Die Linkspartei fordert, die schulischen Hausaufgaben abzuschaffen. Damit will sie im bayerischen Landtagswahlkampf punkten. "Es müssen durch Fachpersonal pädagogisch betreute Übungs- und Vertiefungszeiten in den Ganztag integriert werden, statt Hausaufgaben am Abendbrottisch", heißt es im Wahlprogramm, das vor einer Woche auf einem Landesparteitag beschlossen wurde.
Spitzenkandidatin Adelheid Rupp schrieb auf Facebook: "Eine Schule ohne Hausaufgaben ist sozial gerecht, weil sie Kinder aus benachteiligten Familien und Mütter entlastet." Und Linken-Bundeschefin Janine Wissler kritisierte im "Tagesspiegel", der alltägliche Hausaufgaben-Stress vergifte das Familienleben, bedeute Streit, Überforderung, Tränen und schüre Aggressionen.
Minister: Hausaufgaben sinnvoll
Zwar hatte vor ein paar Jahren auch die Grüne Jugend Bayern für eine Schule ohne Hausaufgaben plädiert, nach Meinung der Grünen-Bildungsexpertin im Landtag, Gabriele Triebel, braucht es aber mehr: "Es reicht nicht, die Hausaufgaben abzuschaffen, wenn sonst alles beim Alten bleibt." Das ändere nichts an der Chancenungerechtigkeit. "Wir Grüne fordern, dass Schule künftig so gestaltet wird, dass die Schülerinnen und Schüler das Lernen, Einüben und Vertiefen dort erledigen, wo es hingehört, und zwar in die Schule."
Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) hält indessen nichts vom Vorstoß der Linkspartei. "Zugegeben, auch ich als Schüler war nicht immer glücklich, mich am Nachmittag noch an den Schreibtisch setzen zu müssen", sagte er kürzlich dem "Münchner Merkur". "Aber mir wurde auch klar: Hausaufgaben helfen beim Lernen." Auch als Kultusminister halte er Hausaufgaben für sinnvoll. Man könne damit Lernprozesse vertiefen und unterstützen.
GEW: Hausaufgaben sorgen oft für "Unfrieden"
Lehrerverbände reagieren auf BR24-Anfrage sehr unterschiedlich. Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Martina Borgendale, hat grundsätzlich Verständnis für die Forderung: Es gebe es soziale Unterschiede, die noch verschärft würden, "weil die einen gute Nachhilfe oder Hausaufgaben-Betreuung haben und andere nicht". In vielen Familien sorgten Hausaufgaben für "Unfrieden".
"Auf der anderen Seite brauchen Kinder auf jeden Fall Übungszeiten" - entweder zuhause oder in der Schule. Eine Lösung könnte sein, erläutert die GEW-Landeschefin, "dass statt der Hausaufgaben die Hauptfächer 25 Prozent mehr Zeit bekommen durch eine Übungsstunde - damit man die Schülerinnen und Schüler gut ans selbstständige Üben heranführen kann. Momentan würde das aber der Lehrermangel einfach ausbremsen."
Im Audio: Ein Plädoyer gegen Hausaufgaben
Homeschooling
BLLV verweist auf großen Lehrermangel
Auch nach Meinung der Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, könnte man Schule zwar "so denken", dass "all das, was zu lernen ist, in der Schule gelernt wird". Das wäre dann eine Schule ohne Hausaufgaben, wie Fleischmann im BR24 TikTok-Interview sagte. Doch auch sie verweist auf den Lehrermangel: "Wir sind momentan froh im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich, wenn wir den Stundenplan erfüllen können." Somit komme eine Debatte über hohe Bildungsqualität und eine Schule ohne Hausaufgaben zur falschen Zeit.
Angesichts vieler Kompetenzdefizite bei Kindern nach drei Jahren Corona werde sogar noch mehr in die Elternhäuser verlagert als früher, beklagt die BLLV-Präsidentin. Das gehe gerade bei jenen Kindern, die dringend individuelle Unterstützung bräuchten, oft schief - weil die Eltern nicht selbst helfen könnten oder nicht das Geld für Nachhilfe hätten.
Philologenverband: Unverzichtbar
Dagegen zeigt sich der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, Michael Schwägerl, verwundert darüber, dass Hausaufgaben als "reine Schikane aufgefasst" werden. Sie seien ein wichtiger Teil des Lernprozesses. "Um Lerninhalte wirklich zu durchdringen, muss man sie selbst durchdenken. Und genau dieser Verstehensprozess findet auch am Nachmittag statt - mit lernpsychologisch sinnvollem Abstand zum Unterricht."
Hausaufgaben seien ein unverzichtbares Feedback sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Lehrkräfte." Je älter die Kinder und Jugendlichen seien, desto mehr nehme die Bedeutung von Hausaufgaben für das Lernen zu. Gerade an Gymnasien, Fach- und Berufsoberschulen sei beispielsweise an das Erlernen von Fremdsprachen ohne Vokabelarbeit auch außerhalb des Unterrichts nicht zu denken.
Im Audio: Ein Plädoyer für Hausaufgaben
Hausaufgaben
Auf das richtige Maß kommt es an
Einig sind sich Minister und Lehrerverbände, dass es bei Hausaufgaben auf das richtige Maß ankommt. "In Bayern legen die Schulordnungen fest, dass die Zeit für Hausaufgaben in einem angemessenen Rahmen bleiben muss", sagte Piazolo. Nach Überzeugung von Borgendale ist vielen Lehrern bewusst, "dass man genau hinschauen muss, wie viele und welche Aufgaben zu Hause Sinn ergeben". Und Philologenverband-Chef Schwägerl erläutert: "Laut Bildungsforschung sind kurze, regelmäßige Hausaufgaben, die dem Üben und Wiederholen dienen und die von der Lehrperson genau kontrolliert werden, am wirkungsvollsten."
Landesschülerrat verweist auf Lerneffekt
Und wie sehen Schülerinnen und Schüler die aktuelle Debatte? "Wir als der Landesschülerrat sind gegen eine Abschaffung der Hausaufgaben", teilt Janina Meier, stellvertretende Landesschülersprecherin, mit. Kinder und Jugendliche lernten dadurch, sich zu organisieren und selbständig zu arbeiten. "Es fördert unserer Meinung nach auch den Lerneffekt, sobald man bereits gelerntes Zuhause wiederholt."
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