Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Lebensmittelproduktion sind weitreichend. Hohe Energiepreise, Inflation und schlechte Kauflaune bereiten auch den bayerischen Bauern große Sorgen. Wie haben sie das Jahr überstanden?
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Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Lebensmittelproduktion sind weitreichend: hohe Energiepreise, Inflation und schlechte Kauflaune

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Der Ukraine-Krieg und Bayerns Landwirtschaft

Mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine änderte sich auch für die Landwirtschaft hierzulande vieles: Weizenpreise schwanken heftig, hohe Kosten bedrohen die Betriebe. Ein Jahr Krieg heißt auch: ein Jahr bayerische Landwirtschaft im Krisenmodus.

Stephan Bissinger baut auf 80 Hektar unter anderem Weizen an. Einen Teil seiner Ernte im vergangenen Jahr hatte er bereits verkauft, bevor der Krieg gegen die Ukraine losging. Den Rest lagert er noch ein. Der Preis beim Verkauf lag bei 20 Euro pro Doppelzentner. Doch dann stieg er im Frühsommer kurzfristig auf über 40 Euro.

In der Vergangenheit habe es natürlich auch Hochpreisphasen und Tiefpreisphasen gegeben, sagt er. Doch dabei sei es um zwei, drei Euro gegangen und nicht um das Doppelte - um 20 Euro und mehr. "Solche Sprünge hatte ich noch nie", sagt der Landwirt aus dem schwäbischen Landkreis Günzburg.

Russland verwendet Getreideexporte als Waffe

Der Grund: Russland blockiert Getreideexporte aus der Ukraine auf den Weltmarkt. Monatelang hält Putin das Getreide fest. Die Welt bangt um ihre Vorräte. Denn die Ukraine ist einer der größten Weizenexporteure weltweit. Droht eine Ernährungskrise? Im August ändert sich die Lage. Der Getreidefrachter Razoni läuft aus dem ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa aus. Es ist das vorläufige Ende eines Nervenkriegs. Doch weil Schiffsexporte wieder möglich sind, beginnt ein wildes Preis-Ping-Pong.

Zunächst fällt der Weltmarkt-Preis für Weizen rasant. Als die Meldungen über den Ticker laufen, dass wieder ein Frachter die Ukraine verlassen konnte, sei der Preis zurückgegangen, erinnert sich Landwirt Bissinger. "Doch als Meldungen kamen, dass diese Schiffe beschossen und nicht fahren können wegen der Seeminen, hat der Preis wieder angezogen."

Hohe Kosten beuteln bayerische Landwirte

Grundsätzlich freuen sich die Landwirte über gestiegene Erzeugerpreise. Aber auch die Kosten schossen durch den Ukraine-Krieg nach oben. Für seine Rote Bete hatte Bissinger mit einer Konservenfabrik schon lange vor der Ernte einen langfristigen Kontrakt geschlossen. Der vereinbarte Preis sei Betriebsgeheimnis, sagt der Landwirt. Auf jeden Fall sei der Preis zu niedrig, räumt er ein. Denn der Vertrag sei kurz vor Kriegsbeginn zustande gekommen, und dementsprechend seien die kriegsbedingten hohen Kosten nicht eingepreist. "Da haben uns dann die Kosten für Dünger und Diesel eingeholt", sagt Bissinger.

Allein der Preis für Stickstoffdünger stieg von 25 auf zwischenzeitlich 100 Euro pro 100 Kilogramm. Denn für dessen Herstellung braucht es Gas. Und da hat Russland den Riegel vorgeschoben. Gas wird in der Folge richtig teuer. Das spürt die Landwirtschaft ganz direkt.

Mehr heimische Sonnenblumen

Aber es gibt auch die Kehrseite der Medaille: In Deutschland wurden so viele Sonnenblumen angebaut wie noch nie. In Bayern hat sich die Fläche nahezu verdoppelt. Die Ölmühle Kramerbräu in Pfaffenhofen an der Ilm verarbeitet normalerweise Sonnenblumenkerne aus Südosteuropa, zum Teil auch aus der Ukraine.

Vergangenes Jahr konnte Thomas Siegl von der Ölmühle in Pfaffenhofen etwa die Hälfte der Rohware bei heimischen Bauern kaufen. Der Anbauzeitpunkt von Sonnenblumen liege in der zweiten Aprilhälfte, sagt er. Das heißt, ab Beginn des Ukraine-Konflikts habe sich ein Engpass an Sonnenblumen abgezeichnet. "Viele Landwirte konnten sich noch mit Saatgut ausstatten und die Felder bestellen", erklärt Siegl.

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Inzwischen herrscht ein Überangebot an Sonnenblumenkernen

Mehr Soja und Überangebot an Sonnenblumenkernen

Doch durch ein Überangebot an Sonnenblumen bleiben manche konventionellen Bauern jetzt sogar auf ihren Kernen sitzen und können sie nicht verkaufen. Bei Kramerbräu wird beispielsweise nur Bio-Ware verarbeitet, dafür gibt es nach wie vor Abnehmer. Allerdings sind die Preise stark unter Druck, weil Verbraucher eher zu billigeren Produkten greifen.

Ebenso ausgeweitet hat sich im vergangenen Jahr der Sojaanbau in Bayern. Die Pflanze braucht keinen Stickstoffdünger. Auch Bissinger baute vergangenes Jahr Soja an, allerdings mit durchwachsenem Erfolg. Durch die Trockenheit waren die Erträge nicht so hoch wie erwartet. Mit dem Marktpreis war der Landwirt zufrieden.

Politik setzt Öko-Regeln aus

Es sind vor allem die Preissteigerungen bei Energie, Rohstoffen, Verpackung und Transport, die der Landwirtschaft zusetzen. Deshalb ziehen auch die Preise für Lebensmittel an. Um die Folgen des Ukraine-Kriegs für die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland abzufedern, haben Brüssel und Berlin verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Nach einer neuen EU-Öko-Regelung sollten im Jahr 2023 alle Landwirte eigentlich vier Prozent ihrer Flächen stilllegen - zum Wohle der Artenvielfalt. Doch angesichts einer drohenden Lebensmittelknappheit entscheidet die EU im Frühsommer 2022, dass auf diesen Flächen nun doch Brotgetreide angebaut werden darf.

Gewinner und Verlierer in der Landwirtschaft

Es war ein nervenaufreibendes Jahr für Ackerbauer Bissinger und seine Kollegen. Am besten ging es noch den Milchviehhaltern. Milch war knapp und der Preis mit 60 Cent pro Liter so hoch wie noch nie. Biolandwirte dagegen haben neben den hohen Energiekosten noch mit einem anderen Problem zu kämpfen: "Die Leute haben kein Geld mehr und kaufen weniger. Der Biomarkt bricht ein, und die Erzeugerpreise fallen", schildert Biobauer Walter Kempter aus Burtenbach im Landkreis Günzburg.

Ackerbauer Bissinger, der auch Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbandes in Schwaben ist, zieht aus diesem Krisenjahr 2022 eine Lehre: Langfristige Kontrakte für sein Getreide und seine Marktfrüchte wird er nicht mehr abschließen. Stattdessen wird er warten, bis er weiß, wie viel Dünger und Diesel kosten. Denn nur dann kann er richtig kalkulieren.

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