Notfallsanitäter bei der Arbeit. (Symbolbild)
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Notfallsanitäter bei der Arbeit. (Symbolbild)

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Droht ein Kollaps? Viele Notfallretter werfen hin

Sie klagen über mangelnde Wertschätzung und Überlastung: Vertreter von Rettungsdiensten schlagen Alarm. Immer mehr wollen nicht mehr im Rettungsdienst tätig sein. Speziell sei die Situation in Bayern, sagt ein Experte im Interview mit BR24.

Vertreter von Rettungsdiensten warnen vor einem Kollaps der Notfallrettung in Deutschland und fordern Maßnahmen gegen Überlastung und Personalnot ein. Es bestehe die Gefahr, dass das System zusammenbreche, erklärt das kürzlich gegründete "Bündnis pro Rettungsdienst". Dem Bündnis gehören den Angaben zufolge auch die Björn Steiger Stiftung, die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands, die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft und die Deutsche Gesellschaft für Rettungswissenschaften an.

Experte: Viele Notfallsanitäter fühlen sich nicht wertgeschätzt

Der Rettungsdienst sei generell leistungsfähig, er komme aber immer mehr an seine Grenzen. Die Einsatzzahlen nähmen bundesweit zu, sagt der zweite Vorsitzende des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst (DBRD), Frank Flake: "Wir erleben gerade eine nie dagewesene Berufsflucht."

Auch der erste DBRD-Vorsitzende, Marco König, kann auf Anfrage von BR24 bestätigen, dass die Lage problematisch sei. Speziell sei die Situation in Bayern. So müsse im Freistaat für fast jede invasive Maßnahme der Notarzt nachgeholt werden, etwa bei einer Sepsis. Da sei es nach den aktuellen Vorschriften erforderlich, dass für die zweite Infusion der Notarzt komme - und das, obwohl Notfallsanitäter nach einer dreijährigen Ausbildung sehr gut ausgebildet seien und auch heilkundliche Tätigkeiten durchführen dürften. "Viele dieser Sanitäter fühlen sich nicht wertgeschätzt, wenn sie dann extra einen Notarzt rufen müssen", sagt König. Sollten die Notfallsanitäter gegen die Vorgabe handeln, dann drohten ihnen Abmahnung oder gar Entlassung, so der DBRD-Vorsitzende. Das sei frustrierend.

Was dürfen Notfallsanitäter?

Hinzu kommen auch innerhalb der Bundesländer regionale Unterschiede, was ein Notfallsanitäter tun dürfe und was nicht, erklärt Ulrich Schreiner, Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung, im Interview mit der radiowelt auf Bayern 2. Ein Beispiel sei die Vergabe von Schmerzmitteln. In manchen Regionen hätten Notfallsanitäter hierfür eine Freigabe, in anderen Regionen nicht.

Die Folge: Ein Patient muss dann zehn Minuten länger seine Schmerzen aushalten, weil der Notarzt nachgefordert werden muss. Schreiner verlangt deshalb bundeseinheitliche Standards: "Wir fordern, dass der Bundesgesetzgeber den Ländern eine Rahmenvorgabe macht, dass wenigstens festgelegt wird, was Notfallsanitäter machen dürfen." Mit einer schnellen Lösung rechnet Schreiner aber nicht. Gesetzesänderungen auf Bundesebene seien schwierig und langwierig.

Logo der Björn Steiger Stiftung
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Problem: Ärzte machen kaum noch Hausbesuche

Ein weiterer Punkt offenbart die Versorgung mit Hausärzten - in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, sagt Marco König vom Berufsverband Rettungsdienst: "Viele Hausarztpraxen sind telefonisch dauerbesetzt, immer weniger Ärzte führen Hausbesuche durch."

Auch die Nummer der kassenärztlichen Bereitschaftsdienste sei nicht immer gut zu erreichen. "Wenn ich eine dreiviertel Stunde in der Warteschleife hänge, dann lege ich irgendwann auf und alarmiere den Rettungsdienst", sagt König.

Wenn der Rettungsdienst umsonst gerufen wird ...

Offensichtlich sinkt aber auch die Hemmschwelle. "Bei bestimmten Krankheiten hätte man früher nie den Notdienst gerufen", berichtet Experte Ulrich Schreiner von der Björn Steiger Stiftung, die sich seit mehr als 50 Jahren für Verbesserungen im Rettungsdienst einsetzt.

Auch das "Bündnis pro Rettungsdienst" beobachtet eine gesunkene Schwelle, Rettungsdienste zu alarmieren, und unzureichende Kenntnisse, welche Nummer die jeweils richtige sei, erläutert das Bündnis. "Rettungsdienst rettet Leben und ist kein Taxi", sagt Oliver Hölters von der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas.

Bündnis stellt Forderungen

Das Bündnis fordert unter anderem eine Ausbildungsinitiative, moderne Arbeitszeitmodelle und angemessene Bezahlung. Nötig sei eine Vernetzung der Notrufnummer 112 und der ärztlichen Bereitschaftshotline 116 117 mit standardisierten Abfragen, um Fälle in die jeweils passende Versorgung zu steuern.

"Wir hätten gerne Gesundheitsleitstellen, wie das in anderen europäischen Nachbarländern ist", sagt Ulrich Schreiner von der Björn Steiger Stiftung. Eine solche Leitstelle könnte dann laut Schreiner zum Beispiel eine Video-Sprechstunde anbieten. Patienten "wären dann beruhigt und könnten zu Hause bleiben", erklärt Schreiner: "In anderen Ländern gibt es eine Patientenakte. Da kann die Leistelle reinschauen und sieht welche Vorerkrankungen vorliegen. Dann können sie den Patienten ganz anders einschätzen."

Forderungen stellt auch die Gewerkschaft Verdi. Sie verlangt eine Verkürzung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 44 Stunden. Überlange Arbeitszeiten bei den Rettungsdiensten von bis zu 48 Stunden führten zu hohen gesundheitlichen Belastungen für die Beschäftigten und müssten endlich der Vergangenheit angehören, sagt Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Aktuell laufen die Tarifverhandlungen für Beschäftigte im kommunalen Rettungsdienst.

Tödlicher Unfall in Berlin

Ein Busunfall in Berlin, bei dem eine 15-Jährige starb, hatte am Wochenende ein Schlaglicht auf die Lage der Rettungsdienste geworfen. Am Sonntag protestierten einige Dutzend Feuerwehrleute in der Hauptstadt vor dem Roten Rathaus für bessere Arbeitsbedingungen. Bei dem Busunfall war eine junge Fußgängerin getötet worden. Als erster Wagen sei ein Notarzt neun Minuten nach dem Notruf vor Ort gewesen, die ersten beiden Rettungswagen erst nach 20 Minuten, teilt die Feuerwehr mit.

Die Frage, die sich dabei stellt: Bekommt noch jeder schnelle Hilfe vom Rettungsdienst, wenn er sie braucht und die 112 wählt? "In Ausnahmefällen leider nicht mehr", warnt Experte Ulrich Schreiner. Die Rettungsfahrzeuge seien bei einem wirklichen Notfall möglicherweise noch mit "banalen Einsätzen" beschäftigt, wo etwa der Hausarzt gereicht hätte. Heißt Schreiner zufolge: "Die Rettungsmittel sind bei lebenswichtigen Einsätzen blockiert."

Mit Informationen der dpa

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