"Fast vier Stunden weitgehender Ausfall", schreibt eine Frau auf Twitter, "wegen 1 (!) defekten Zuges im Tunnel." Das war im Mai dieses Jahres. Auf der Stammstrecke in München gab es damals viele Verspätungen und ausgefallene Züge.
Eine andere Nutzerin schreibt: "Wir junge peops sind teilweise 15-20 Kilometer abends nach der Party in der Stadt noch zu Fuß nach Hause gelaufen." Sie lebt in Ostbayern, in einem der fünf Landkreise, die deutschlandweit die schlechteste Anbindung haben. Und eine weitere Nutzerin fasst knapp zusammen: "Einfach nix".
Mobilität als eine der großen Herausforderungen der Zeit
Solche und ähnliche Geschichten sind zahlreich. Unter dem #ÖPNVstories sind sie in den sozialen Medien zu finden, aber auch, wer sich auf der Straße umhört, hört regelmäßig Missmut. Dass es beim öffentlichen Nahverkehr Handlungsbedarf gibt, sieht auch die bayerische Staatsregierung. "Mobilität ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit", sagt der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU).
Und diese Herausforderung will er jetzt angehen. Die Ziele hat er gleich abgesteckt: Die Fahrgastzahlen sollen sich im Vergleich zu 2019 verdoppeln. Der CO2-Ausstoß soll um drei Millionen Tonnen pro Jahr sinken, weil mehr Menschen Bus und Bahn statt Auto fahren. So steht es in der "ÖPNV-Strategie 2030".
Eine schnellere Taktung, mehr Busse, einfacher Ticketkauf
In dieser Strategie hat das Ministerium zusammen mit Kommunen, Verkehrsunternehmen und Interessensverbänden sechs Bereiche definiert, in denen sich einiges verbessern soll. So sollen Infrastruktur und Fahrzeuge erweitert werden, bis 2030 sollen 20.000 Busse auf den Straßen sein. Heute sind es circa 13.000.
Bus und Bahnen sollen länger, auch früh und spät, fahren und ihr Takt erhöht werden. Es soll mehr Verkehrsverbünde geben, die Menschen also mit einem Ticket etwa von München bis nach Miesbach fahren können; am Ende soll im Idealfall ganz Bayern ein Verkehrsverbund sein. Das Ticket sollen die Kunden dann einfach digital erhalten, mit einer App. "Ein Klick – ein Ticket", sagt Bernreiter. So steht es auch schon im Koalitionsvertrag.
Kritik des Bayerischen Obersten Rechnungshofes
Erstmals definiert der Freistaat damit eine Strategie für den öffentlichen Nahverkehr – und reagiert damit auch auf Kritik des Bayerischen Obersten Rechnungshofes. Der hatte bereits vor fünf Jahren kritisiert, dass die Förderung für den ÖPNV im Freistaat zu zersplittert und zu wenig zielorientiert sei. 2019 rügten die Prüfer den Freistaat dann erneut. Er müsse mehr beim Schienennahverkehr tun. Der letzte Schienennahverkehrsplan ist aus dem Jahr 2005.
Problem: Finanzierung ist unklar
Nun hat die Staatsregierung also gleich zahlreiche Aufgabenfelder abgesteckt, zusammen mit allen Beteiligten. Allerdings: Es ist unklar, wie diese Pläne finanziert werden sollen. Das müsse auch von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig gemacht werden, sagt Bernreiter. Und: "Da werde ich mich hüten, jetzt konkrete Zahlen zu nennen." Mehrfach betont er: Der Freistaat ist bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Es brauche aber auch mehr Geld vom Bund. Das werde entscheidend sein für die Pläne.
Grundsätzlich sind die Kommunen für den Betrieb oder Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zuständig, mit wenigen Ausnahmen. Der Bund unterstützt sie dabei finanziell, so wie auch der Freistaat. Der Freistaat wiederum erhält Gelder vom Bund, die sogenannten Regionalisierungsmittel. Zwar hat der Bund die Höhe dieser Gelder gerade erst angehoben. Für viele Bundesländer, so auch Bayern, reicht das aber nicht aus. Sie fordern mehr, angesichts wachsender Preise und der vielen Herausforderungen des Nahverkehrs. Das ist auch heute wieder Thema bei einem Treffen von Bund und Ländern.
ÖPNV als Pflichtaufgabe von Kommunen?
Die FDP kritisiert, dass der Freistaat nun wieder auf den Bund zeigt. Das sei ein "falsches Spiel", so der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion, Sebastian Körber. Bayern werde seiner eigenen Verantwortung nicht gerecht.
Auch von SPD und Grünen kommt Kritik daran, dass der Verkehrsminister noch keine festen Finanzzusagen gemacht hat. Im Entwurf für den kommenden Haushalt sei noch nichts von den ganzen Vorhaben zu sehen. Man kann sich natürlich immer schöne Pläne machen, wenn man es nicht finanziert", so der Fraktionschef der SPD, Florian von Brunn.
Die Grünen fordern den Freistaat dazu auf, den Öffentlichen Nahverkehr zur Pflichtaufgabe der Kommunen zu machen, wie es in anderen Bundesländern der Fall ist. Derzeit ist es eine freiwillige Entscheidung der Kommunen, ob sie mehr Mittel für den öffentlichen Nahverkehr in die Hand nehmen. Die Grünen verweisen nun auf Rheinland-Pfalz, wo das anders ist. "Hier wird aktuell eine verbindliche Vorgabe entwickelt, in welchen Regionen zu welchen Zeiten in welchem Takt Busse und Züge fahren; die Kommunen bekommen dann entsprechend Geld dafür", so Markus Büchler, verkehrspolitischer Sprecher der Landtags-Grünen. Der Freistaat lehnt dieses Vorgehen bisher ab, da er verpflichtet wäre, den Kommunen mehr Geld zu geben, wenn er ihnen auch mehr Aufgaben überträgt.
"Reichlich unspezifisch" und "nicht konkret genug"
Neben der Finanzierung kritisieren die Parteien aber auch die Inhalte an sich. "Reichlich unspezifisch" nennt der verkehrspolitische Sprecher der AfD, Uli Henkel, das Konzept. Selbst vom Regierungspartner der CSU, den Freien Wählern heißt es: "An vielen Stellen bleiben die Handlungsfelder nicht konkret genug." Die Anregungen aus der Arbeitsgruppe seien nur zum Teil in das Konzeptpapier aufgenommen worden, so Manfred Eibl, verkehrspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. Die Grünen sagen, die Strategie sei weder Plan, noch Konzept.
Zusätzlich Wünsche haben die Parteien viele. Der Nürnberger SPD-Vorsitzende Nasser Ahmed fordert ein 29-Euro-Bayern-Ticket, als Ergänzung zum 49-Euro-Ticket. Es fehle der Bezug zum Konzept der Ampel-Koalition in Berlin, sagt er. Die AfD wünscht sich konkrete Vorschläge, wie Bauvorhaben in Zukunft beschleunigt werden. Die FDP will die Strategie noch digitaler und innovativer.
Bayerns Verkehrsminister weist diese Kritik zurück. Es handele sich um einen Plan für die Zukunft, sagt er. Man werde jetzt die Umsetzung vorantreiben und den öffentlichen Nahverkehr fit machen für die Zukunft.
Personal für die Pläne fehlt
Dabei gibt es aber auch noch eine praktische Herausforderung, auf die der bayerische Gemeindetag hinweist. "Mehr Busse sind schön", sagt der Präsident Uwe Brandl, "aber ich brauche dann auch mehr Fahrer." Und Personal ist gerade rar. Zahlreiche Unternehmen suchen nach Mitarbeitern. Ein Busunternehmen aus Glonn, südlich von München, konnte deswegen sogar nicht an einer Ausschreibung teilnehmen. In ganz Europa finde er kein Personal mehr, sagte der Geschäftsführer kürzlich dem BR.
Verkehrsminister Bernreiter ist sich dessen bewusst. Der Fachkräftemangel sei eine "große Herausforderung". Er setzt auf attraktivere Arbeitsbedingungen, mehr Ausbildung und mehr Digitalisierung.
- Zum Artikel: BR24-Leser über schlechte ÖPNV-Anbindungen
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