Foto einer beschädigten Betonschwelle.
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Die Ursachen für das Unglück sehen Fachleute bei fehlerhaften Betonschwellen, aber auch bei einem Bach neben den Schienen.

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Das Zugunglück von Burgrain: Zwischenbilanz ein Jahr danach

Am Samstag jährt sich das Zugunglück von Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen. In dieser Woche legte die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung einen Zwischenbericht vor. Probleme auf der Strecke von München bis Mittenwald gibt es nach wie vor.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Am 3. Juni 2022, also am Samstag vor einem Jahr, starben beim Zugunglück von Garmisch-Partenkirchen fünf Menschen, 78 wurden verletzt. Für die Opfer findet ein Gedenk-Gottesdienst statt, bei dem die Hinterbliebenen und Helfer unter sich bleiben wollen. Das sei eine "sehr bewusste Entscheidung", sagte Bürgermeisterin Elisabeth Koch. Kurz nach dem Unglück hatte es einen größeren Gottesdienst mit Landespolitikern und entsprechender Medienberichterstattung gegeben.

Rettungseinsatz in der Region wie nie zuvor

3. Juni 2022: In Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen stehen die Räder der Regionalbahn still. Ein Augenzeuge vom benachbarten Gelände einer Recyclingfirma erinnert sich: Zuerst habe es furchtbar gerattert, als der Zug über den Schotter schlitterte, dann gab es eine riesige Staubwolke. Später werden über diesen Hof einige Dutzend Fahrgäste gerettet, manche sind verstört, andere haben Verletzungen. Feuerwehr, Rettungsdienst und das THW haben so einen Einsatz in der Region noch nicht erlebt. Fünf Doppelstockwagen hatte der entgleiste Zug.

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Der entgleiste Zug auf dem Bahndamm.

Fünf Tote beim Zugunglück

Um 12.16 Uhr, so sagt es der in dieser Woche veröffentlichte Zwischenbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchungen (BEU), ist die Regionalbahn in einer Kurve in Burgrain auf der Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Farchant entgleist. Fünf Menschen sterben, darunter ein Jugendlicher aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen und zwei Frauen, die als Flüchtlinge vor dem Krieg in der Ukraine mit ihren Kindern geflohen waren. Der Zwischenbericht der unabhängigen Bundesstelle stellt nüchtern fest: "Die Betonschwellen wiesen Beschädigungen auf, das hat zu einem Wegbrechen der Schienenauflager und damit zum Entgleisen des Zugs geführt."

Fehler an den Betonschwellen und ein Bach neben den Schienen

Die Ursachen für das Unglück sehen also Fachleute bei fehlerhaften Betonschwellen, die in den 1990er Jahren tausendfach in Bayern verbaut wurden, aber auch bei einem Bach, der direkt neben den Schienen verläuft. Die Bahn hat angekündigt, noch in diesem Jahr 440.000 Eisenbahnschwellen gleicher oder ähnlicher Bauart auszutauschen.

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Die Unfallstelle mit dem Katzenbach neben dem Bahndamm mit den Gleisen.

Vor Ort äußert sich Garmisch-Partenkirchens Bürgermeisterin Elisabeth Koch zum Zwischenbericht: "Die einen sagen, dass der Katzenbach die Ursache ist, die anderen, dass es die Betonschwellen sind. Ich bin keine Technikerin. Ich kann über die Ursache nichts sagen."

Sprecher des Fahrgastverbands: "Mich bewegt das"

Der Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn, Norbert Moy aus Weilheim, ist auch ein Jahr nach dem Unglück persönlich berührt. Er pendelt seit Jahren beruflich zwischen Weilheim und München und kennt die Werdenfelsbahn wie kaum einer sonst. "Ich hab den Unglückszug am Vormittag noch gesehen. Er kam mir in Tutzing am Bahnhof entgegen. Ich bin immer noch sehr betroffen über das Unglück." Moy nimmt Anteil am Schicksal der Menschen, die direkt vom Unfall betroffen waren: "Mich bewegt das, dass hier viele Menschen physisch und psychisch zu Schaden gekommen sind."

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Norbert Moy, Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn.

"Die Spitze des Eisbergs"

Der Schaden sei hausgemacht, sagt der Fahrgastverband. Die Nebenstrecken wurden in den letzten 20 Jahren vernachlässigt, so Moy. Seit der Privatisierung der Bahn, klagt Moy, sei die Bahn nur noch profitorientiert unterwegs gewesen. Nebenstrecken wie die Werdenfelsbahn seien über Jahre vernachlässigt worden. Das räche sich jetzt: "Burgrain war nur die Spitze des Eisbergs". Moy legt die Hand nachdenklich unters Kinn. Und das, obwohl viele Millionen Euro in die Modernisierung der Bahnhöfe und der Technik der Strecke gesteckt wurden.

Warten auf weitere Gutachten

Nach dem Zwischenbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfälle sieht sich die Deutsche Bahn in einer ersten Reaktion bestätigt, dass schadhafte Betonschwellen das Unglück ausgelöst haben sollen. Die Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft EVG, die in erster Linie die Lokführer in Deutschland vertritt, macht den Katzenbach und den dadurch unterspülten Bahndamm als Hauptverursacher aus. Ihr Gutachten ist noch nicht veröffentlicht.

Ein weiteres Gutachten erstellt die Staatsanwaltschaft München, die nach wie vor gegen den Lokführer, zwei Fahrdienstleiter und einen Streckenverantwortlichen wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.

Immer noch Probleme - Bürgermeisterin kritisiert die Bahn

Für die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen gibt es ein Jahr nach dem Unglück noch viel aufzuarbeiten. Wieder ist an einer Strecke der Werdenfelsbahn ein Mangel aufgetreten - eine Stützmauer auf der Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald muss saniert werden. Bis Dezember soll dort wieder Schienenersatzverkehr eingerichtet sein. "Ich möchte deutlich die Gesamtsituation rügen, in der wir uns befinden“, sagt sie im Interview. Sie meint damit die Kommunikation der Bahn über bestehende Bauprojekte und den Fortgang der Modernisierungsarbeiten in der Region. Für eine Ferienregion wie den Landkreis sei es nicht akzeptabel, dass eine Teilstrecke des Werdenfelsnetzes - gleichzeitig die direkte Verbindung nach Innsbruck - wieder für Monate durchgängig nicht befahrbar ist.

Gedenken ohne großes Aufsehen

Die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen will diesen ersten Gedenktag an das Unglück im Kleinen und ohne großes Aufsehen begehen. Die Gedenkfeier am Samstagvormittag in der Wallfahrtskirche St. Anton oberhalb von Partenkirchen wird ohne Ehrengäste und politische oder kirchliche Würdenträger stattfinden. Eingeladen sind die Menschen, die durch das Unglück zu Schaden gekommen sind, die bei der Bergung der Toten und Verletzten geholfen haben und danach das weithin bekannte Zugwrack aus dem Loisachtal und damit aus dem Blick der Öffentlichkeit gebracht haben. Gestaltet wird der Gedenkgottesdienst vom evangelischen und katholischen Ortsgeistlichen, die gemeinsam eine ökumenische Andacht feiern. Kurz nach 12 Uhr, dem Zeitpunkt des Unglücks sollen in allen Kirchen von Garmisch-Partenkirchen die Glocken läuten.

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