Der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx
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Ehemalige Mitglieder der "Katholischen Integrierten Gemeinde" haben die Äußerungen von Kardinal Reinhard Marx kritisiert.

    Ehemalige Sektenmitglieder kritisieren Münchner Kardinal Marx

    Ehemalige Mitglieder der Integrierten Gemeinde kritisieren Kardinal Reinhard Marx. Mit seiner Äußerung, der Prüfbericht über die Sekte gebe nur Tendenzen an, disqualifiziere er die Betroffenen und suggeriere, eine Prüfung sei nicht objektiv gewesen.

    Ehemalige Mitglieder einer katholischen Sekte haben in einem Brief an die Deutsche Bischofskonferenz Kritik am Münchner Kardinal Reinhard Marx geübt. Anlass dafür waren Äußerungen von Marx zu einer kirchenrechtlichen Prüfung der "Katholischen Integrierten Gemeinde". Die kirchlich anerkannte Gemeinschaft hatte an dieser sogenannten Visitation nicht mitgewirkt.

    Deshalb argumentierte Marx im Dezember, der Abschlussbericht der Prüfer gebe nur Tendenzen an. "Mit dieser Aussage des Kardinals werden zum einen die zahlreichen Zeugenaussagen der Betroffenen abqualifiziert und zugleich die Arbeit der drei Visitatoren als nicht objektiv hingestellt und missachtet", heißt es in dem Brief an die deutschen Bischöfe, der von 56 ehemaligen Mitgliedern der Gemeinschaft unterzeichnet wurde.

    Integrierte Gemeinde galt als katholisches Reformprojekt

    Die Integrierte Gemeinde gründete sich nach dem Zweiten Weltkrieg in München und galt lange als elitäres Reformprojekt in der katholischen Kirche. Ihr Ziel war, in allen Bereichen die christlichen Ideale zu leben – im Beruf, im Alltag und im Privatleben. Wichtigster Förderer war Joseph Ratzinger, der als Münchner Erzbischof im Jahr 1978 die Integrierte Gemeinde offiziell anerkannte. Dabei war schon damals massive Kritik am Umgang der Gemeinschaft mit den Mitgliedern im Erzbistum München und Freising aktenkundig. Das Evangelische Sonntagsblatt sah 1977 eine "totalitäre Gemeinschaft" am Werk.

    Brisante interne Kirchendokumente legen nahe, dass Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., und der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, nur zögerlich auf Missstände in der katholischen Gemeinschaft reagiert haben. Bisher lehnen beide (Joseph Ratzinger bis zu seinem Tod 2022) eine persönliche Mitverantwortung ab beziehungsweise sehen (sahen) beim Erzbistum München und Freising keine Verantwortung.

    Kardinal Marx löste die kirchliche Sekte erst 2020 auf

    In Dokumenten, die dem BR exklusiv vorliegen, sind etwa Briefe von Marx und an Ratzinger zitiert. Darin werden Missstände in der "Katholischen Integrierten Gemeinde" benannt. Verfasst wurden diese 2003 und 2011. Ernsthafte Konsequenzen zog die Kirche erst ab 2019 mit der Visitation. 2020 löste Marx die Gemeinde im Erzbistum München und Freising auf.

    Der Abschlussbericht der kirchenrechtlichen Prüfung ist nur zum Teil öffentlich, aus Datenschutzgründen, wie das Erzbistum erklärte. Dem BR liegt der komplette Bericht vor. Marx hat bisher Teile der Handlungsempfehlungen seiner Prüfer nicht umgesetzt. So gibt es bisher keine eigene Aufarbeitungskommission zu dem Geschehen. Das Erzbistum verweist hier auf die Deutsche Bischofskonferenz, mit der man sich abstimmen wolle, da die Integrierte Gemeinde in mehreren Bistümern anerkannt war. Außerdem gebe es einen eigenen Ansprechpartner für ehemalige Mitglieder.

    Ehemalige Mitglieder fordern Aufarbeitungskommission

    Die ehemaligen Mitglieder fordern nun von der Deutschen Bischofskonferenz eine Wahrheits- und Aufarbeitungskommission zur Integrierten Gemeinde. Dabei sollen auch die Priester mitarbeiten, die ehemals zur Integrierten Gemeinde gehörten. "Da die Priester (...) ihren Bischöfen Gehorsam gelobt haben, dürften sie sich nicht entziehen können", heißt es in dem Brief. Die Bischofskonferenz trifft sich von Montag an zu ihrer Frühjahrsvollversammlung in Dresden.

    Im Podcast und in der Dokumentation "Seelenfänger" des BR berichten ehemalige Mitglieder der Integrierten Gemeinde darüber, dass ihnen verboten wurde, Kinder zu bekommen. Ehen wurden gestiftet oder auch getrennt. Beruf und Wohnort bestimmte die Gemeindeleitung. Und auch finanziell wurden die Mitglieder ausgebeutet. Beichten fanden öffentlich in der Gemeindeversammlung statt. Die Gemeindeleitung unter der Führungsfigur Traudl Wallbrecher sprach von der sogenannten "Ganzhingabe". Theologisch argumentierte die Gemeinde, dass aus ihr der Wille Gottes sprach. Wer sich den Entscheidungen der Leitung widersetzte, handelte damit gegen den göttlichen Willen, so die Haltung.

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