitere werde man sehen müssen.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!