Nördlicher Blick über die Landshuter Allee in München.
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Dieselfahrverbot in München: Die bittere Pille für bessere Luft

Ab 1. Februar gilt in der Münchner Innenstadt und dem Mittleren Ring ein Fahrverbot für Euro 4 Diesel. Werden die Luftwerte nicht besser, müssen ab Oktober noch weitere Dieselfahrer draußen bleiben, sonst kommen hohe Strafzahlungen auf München zu.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Die Luft in München wird, was Stickstoffdioxid anbelangt, stetig besser. Dennoch: An vier Straßen in der Landeshauptstadt wird der seit 2008 gültige EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid (NoX) immer noch überschritten. Die Landshuter Allee hat zum Beispiel den Ruf, die Straße mit der dreckigsten Luft in Deutschland zu sein. Ab 1. Februar gilt in München deswegen ein Dieselfahrverbot, und zwar für Diesel mit der Schadstoffklasse Euro 4 /IV. In einem weiteren Schritt sind ab Oktober Euro 5/V-Dieselfahrer betroffen.

Ab Oktober wahrscheinlich auch Euro 5 betroffen

Stephan Eppinger ist freischaffender Musiker aus Dießen am Ammersee und fährt einen silbergrauen VW-Touran. Er ist auf sein Auto angewiesen. Instrumente, Verstärker, Boxen - alles passt ohne Probleme in das Stauraumwunder auf vier Reifen. Mindestens dreimal die Woche muss der Dießener in die Innenstadt oder über den Mittleren Ring zu Auftritten. Endlich, denn nach drei langen Corona-Jahren hat der Musiker wieder Arbeit. Doch wenn der Familienvater in die Fahrzeugpapiere seines Autos blickt, bekommt er Bauchschmerzen.

Im Feld 14 seiner Fahrzeugpapiere steht in Großbuchstaben "EURO5" und in der Zeile darunter "Diesel". Vom Münchner Fahrverbot ab 1. Februar ist Stephan Eppinger wohl noch nicht betroffen, es blüht ihm wahrscheinlich ab Oktober. Sein Problem: Ein neues Auto kann er sich derzeit nicht leisten. Gerade ist er damit beschäftigt, Corona-Hilfen zurückzuzahlen. Das Geld ist deswegen mehr als knapp, ein neues Auto finanziell nicht drin, eventuell, so hofft Eppinger, kann er seinen Diesel nachrüsten.

Kaum Möglichkeit für Diesel-Nachrüstsysteme

Bei Nachrüstsystemen für Euro 4- und Euro 5-Systeme schüttelt Alexander Kreipl vom ADAC Südbayern allerdings den Kopf. Für Euro 4, so Kreipl, gibt es eigentlich gar keine - und für Euro 5 seien passende Systeme nur sehr schwer zu finden. Finanziell lohne sich das Einbauen von Minderungssystemen zudem nicht, so Kreipl.

Nach Angaben des Autofachmanns melden sich beim ADAC seit Tagen viele besorgte Dieselfahrer. Teilweise seien dies Münchner, so Kreipl, die von der Stadt schriftlich auf das drohende Fahrverbot ab 1. Februar hingewiesen wurden. Viele Anfragen kämen allerdings auch aus dem Münchner Umland.

ADAC: Fahrverbote verlagern das Problem

München ist eine der größten Pendlerstädte in Deutschland. Rund 500.000 Ein- und Auspendler werden in der Landeshauptstadt pro Tag verzeichnet. Für sie habe der Mittlere Ring, die Münchner Stadtautobahn, eine Bündelungsfunktion. Mit dem Dieselfahrverbot werden nach Ansicht Kreipls viele Pendler auf Ausweichrouten gedrängt, was das Problem entweder in andere Stadtbezirke oder in die Gemeinden und Städte im Münchner Landkreis verlagere.

Diese Problematik sieht Christine Kugler nicht. Kugler ist Leiterin des städtischen Referats für Klima und Umwelt und für das Münchner Dieselfahrverbot zuständig. Laut Kugler kann man zumindest für das Stadtgebiet relativ gut prognostizieren, welche Ausweichrouten Fahrer nehmen werden. Vielleicht, so Kugler wird es auf diesen Strecken zwei oder drei Monate lang mehr Verkehr geben, allerdings werde sich die Situation danach wieder entspannen, ist sie sich sicher.

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Ab 1. Februar erweitert sich die Umweltzone auf den Mittleren Ring. Ab dann darf auch der Ring nur noch mit grüner Plakette befahren werden.

Stadt: Keine schlechteren Luftwerte in anderen Stadtbezirken

Denn durch das Dieselfahrverbot ist laut der Umweltreferentin auf dem Mittleren Ring mehr Platz. Dadurch würden Autofahrer, die jetzt den vollen Ring meiden, dann lieber auf die Stadtautobahn fahren. Auch dem Argument, dass sich dann auf den Ausweichrouten die Luft verschlechtern wird, widerspricht Kugler. Von ihrem Referat in Auftrag gegebene Berechnungen zeigten, dass sich durch die Ausweichverkehre die Luftwerte in anderen Stadtbezirken nicht verschlechtern würden.

Der Präsident des Autoclubs "Mobil in Deutschland", Michael Haberland, kritisiert die Entscheidung der Stadt München, ein Dieselfahrverbot einzuführen. Ihm zufolge sind die Schadstoffwerte in den vergangenen Jahren enorm nach unten gegangen. Die Luft in München sei gut, sagt Haberland. Für ein Fahrverbot sieht er überhaupt keine Grundlage. Das Fahrverbot ist für ihn eine Enteignung der betroffenen Dieselfahrer, diese könnten ihre Autos nun nicht mehr nutzen.

Haberland will gegen das Fahrverbot klagen

Haberland geht davon aus, das Fahrverbot in München mit Hilfe von Gerichtsverfahren zu kippen. Er verweist hier auf das Beispiel Berlin, wo das dortige Verwaltungsgericht Fahrverbote nur in einzelnen Straßen für nötig befand und ein flächendeckendes Fahrverbot, so wie nun in München, ablehnte.

Laut der Umwelt- und Klimareferentin Kugler hatte die Stadt jedoch keine andere Wahl, als ein stufenweises Dieselfahrverbot zu verhängen, denn ganz egal, ob die Luft in den letzten Jahren viel besser geworden sei, an vier Stellen werde der EU-Grenzwert nach wie vor seit rund zehn Jahren gerissen. Würde man nichts unternehmen, hätte man auch im Jahr 2026 an den Hotspots in der Landshuter Allee, der Tegernseer Landstraße und dem Leuchtenbergring immer noch zu schlechte Werte. Das ziehe, so Kugler, neben den gesundheitlichen Problemen für viele Anwohner auch rechtliche Probleme für die Stadt nach sich.

Kugler: München drohen hohe Strafzahlungen

Zum einen drohen laut Kugler hohe EU-Strafzahlungen von bis zu einer Million Euro täglich. Zum anderen habe man die Zuständigkeit für die Luftreinhaltung in München vergangenes Jahr vom Freistaat geerbt. Mit diesem Erbe seien auch zwei laufende Gerichtsverfahren in den Schoß der Stadt gefallen, sowohl mit dem Verkehrsclub Deutschland als auch der Deutschen Umwelthilfe.

Seit Jahren befand sich beispielsweise die Deutsche Umwelthilfe im Streit mit dem Freistaat. Der Freistaat tue zu wenig, um die schlechten Luftwerte in München in den Griff zu bekommen, war das Argument des Verbands. Tatsächlich wurde die bayerische Landesregierung immer wieder vom Verwaltungsgericht München und auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gezwungen, die Luftreinhaltung in der Landeshauptstadt umzusetzen.

Mehr Spielraum durch außergerichtlichen Vergleich

Auch die Stadt München hätte mit ziemlicher Sicherheit als Rechtsnachfolgerin des Freistaats laut Kugler die aktuellen Gerichtsverfahren verloren und wäre dann mit gerichtlich erlassenen Fahrverboten dagestanden. Deswegen habe man sich entschieden, einen Vergleich mit den beiden klagenden Verbänden auszuhandeln.

Damit habe man sich einen gewissen Gestaltungsspielraum erhalten, der unter anderem das Stufenkonzept beinhaltet, so die Klimareferentin. So gilt ab ersten Februar das Euro 4 Dieselfahrverbot. Werden die Nox-Werte nicht besser, dürfen ab Oktober auch Euro 5 Diesel weder auf den Mittleren Ring, noch in die Innenstadt.

Ausnahmegenehmigung: 50 Euro pro Jahr

Außerdem habe man eine Reihe von Ausnahmen herausverhandeln können. So kann jeder, der beruflich über den Ring oder in die Innenstadt muss, eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Kosten pro Jahr: 50 Euro. Eigentlich hätte diese Genehmigung 200 Euro gekostet. Nachdem eine öffentliche Protestwelle auf die Stadt zurollte, entschied das für Gebühren zuständige Kreisverwaltungsreferat auf Anraten der SPD Stadtratsfraktion, die Preise für Ausnahmegenehmigungen drastisch zu senken.

Bewohner der Innenstadt, Lieferanten und Schwerbehinderte, die einen Euro 4 oder Euro 5 besitzen, brauchen gar keine Genehmigungen. Allerdings: Werden die Luftwerte auch bis April 2024 nicht besser, entfallen die generellen Ausnahmen für Anwohner und Lieferverkehr.

Warnung vor Schaden für die Wirtschaft

Sorgen machen müssen sich vor allem Gewerbetreibende, die nicht mehr wie bisher verkehren können. Ein vollständiges Dieselfahrverbot würde für die meisten von ihnen eine Neuanschaffung ihres Fuhrparks bedeuten, ist die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.. überzeugt. Für viele sei dieser Aufwand nicht zu stemmen, warnt vbw-Geschäftsführer Bertram Brossardt: "Eine Metropole kann nur mit uneingeschränktem Zugang des Wirtschaftsverkehrs in die Stadt funktionieren. Gleichzeitig kann die Verbesserung der Luftqualität auch ohne zusätzliche Verkehrsbeschränkungen erreicht werden".

Aus seiner Sicht ist das Diesefahrverbot "völlig unverhältnismäßig". Die vbw fordert stattdessen, den öffentlichen Nahverkehr schnell auszubauen. Gefragt seien Mobilitätskonzepte, die alle Verkehrsträger miteinander vernetzen. Auch durch eine intelligente Optimierung des Verkehrsflusses und die Vermeidung von Auto-Staus könne die Schadstoffbelastung gesenkt werden.

Höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig

Angekündigten Klagen gegen das Dieselfahrverbot sieht die Klima- und Umweltreferentin Christine Kugler gelassen entgegen. Es gebe eine höchstrichterliche Rechtsprechung von Seiten des Bundesverwaltungsgerichts, die kommunale Fahrverbote erlaube, wenn es Ausnahmen und Übergangsfristen gebe. Zum anderen habe man sich ein Beispiel an anderen deutschen Städten genommen, in denen Fahrverbote erlassen wurden.

Zurück nach Dießen am Ammersee: Trotz des Umstands, dass er ab Oktober eine Ausnahmegenehmigung brauchen wird, kann der Dießener Musiker Stephan Eppinger die Gründe für das Dieselfahrverbot nachvollziehen. Allerdings, so Eppinger, könnte der öffentliche Nahverkehr in Bayern schon lange besser ausgebaut sein, dann hätte er zumindest eine realistische Möglichkeit, ohne Auto in die Stadt zu kommen. Aber das, winkt Eppinger ab, hätte man schon vor 20 oder 30 Jahren angehen müssen.

Ein Fahrradfahrer fährt an einem Auto vorbei, aus dessen Auspuff Abgase kommen.
Bildrechte: BR/Fabian Stoffers
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Ab 1. Februar gilt in der Münchner Innenstadt und dem Mittleren Ring ein Fahrverbot für Euro 4 Diesel.

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