Neugeborenes Baby
Bildrechte: picture alliance/CHROMORANGE/Antonio Gravante

Neugeborenes Baby

  • Artikel mit Video-Inhalten

Die Babyklappe: Letzter Ausweg für verzweifelte Mütter?

Babyklappen ermöglichen es Müttern anonym zu bleiben, sind jedoch umstritten. Das Konzept der "vertraulichen Geburt" will dagegen das Grundrecht des Kindes auf Wissen über die eigene Abstammung wahren. Aber: Ist sie eine echte Alternative?

Nach den Funden einer Babyleiche nahe Ruhpolding vor rund einer Woche und eines ausgesetzten Neugeborenen vor einem Immenstädter Krankenhaus wird wieder verstärkt über Babyklappen und Angebote für eine vertrauliche und anonyme Geburt diskutiert. Babyklappen bieten Müttern die Möglichkeit, nach der Geburt ihr Kind komplett anonym abzugeben. Genau deshalb stehen jene häufig in der Kritik. Trotzdem ist fraglich, ob Alternativangebote wie eine "vertrauliche Geburt" Babyklappen tatsächlich ersetzen können.

Liegt ein Baby in der Klappe, klingelt es an der "Lebenspforte"

Ein Kloster mit Babyklappe: dieses Angebot in München-Solln ist einzigartig. Schwester Daniela Riepold von den Schwestern vom Guten Hirten hat die Notvorrichtung für Neugeborene im Kloster Sankt Gabriel vor 22 Jahren eingerichtet. Seitdem wurden dort 13 Säuglinge dort abgegeben. Kindstötungen sollen so vermieden werden.

"Man muss nur das Fenster öffnen und das Kind ins Wärmebettchen legen", erklärt Schwester Daniela. Sobald ein Neugeborenes angekommen ist, wird an der "Lebenspforte" des Klosters der Babyalarm ausgelöst. Rund um die Uhr - 24 Stunden an sieben Wochentagen - können Mütter ihr Baby anonym dort abgeben. Dann läutet per Rufumleitung das Handy von Schwester Daniela oder einer ihrer Mitschwestern.

Umstritten: Babyklappen vor mehr als 20 Jahren eingeführt

Die Babyklappe soll verzweifelten Müttern als Ausweg dienen. Insgesamt gibt es nur zwölf solcher Einrichtungen in ganz Bayern. Weil Babyklappen keine rechtliche Grundlage haben, sind sie in Deutschland umstritten. Seit ihrer Einführung vor über 20 Jahren sind die Einrichtungen in der Kritik: Ein anonym abgegebener Säugling wisse als Erwachsener nicht, wer seine biologischen Eltern seien, so der Vorwurf. Und tatsächlich verstößt die Mutter, die ihren Säugling dort abgibt, gegen das Grundgesetz.

Denn das Recht auf Wissen über die eigene Abstammung ist grundgesetzlich und durch die UN-Kinderrechtskonvention geschützt. Der Deutsche Ethikrat hatte 2009 sogar dafür plädiert, alle Babyklappen bundesweit zu schließen. Auch das Kinderhilfswerk "terre des hommes" hält nichts von Babyklappen. Diese würden nicht einhalten, was sie versprochen hätten, nämlich einen merklichen Rückgang von Kindstötungen.

Zwei ausgesetzte Babys in Ruhpolding und Immenstadt

Auch kürzlich sorgten wieder zwei ausgesetzte Babys für Schlagzeilen: Nachdem im Allgäu ein Neugeborenes bei Minusgraden vor dem Eingang der Notaufnahme des Immenstädter Krankenhauses ausgesetzt worden war, bemerkte es eine Pflegekraft gerade noch rechtzeitig. Das Kind war stark unterkühlt, aber überlebte. In Ruhpolding fand man vergangene Woche einen ausgesetzten Säugling auf einem Parkplatz – tot. Laut Landeskriminalamt bewegt sich seit 2017 die Zahl der jährlich getöteten Babys in Bayern kontinuierlich zwischen sieben und zwölf.

Im Kloster Sankt Gabriel in München wurde zuletzt vor zwei Jahren ein Findelkind abgegeben. "Wenn ich den Alarm höre oder auf dem Display sehe, lasse ich alles stehen und liegen. Dann klopft mein Herz bis zum Hals. Und dann umfasse ich das Baby und rede mit ihm: Schön, dass du da bist. Du musst deiner Mutter nicht böse sein", erzählt die Ordensschwester.

Anonymität ist wichtig für schwangere Frauen in Not

Anonymität sei für schwangere Frauen in scheinbar ausweglosen Situationen das wichtigste Kriterium, sagt Heidi Winter-Schwarz, die die Schwangerschaftsberatung der Caritas Nürnberg leitet. Schwangere in Not stünden oftmals unter einem großen psychischen Druck, sie wollten die Schwangerschaft vor ihrem Umfeld verheimlichen. "Es kommen Frauen in die Beratungsstelle, die sehr verzweifelt sind, oft erst relativ spät bemerkt haben, dass eine Schwangerschaft vorliegt", berichtet sie. Das sei eine ganz schwierige Lage. Oft seien es sehr junge Frauen, zum Teil nicht einmal volljährig. "Mit dabei ist aber auch mal eine 35-jährige Akademikerin", sagt Heidi Winter-Schwarz.

Vertrauliche Geburt: eine Alternative?

2014 wurde die "vertrauliche Geburt" ermöglicht, mit dem Ziel, Babyklappen überflüssig zu machen. Dabei erhält die Frau vor der Geburt in der Beratung einen anderen Namen, ein Pseudonym, mit dem sie in einer Klinik anonym gebären kann. Das Kind wird zur Adoption freigegeben, der echte Name der Mutter wird jedoch in einem gekennzeichneten, versiegelten Umschlag beim Bundesamt für Familie aufbewahrt. Diesen Umschlag kann dann das Kind mit 16 Jahren auf Wunsch einsehen.

Mit der "vertraulichen Geburt" soll die Mutter anonym gebären können, ohne dass das Grundrecht des Kindes verletzt wird. Allerdings nutzen bisher nur wenig Frauen diese Möglichkeit: Deutschlandweit kommt es im Schnitt zu 110 vertraulichen Geburten, in Bayern waren es im vergangenen Jahr nur 12. "Ich kann mir vorstellen, dass trotzdem für manche Frauen die Hemmschwelle zu groß ist, zu einer Beratungsstelle oder ins Krankenhaus zu gehen", glaubt Winter-Schwarz.

Babyklappenkinder wachsen bei Adoptiveltern auf

Um zu verhindern, dass Frauen alleine zuhause, ohne medizinische Betreuung gebären, fordern Experten, dass auch eine absolut anonyme Geburt, ohne Pseudonym, unter gewissen Voraussetzungen möglich sein müsste, wie es etwa in Nürnberg als Kooperation zwischen sozialen Trägern, dem Jugendamt und dem städtischen Klinikum bereits jetzt der Fall ist.

Der karitative Schwesternorden vom Guten Hirten in München betreibt Kitas, Pflegeheime und Wohnungen für Frauen. Fürsorge ist für die 20 Ordensfrauen eine ihrer zentralen Aufgaben. Jeder Säugling in der Babyklappe erhält von Schwester Daniela einen eigenen Namen und wird dann dem Jugendamt übergeben. Die Ordensschwester im Kloster Gabriel hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Babyklappenkinder beschwerdefrei bei ihren Adoptiveltern aufwachsen, manche kommen sie sogar hin und wieder besuchen. Dennoch bleibt auch für Schwester Daniela die "vertrauliche Geburt" der bessere Weg und die Babyklappe nur der letzte Ausweg.

Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.